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MARKT/2201: Milch, Macht und Subventionen (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 403 - Oktober 2016
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Milch, Macht und Subventionen
Die Agrarministerkonferenz fordert aktive Marktsteuerungen und Schmidt verteilt EU-Gelder möglichst gleichmäßig

von Marcus Nürnberger


Mit 150 Metern gilt der Sandstrand in Rostock-Warnemünde als der breiteste der deutschen Ostseeküste. Hier, wo einen Tag später die Agrarminister der Länder zu ihrer Herbsttagung zusammenkommen sollten, versammelten sich ganz ungewöhnliche Badegäste. Aktive der Kampagne "Meine Landwirtschaft", der Aktion Agrar und der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft waren gekommen, um den Agrarministern ein klares Signal zu geben: "Vielen Bäuerinnen und Bauern steht das Wasser bis zum Hals. Stoppt das Höfesterben!", lautete der Arbeitsauftrag an die Minister. Bis zum Hals im Wasser stehend hielten die Demonstrierenden ihre Banner in die Höhe.


Ministeriale Runde

Auch wenn der Milchmarkt und vor allem die Auszahlungspreise aktuell als die wohl drängendsten Themen wahrgenommen werden, standen auf der Tagesordnung der Agrarminister noch 35 weitere Punkte. Das Programm war also eng. Auf ihrem Treffen im Frühjahr an der Müritz hatten sich die Agrarminister fast schon kämpferisch gezeigt. "Das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage am Milchmarkt besteht fort. Nachfrageseitig sind kurzfristig keine Impulse zu erwarten. Es muss jetzt die Rohstoffmenge reduziert werden", stellten die Minister damals fest und forderten neben den Molkereien auch Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt auf, Programme für eine Mengenreduzierung umzusetzen. Sollten bis zum Herbst, also bis jetzt, "keine spürbaren Fortschritte erreicht werden", baten sie das BMEL, "auf EU-Ebene die faktischen und rechtlichen Möglichkeiten einer zeitlich befristeten entschädigungslosen Mengenbegrenzung" zu prüfen und umzusetzen.

In der Schule hätte man von Arbeitsverweigerung gesprochen, mindestens aber von "Thema verfehlt", wenn man sich anschaut, was das Bundesministerium aus den klaren Vorgaben der Agrarministerkonferenz (AMK) im vergangenen halben Jahr gemacht hat. "Die bäuerliche Landwirtschaft kann sich auf unsere Unterstützung verlassen, denn sie ist unverzichtbar für unser Land." so das Abschlussdokument der AMK. Konkrete Schritte zu einer Mengenreduzierung indes fehlen oder werden bewusst vermieden. Zu stark der Druck aus dem Bauernverband und der Molkereiindustrie. Dennoch betont das Ministerium, bereits 340 Millionen Euro an Liquiditätshilfen ausgeschüttet bzw. eingeplant zu haben. Eine Mengen-Steuerung sucht man allerdings vergebens. Es gab Geld für Betriebe, die einen Rückgang ihrer Erzeugerpreise um 19 Prozent nachweisen konnten, es gab Zuschüsse für die Landwirtschaftliche Unfallversicherung in den Jahren 2016 (78 Mio. Euro) und 2017 (78 Mio. Euro) und es gibt das Geld aus dem zweiten EU-Teilpaket in Höhe von 58 Mio. Euro, die nach Ankündigung des Bundes auf 116 Mio. Euro aufgestockt werden. Verwendet werden soll dieses Geld offenbar für einen Bonus pro Liter Milchanlieferung (also nicht Mengenreduzierung) für Milchviehbetriebe, die in einem bestimmten zukünftigen Zeitraum ihre Milchanlieferung an eine Molkerei im Vergleich zu einem zurückliegenden Referenzzeitraum nicht ausdehnen, sondern konstant halten oder reduzieren. Verglichen werden könnte etwa die Anlieferungsmenge des Zeitraums 1. November 2016 bis 31. Januar 2017 mit der im gleichen Zeitraum des Vorjahres (1. November 2015 bis 31. Januar 2016). Gezahlt werden sollen an berechtigte Betriebe 0,36 Cent pro Liter angelieferter Mich im Zeitraum 1. September 2015 bis 31. August 2016, 50 die vorläufigen Planungen.


Eine vertane Chance

Die bundesdeutsche Milchanlieferungsmenge des anvisierten Referenzzeitraums liegt deutlich über der der Vorjahre 2013 und 2014. Das erklärt sich unter anderem dadurch, dass viele Betriebe trotz der Milchkrise ihre Menge erhöhten, um die Einbußen aus dem geringen Milcherlös auszugleichen. Wenn das Bundesministerium jetzt diese Hochphase der Milchanlieferung zum Referenzzeitraum erklärt, dann werden nur wenige Betriebe diese Forderung nicht erfüllen können. Andererseits ist der Bonus pro Liter mit 0,36 Cent so gering, dass wachstumswillige Betriebe auf diesen verzichten werden. Bei einem Kuhbestand von 50 Tieren mit einer Milchleistung von 7.500 Litern wären das 1.312 Euro. Bei 100 Kühen und 9.000 Litern Milchleistung 3.240 Euro. Dass es möglich ist, die Menge auch aktiv zu steuern, zeigt eine EU-Maßnahme. Mit 150 Mio. Euro und 14 Cent pro Liter reduzierter Milch unterstützt die EU all jene Landwirte, die in einem dreimonatigen Referenzzeitraum, beginnend ab Oktober 2016, weniger Milch anliefern als im gleichen Zeitraum ein Jahr zuvor. Allerdings lässt auch hier die Ausgestaltung vermuten, dass nicht eine möglichst großflächige, gleichmäßige Mengenreduktion um einige Prozent das Ziel war, um den Markt zu entlasten ohne den Strukturwandel anzufeuern. Gefördert wird auch, wer inzwischen gar keine Kühe mehr hat, Stichtag ist der 31. Juli 2016. Darüber hinaus wird eine Mengenreduktion um bis zu 50 Prozent gefördert - ebenfalls keine praxistaugliche Größenordnung für Betriebe, die zukünftig Milch erzeugen wollen. Dennoch zeigt auch dieses Programm, dass das Instrument der aktiven Mengenreduktion funktioniert und in die Praxis umsetzbar ist.


Agrarminister fordern

Im Vergleich zur Agrarministerkonferenz im Frühjahr liest sich das aktuelle Beschlussprotokoll wie weichgespült. Keine Forderungen mehr nach entschädigungsloser Mengenreduzierung. Vielmehr fordern sie alle Beteiligten auf, "die Marktstabilisierung durch umsichtiges Handeln mit dem Ziel zu festigen, möglichst rasch ein besseres Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage zu erreichen". Sie bedauern, "dass es bisher seitens der Wirtschafts beteiligten keine ernst zu nehmenden Signale zur Einführung freiwilliger Maßnahmen zur Mengensteuerung gibt". Gefordert wird als Vorbereitung auf zukünftige Marktkrisen, "die rechtliche und inhaltliche Ausgestaltung sowie die zu erwartenden Wirkungen einer zeitlich befristeten entschädigungslosen europaweiten Mengenbegrenzung bei schweren Marktstörungen eingehend" zu beschreiben und zu bewerten. Bis zur nächsten Krise wird geprüft, das Instrument rückt in den Hintergrund. Stattdessen übernehmen die Agrarminister die Sprechweise des Bundesministeriums: Die Marktbeteiligten seien in der Pflicht, es brauche strukturelle und organisatorische Verbesserungen in der Milchbranche. Sie fordern von den Molkereien "die Bereitschaft, in den Verhandlungen mit den Erzeugern die Verträge so zu gestalten, dass die Marktrisiken nicht allein auf der Erzeugerseite liegen". Nur einen Satz zuvor stellen sie allerdings fest, "dass die bereits vorhandenen Möglichkeiten des geltenden Rechtsrahmens für die Gestaltung der Lieferverträge zwischen Molkereien und Milcherzeugern bisher nicht genutzt werden."


Bis zum Hals

Die Bäuerinnen und Bauern, die nach Warnemünde gekommen waren, standen stellvertretend für ihre Kollegen bis zum Hals im Wasser. Kein Minister kam und hat sie rausgeholt. Auch im übertragenen Sinne muss man feststellen, dass die Beschlüsse alles andere sind als eine machtvolle Demonstration der Einheit, die unterstützen würde, was die Agrarminister in ihrem Beschlussprotokoll feststellen: "... dass die bäuerliche Milchviehhaltung in Deutschland für eine flächendeckende Landwirtschaft und den Erhalt vitaler ländlicher Räume eine besondere Bedeutung hat." Wer Betriebe und Strukturen erhalten will, muss handeln und darf nicht immer nur bitten und betteln.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 403 - Oktober 2016, S. 11-12
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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(verbilligt auf Antrag 30,- Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Dezember 2016

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