Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → ERNÄHRUNG

MARKT/2052: Die Renaissance des Schrumpelapfels? (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 375 - März 2014
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Die Renaissance des Schrumpelapfels?
Bio ist im Mainstream angekommen, wohin geht es jetzt weiter, fragt sich die Branche

von Claudia Schievelbein



Das Rheingold Marktforschungsinstitut machte vor ein paar Jahren die Sehnsucht der Menschen nach Bindung, nach Nähe und Sinnlichkeit im Zusammenhang mit ihrem Essenseinkauf dafür verantwortlich, dass sie zu Bio-Produkten greifen. Diese Sehnsüchte sind offenbar eher noch gewachsen, in Zeiten sich auflösender Gesellschaftsordnungen, Bankenkrisen und medialer Grenzenlosigkeit. Zwar zieht sich der modernde Mensch biedermeiergleich aufs private zurück, isst aber immer seltener am gemeinsamen Familientisch. Auch da bieten die guten, nahen, echten, ehrlichen Produkte vom (Bio)-Bauernhof um die Ecke eine Art Ablasshandel an, auf den man sich gerne einlässt. Die Umsatzzahlen des Biohandels sprachen und sprechen nach wie vor eine deutliche Sprache in Richtung Wachstum, nur die Bauern kommen nicht hinterher, Umstellungszahlen stagnieren. Auch deshalb wohl war auf der diesjährigen Biofachmesse so etwas wie "Sinnsuche" angesagt, wie es ein bayerischer Rundfunksender formulierte. Schon vorher hatten damit aktuelle Fachblätter angefangen. Uli Zerger von der Stiftung Ökologie und Landbau schreibt in der entsprechenden Zeitung: "Der Biolandbau von heute ist gefordert, sich zu Fragen der Regionalität, der Saisonalität, der sozialen Gerechtigkeit, des Tierwohls, der Nachhaltigkeit oder des Klimawandels zu postionieren und Antworten zu entwickeln." Nur wenn das in offener Auseinandersetzung gelänge, so Zerger, sei der Ökolandbau zukunftsfähig und behalte das Vertrauen der Verbraucher. Ähnlich hatte auch Bioberater Christoph Spahn im Magazin Biohandel die nun einzuläutende Nachsättigungsphase der Biobranche umrissen. Nur Bio reiche nicht, es sei eher "die alte Idee von der Benennung von Missständen und dem Aufzeigen von unter Umständen auch unbequemen Alternativen, die für eine geschärftes Profil des Marktes sorgen", so Spahn mit Blick auf die Bruderhahninitiative. Die Biolandwirtschaft dürfe nicht Gefahr laufen, warnen auch Joyce Moewius und Stefan Zwoll vom Bundesverband ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), den Anschluss an ihren eigenen Anspruch zu verlieren, die nachhaltigste Form des Landbaus zu sein. Hardy Vogtmann, als einstmals erster Professor für ökologischen Landbau einer der schon lange auf die Szene blickt, schreibt auch in der Zeitung Ökologie und Landbau: "Die Ökolebensmittelwirtschaft ist in der Globalisierung gefangen und steht unter dem ökonomischen Druck des 'freien Marktes', den das auf lineares Wachstum getrimmte Wirtschaftsmodell erzeugt." Der Biolandwirt stehe unter dem gleichen Druck wie sein konventioneller Nachbar, und es gebe keine Möglichkeit mehr die ursprünglichen sozialen und ökologischen Ziele des Ökolandbaus noch zu verfolgen. Der Verbraucher wolle das aber, so Vogtmann, er fordert die Grenzen des Wachstums zu respektieren.


Frische Konzepte

Das Gegenteil, weitere Effizienzsteigerungen will hingegen der Ökolandbau-Vertreter des Bauernverbandes, Heinrich Graf Bassewitz. Bio-Produkte müssten für den Supermarktkunden erschwinglicher werden. "In der Regel sind wir doppelt so teuer wie der konventionelle Nachbar. Dieser Abstand muss kleiner werden, und der kann auch kleiner werden", so Bassewitz zur Biofach. Aus Sicht von Trend- und Zukunftsforscherin Anja Kirig vom Zukunftsinstitut, verwässere die Liaison der Biobranche mit den konventionellen Märkten die Idee und stehe für einen Mangel an Authentizität. Bio dürfe sich nicht auf seinem Ökomehrwert ausruhen, sondern müsse mit frischen und selbstbewussten Konzepten wieder Vorreiter sein, schreibt sie in der Ökologie und Landbau. Dabei böten die momentanen Zeitgeistbewegungen wie Urban Agriculture oder die Zero-Waste-Kultur greifbare Anknüpfungspunkte. Wenn Menschen selbst ein Gefühl dafür entwickelten, wie die Lebensmittel mit viel Mühe wachsen, ist die Hemmung wegzuschmeißen, was nicht zu hundert Prozent makellos ist, größer. Ob das allerdings auch gleich die Renaissance des Schrumpelapfels im Bioladen ist, bleibt dahin gestellt.

*

Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 375 - März 2014, S. 11
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
E-Mail: redaktion@bauernstimme.de
Internet: www.bauernstimme.de
 
Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,30 Euro
Abonnementpreis: 39,60 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Mai 2014