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LANDWIRTSCHAFT/1729: Viel zu verlieren im Öko-Landbau (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 412 - Juli/August 2017
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Viel zu verlieren für den Ökolandbau
Es steht auf Messers Schneide, ob es eine neue EU-Öko-Verordnung gibt

von Claudia Schievelbein


Das dreijähriges Gezerre um eine neue EU-Ökoverordnung erreichte seinen traurigen Höhepunkt bislang in der Absage des Trilogs Ende Mai, nachdem die Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten sich mehrheitlich nicht dazu durchringen konnten, ein weiteres Verhandlungsmandat zu erteilen. Dabei hatten EU-Kommission wie auch Parlament die Ausgangssituation mit dem von der amtierenden maltesischen Ratspräsidentschaft vorgeschlagenen Kompromiss durchaus verhalten positiv beurteilt. Nicht nur der grüne EU-Parlamentsberichterstatter Martin Häusling reagierte mit Unverständnis auf die Absage. Man habe sich noch einmal auf Verhandlungen durchaus bis in die Nacht eingestellt, so Häusling, war aber von einem positiven Ende ausgegangen. "Ein Sieg der Partikularinteressen" kommentierte Häusling bitter. Es brauchte offenbar den Ruck, um die Beteiligten zurück an den Verhandlungstisch zu bringen. Dort sitzen sie in einem eilig anberaumten neuen Trilog, wenn diese Zeitung gedruckt wird. Gräben werden bleiben, auch wenn es am Ende doch noch eine fertige Verordnung geben sollte.

Europas Vielfalt

Ein Dilemma wird deutlich an Paprika und Tomate. Eigentlich vertritt der Ökolandbau den Anspruch der bodengebundenen Produktion. Rationeller funktionieren Gewächshäuser mit Substrat, in skandinavischen Ländern mit eher südfrüchtewidrigen Außenklimakonditionen umso mehr. Also gab es in der Vergangenheit in Schweden, Dänemark oder Finnland auch Zulassungen für Ökogewächshausproduktion ohne Boden auf Substrat. Dass die Praxis und die Ansprüche in ganz Europa so stark differieren, wurde, so Alexander Beck, Geschäftsführer der Assoziation Ökologischer Lebensmittelhersteller (AÖL), eigentlich erst so richtig bei der Debatte um die neue Verordnung klar. Und dass die derzeit gültige Verordnung solche Diskrepanzen nicht verhindere, eben auch, so Beck. Die Skandinavier wollen ihre Substratpraxis weiter mindestens als Ausnahme genehmigt haben, andere - Spanier, Franzosen, die das bei sich klimatisch nicht "brauchen" - wollen gar keine Ausnahmen. Am Ende geht es weniger um die Frage: "Was ist gute Ökolandbaupraxis?" als mehr um: "Wie verschaffe ich mir Wettbewerbsvorteile?". Aber: Sollte die neue Verordnung scheitern, wissen nun alle um die Möglichkeiten und vor allem um die Defizite der alten. "Holland steht schon in den Startlöchern in Sachen Gewächshäuser mit Substrat", sagt Beck, "wir werden eben nie mehr so jungfräulich werden wie vor der Debatte."

Öko-Achillesferse

Wie sehr macht- und wirtschaftspolitische Interessen an der EU-Öko-Verordnung zerren, wird auch an einer Achillesferse des Ökolandbaus deutlich. Importe aus Drittländern sind in der Vergangenheit der neuralgische Punkt gewesen, an dem Skandale und Betrügereien stattgefunden haben. Der neue Verordnungsentwurf sieht ein Anlegen europäischer Standards an die Produktion in Drittländern sowie auch bessere Kontrollmöglichkeiten vor. Der Bundesverband ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) sagt, dass dadurch Kleinbauern im Süden der europäische Marktzugang erschwert würde, ignorierend, dass für diese durchaus Ausnahmeregelungen vorgesehen sind. Deutsche Lebensmittelverarbeiter sagen nicht, dass sie mit den vorgesehenen einheitlichen Importstandards unter Umständen zukünftig nur noch eingeschränkten Zugriff auf die großen, einheitlichen, günstigen Getreidepartien aus der Ukraine oder Kasachstan haben. Günstiger deshalb, weil zwar ohne Pestizide und Mineraldünger, aber eben nicht unbedingt im Rahmen einer vielgliedrigen, Boden und Ressourcen schonenden Fruchtfolge eines ökologischen Gesamtbetriebs produziert. Getreideanbau ist seit Jahren nicht gerade das, womit der EU-Ökobauer viel Geld verdient, sein Interesse müssen einheitliche Import- und EU-Anbaustandards in Drittländern sein, die auch noch durch funktionierende Kontrollmechanismen durchsetzbar sind. Die gültige Verordnung ermöglicht eine Vielzahl von Importregeln, von denen nicht die Bauern und Bäuerinnen, sondern die profitieren, die Ökorohwaren immer dort einkaufen wollen, wo sie am billigsten sind. "Die derzeitige Situation ist eine Katastrophe", sagt Alexander Beck, "der neue Verordnungsentwurf ist immerhin ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung."

Grenzwert-Hickhack

Es ist der wachsende Markt, der Entwicklungen mit sich bringt, für den die derzeit gültige Verordnung, so sagte es auch der sozialistische Schattenberichterstatter des EU-Parlamentes Eric Andrieu, nicht mehr zeitgemäß sei. Unter Umständen rettet die neue Verordnung am Ende die Ausklammerung und Vertagung der zwei heikelsten Themen, Gewächshäuser und Pestizidrückstände. Letzteres war jahrelang das rote Tuch des BÖLW, was dessen Totalablehnung des Verordnungsentwurfs auch nach den vielen Veränderungen durch das EU-Parlament immer begründete. Schon der letzte Kompromissvorschlag hatte allerdings feste Grenzwerte für Pestizide, deren Überschreitung zur Aberkennung der Ökoauslobung führen würde, nicht mehr vorgesehen, die Kommission sollte zwei bis fünf Jahre lang erst einmal Untersuchungen dazu durchführen. Zwar wäre dieser Kompromiss in Sachen Harmonisierung nicht förderlich, gibt es doch inzwischen eine Mehrheit von Mitgliedsstaaten, die Grenzwerte wollen, und mehrere, die auf nationaler Ebene schon länger welche eingeführt haben, sowie weitere, die genau das gerne möchten. Vertagt man das Thema, sollte man wenigstens gewährleisten, dass der jetzige Zustand eingefroren wird, bis die Kommission ihre Untersuchungen vorlegt. Kenner der Administration befürchten, dass das lange Hickhack und die inzwischen überwiegende Pro-Grenzwert-Stimmung in den meisten Ländern auf längere Sicht deren Einführung bringen werden - dann allerdings ohne die ursprünglich vorgesehenen finanziellen Kompensationsmöglichkeiten für die Bauern und Bäuerinnen bei verunfallten Verunreinigungen. Möglich also, dass sich am Ende die nach wie vor wenig konstruktive Haltung der deutschen Bioverbände - in Eintracht mit dem deutschen Bauernverband - als Bärendienst für die Bauern und Bäuerinnen erweisen könnte.

Gemeinsam oder einsam

Frustrierend kleinkrämernd, geprägt von wirtschaftlichen Einzelinteressen und Machtspielchen, waren die Verhandlungen zwischen EU-Kommission, Mitgliedsstaaten, EU-Parlament im Vordergrund und Interessen- und Branchenvertretern im Hintergrund. "Ein Scheitern der EU-Ökoverordnung wäre fatal für Europa. Wenn wir das nicht hinkriegen, graust mir vor ganz anderen Sachen, die wir hinkriegen müssen", sagte Martin Häuling im Mai. "Die Frage ist doch, ob wir gemeinsam einen Binnenmarkt fair gestalten wollen oder nur noch Einzelinteressen verfolgen", sagt Alexander Beck. Es geht also um mehr als nur um Ökopaprika aus Aarhus oder Alicante oder Dinkel aus der Eifel oder Estland und wer hier wen über den Tisch zieht. Es scheint in diesem langen, zermürbenden Prozess um eine neue Verordnung, die auch deshalb inzwischen dringend notwendig ist, weil sie nötige Lösungen für auslaufende Regularien, Verankerungen für neue Regularien und eine unabdingbare Anpassung an den Lissabon-Prozess darstellt, in Vergessenheit geraten zu sein, was europäisches Handeln ist. Das mag gerade zum Zeitgeist passen, zu einem bäuerlichen Verständnis passt es nicht. Bauern und Bäuerinnen, und noch mal mehr Biobauern und -bäuerinnen, müssen immer den ganzen Betriebsorganismus sehen, Kompromisse machen, die auch mal wehtun, nicht kurzsichtig handeln oder dem schnellen Profit nachjagen, aber sich stetig weiter entwickeln, um am Ende Mensch, Tier und Umwelt über Generationen zu dienen.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 412 - Juli/August 2017, S. 10
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,45 Euro
Abonnementpreis: 41,40 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 30,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. September 2017

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