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MARKT/1681: Milchpreis im freien Fall - auf Kosten der Landwirte und der Tiere (PROVIEH)


PROVIEH Heft 1 - März 2009
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Milchpreis im freien Fall -
auf Kosten der Landwirte und der Tiere

Von Iris Weiland


Streikende Landwirte sind ein seltenes Bild in Deutschland. Doch der drastische Preisrutsch bei Milch und Milchprodukten im Frühjahr 2008 führte zu heftigen Protesten der Landwirte. Unter Führung des Bundesverbandes deutscher Milchviehhalter (BDM) kippten im Juni 2008 Landwirte hunderttausende Liter Milch demonstrativ in den Ausguss, anstatt sie an die Molkereien zu liefern. Lebensmittelketten versprachen aufgrund des 10-tägigen Lieferstreiks der Landwirte, die Preise etwas anzuheben - der Streik ebbte ab. Erst mal weiter verhandeln, hieß es. Doch das waren nicht mehr als bittere Beruhigungspillen, wie sich herausstellte. Der Preis stieg damals um knapp einen Cent pro Liter, um jetzt weiter dramatisch abzustürzen.

Heute geht es den Milchbauern schlechter denn je: 40 bis 43 Cent benötigen die Bauern pro Liter für eine kostendeckende Produktion - auf dem Spotmarkt (der Warenterminbörse) wird heute Milch zwischen 14 und 20 Cent gehandelt. Die Molkereien reagieren je nach Lage mit Auszahlungspreisen an die Landwirte in Höhe von 19 Cent bis 35 Cent.

Die Bundesregierung versprach daraufhin die Einrichtung eines Milchfonds für deutsche Milchbauern. 300 Millionen Euro holt Landwirtschaftsministerin Aigner dafür aus einem Topf, der eigentlich für Umwelt- und Klimaschutz gedacht ist. Doch mehr als Augenwischerei springt für die heute etwa 100.000 Milchviehhalter nicht raus. Einen halben Cent macht die Hilfe pro Liter aus, das klingt eher nach einem Sterbegeld für die kleinen Milchbauern.

Der Milchpreisverfall wird das Höfesterben beschleunigen. 1984 gab es bei Einführung der Milchquote, die für stabile Preise sorgen sollte, noch 370.000 Milchviehbetriebe. Heute ist nicht mal ein Drittel davon übrig geblieben. Die Milchmenge jedoch blieb erstaunlicherweise gleich. Immer weniger Betriebe halten immer mehr Kühe und die Kühe müssen immer mehr Milch geben. Das überfordert die Tiere. Der Tierarzt muss häufiger kommen. Die Kühe sterben früher. Ernährt werden sie von einem ausgeklügelten Futtermix mit hohen Anteilen von Kraftfutter - Gras und Heu alleine machen diese Kühe schon lange nicht mehr satt.

2015 soll die Milchmengenbeschränkung innerhalb der europäischen Union ganz fallen. Damit wird der Markt noch unberechenbarer für die Landwirte. Als im Herbst 2007 weltweit die Milch knapp war, stiegen die Preise. Viele Landwirte reagierten darauf mit Investitionen in neue Technik und größere Ställe, nahmen dafür allerdings neue Kredite auf. Eine Katastrophe, wenn dann die Preise wieder fallen.

Der Markt hat neue Methoden entwickelt, den Bauern den Streik als ihr letztes Druckmittel für Preisstabilität zu nehmen. Mit der neuen "Extended Shelf Life" - Milch (ESL) bietet der Handel eine neue Form der "Frischmilch" an, die jedoch einem energieaufwändigen keimtötenden Produktionsprozess unterzogen wurde (siehe Infobox). So behandelte Milch kann aus den billigsten Winkeln Europas angekarrt werden. Regionale Molkereien, die Milch über kurze Wege und Klima schonender transportieren, haben das Nachsehen. Der Trend geht in Richtung industrielle Produktion. Futtermittel-Monokulturen in Entwicklungsländern sorgen mit für billige Preise und Milchseen in Europa - der Überschuss flutet dann die Märkte in den Entwicklungsländern. Eine radikale Wende dieser Agrarpolitik forderten kürzlich 400 Wissenschaftler im von der Weltbank und der UNO initiierten Weltagrarbericht 2008.

Sollten die Bauern doch wieder auf die Idee kommen, angesichts dieser ruinösen Milchpreise erneut für höhere Preise und eine andere Politik zu streiken, droht ihnen nun das Kartellamt mit empfindlichen Strafen. Auch der Lieferboykottaufruf im Sommer sei laut Amt nicht berechtigt gewesen. Die Begründung: Der geforderte Einheitspreis hätte zu einer flächendeckenden Kartellbildung über alle Marktstufen geführt. Damit verbunden sei eine Ausschaltung des Wettbewerbs gewesen und dadurch höhere Verbraucherpreise.

Der Verbraucher wird hierbei nicht gefragt. Billige Preise um jeden Preis? Das wollten selbst die Verbraucher beim letzten Milchstreik nicht - Umfragen zeigten hohe Sympathiewerte für die Anliegen der streikenden Landwirte. PROVIEH hat diese Sympathie mit den Landwirten immer wieder bekundet. Denn nur ein fairer Preis kann auch eine faire Tierhaltung sichern.


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Quelle:
PROVIEH Heft 1, März 2009, Seite 32-33
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2009