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MARKT/1710: Schweiz - Freie Produzentenorganisationen im Würgegriff der Molkereien (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 322 - Mai 2009,
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Die Organisationen werden extrem in Würgegriff genommen

In der Schweiz endet die Milchquote Anfang April.
Ein Interview mit Werner Locher von der Milchbauernvereinigung Big M

Von Marcus Nürnberger


UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Vor einem Jahr beim Milchstreik haben die Schweizer Milchbauern einen großen Erfolg erzielt. Die Molkereien verpflichteten sich, 6 Rappen mehr pro kg Milch zu zahlen. Was ist von diesem Erfolg übrig geblieben?

WERNER LOCHER: Dieser Erfolg hat nicht gehalten. Ursprünglich sollte diese Vereinbarung bis Ende des Jahres gehen. Im November hatten wir Preissenkungen, weil die Verarbeiter argumentierten, bei diesem hohen Preis ihre Produkte nicht mehr absetzen zu können. Zudem haben die großen Handelsketten in der Schweiz begonnen, Schweizer Milchprodukte aus den Regalen zu nehmen und durch Importprodukte aus der EU zu ersetzen. Das Dritte, was passiert ist, ist dass die Unternehmen Mehrmengen, die über die Quoten hinausgehen, für sogenannte "neue Märkte" beantragten.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Wer genehmigt in der Schweiz solche Mehrmengen?

WERNER LOCHER: Bewilligt wurden die Mehrmengen durch das Bundesamt für Landwirtschaft in Bern. Viele Millionen Kilogramm Milch wurden einfach so bewilligt, bis wir von Big M Radau gemacht haben. Da war es aber schon zu spät. Bisher liefern wir deshalb im laufenden Milchjahr (bis Ende April) schon 7 Prozent mehr.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Die Schweizer Michbauern sind in Produzentenorganisationen und Produzenten-Milchverwerterorganisationen organisiert. Welche Rolle spielen diese bei der Beantragung von Mehrmengen?

WERNER LOCHER: Da liegt eine Ausrede der Regierung, die sagt, dass die Bauern die Mehrmengen beantragt haben. Unsere Produzentenorganisation, bei der ich Mitglied bin, hat gemeinsam mit den Verarbeitern Mehrmengenprojekte realisiert. Der Verarbeiter hat beim Geschäftsführer angefragt, ob wir bereit seien, für ein Projekt im Ausland die zusätzliche Milch zu liefern. Der Preis liegt dabei 10 Rappen unter dem Normalpreis. Viele Bauern haben von diesem Angebot Gebrauch gemacht.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Warum erklären sich die Bauern bereit, zu einem so geringen Preis überhaupt zu liefern?

WERNER LOCHER: Hintergrund ist die Frage, welches die Referenzmenge für die Liefermenge nach dem ersten Mai 2009, also nach dem Wegfall der offiziellen Milchquote, ist. Die Verarbeiter haben kommuniziert, dass für den neuen Vertrag die Menge zu Grunde gelegt wird, die die Bauern in diesem Jahr inklusive der Mehrmenge ermolken haben.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Es gibt aber auch andere Vorstellungen?

WERNER LOCHER: Inzwischen haben sich ca. 85 Prozent der Bauern dafür ausgesprochen, dass allein die mit der Milchquote erfasste Menge zu Grunde gelegt wird.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Wie ist das Verhältnis zwischen den Molkereien und den Bauern?

WERNER LOCHER: Vor allem die freien Produzentenorganisationen werden extrem in den Würgegriff genommen. Die Molkereien drohen, ihnen keine Milch mehr abzunehmen, wenn sie sich gegen die Mehrmengenregelung stellen. Schon nach dem Milchstreik war das so. Da hat der größte Milchverarbeiter unserer Organisation, weil dort die Streikbereitschaft sehr sehr hoch war, alle Verträge gekündigt. Die Vorstände der Produzentenorganisationen stehen extrem unter Druck. In vielen Fällen haben sie eng mit den Verarbeitern zusammengearbeitet.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Sie haben erzählt, dass viele der Bauern gerne Mehrmengen gemolken haben. Jetzt scheint es allerdings so zu sein, dass die Bauern gerne eine Beschränkung auf die bestehende Quotenmenge festlegen würden. Wie kam es zu diesem Umschwenken?

WERNER LOCHER: In Zeitungsartikeln und Leserbriefen haben wir von Big M dieses Problem immer wieder thematisiert. Und es war ja offensichtlich: Es ist zuviel Milch auf dem Markt. Und auch die Verarbeiter haben gesagt, es ist zu viel Milch auf dem Markt. Einzig die Erklärungen waren je nach Betrachter unterschiedlich.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Worin unterschieden sich die verschiedenen Positionen?

WERNER LOCHER: Die Verarbeiter haben gesagt, dass aufgrund eines marktfernen, zu hohen Preises die Bauern angefangen hätten, mehr zu melken, während wir immer darauf bestanden haben, dass es die Verarbeiter waren, die die Marktlage falsch eingeschätzt haben und viel zu viel Mehrmengen beantragten. Das Bundesamt hat seine Kontrollaufgabe nicht wahrgenommen und zusätzliche Menge ungeprüft genehmigt, denn auch in seinem Interesse lag es, den Preis zu drücken.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Welche Rolle spielt der Dachverband der Schweizer Milchproduzenten, die SMP?

WERNER LOCHER: Im November fand in Bern eine Versammlung mit 3.000 Delegierten aus der ganzen Schweiz statt und hat mit nur wenigen Gegenstimmen beschlossen, dass das neue Lieferrecht gleich dem alten ohne Mehrmengen sein soll. Ein zweiter Beschluss war, dass der Milchpreis auf dieser Basis segmentiert werden soli. Das bedeutet, dass ca. 90 Prozent der Schweizer Milch zu einem in der Schweiz akzeptierten Milchpreis verkauft werden kann, denn die Konsumenten haben klar signalisiert, dass sie hinter der Forderung nach kostendeckenden Preisen für die Bauern stehen. Die restlichen ca. 10 Prozent müssen dann zu einem tieferen Preis geliefert werden.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Etwas Vergleichbares wie das Milchboard gibt es in der Schweiz derzeit also noch nicht?

WERNER LOCHER: Es geht bei uns jetzt erst mal darum, die 7 Prozent Mehrmenge abzuschaffen, damit wir wieder bei 100 Prozent ankommen. Ob das dann die richtige Menge ist, wissen wir nicht, weil es keine flexible Mengensteuerung ist.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Im August gab es eine Umfrage von der SMP, bei der sich die Milchbauern zu 88 Prozent für einen nationalen Milchpool ausgesprochen haben.

WERNER LOCHER: Diese Umfrage hat die Verarbeiter in höchstem Maße alarmiert und sie haben in der Folge versucht, einen Keil zwischen die Bauern zu treiben, um diese zu verhindern.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Wie kann bzw. muss man sich die Zukunft der Milchmengensteuerung in der Schweiz vorstellen?

WERNER LOCHER: Es gibt drei Stufen. Die erste ist die Rückführung der Milchmenge auf die Quotenmenge. Die zweite Stufe ist eine schrittweise Zusammenführung der verschiedenen Produzentenorganisationen. Und das mündet schließlich in Stufe drei, wenn alle Organisationen in eine zusammengeführt sind. Vielen Bauern sind ihre Organisationen aber sehr ans Herz gewachsen und sie sind noch nicht bereit, diese aufzugeben.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Die Bündelung der Milch würde dann also über den Zusammenschluss der einzelnen Organisationen zu einer einzigen erfolgen?

WERNER LOCHER: Die Sammeltouren und Lieferungen an Molkereien werden sicher auch in Zukunft regional organisiere bleiben, aber die Preisverhandlungen und die Mengensteuerung müssen in Zukunft zentral geschehen.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Vielen Dank für das Gespräch


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 322 - Mai 2009, S. 14
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juli 2009