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MARKT/2247: Milch - Von Süd nach Nord (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 417 - Januar 2018
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Milch: Von Süd nach Nord
Praktiker treffen sich in Hofgeismar zum Austausch über aktuelle Entwicklungen und mögliche Alternativen

von Marcus Nürnberger


Aus dem ganzen Bundesgebiet waren AbL-Milchbauern nach Hofgeismar gekommen, um sich mit ihren Kollegen auszutauschen. Für die Milchbauern müsste es noch immer oberste Priorität haben, ihre Position in der Lieferkette zu stärken. Entgegen kommen ihnen hierbei die Ergebnisse, die das Bundeskartellamt in seinem Sachstandsbericht Milch zusammengefasst hat. Immer wieder machen die Kartellwächter deutlich, dass ein Sektor mit derart ungleichen Machtverhältnissen wie der Milchmarkt äußerst ungewöhnlich ist. Zwar hat, so berichtet Ottmar Ilchmann, Milchbauer aus Ostfriesland, die Aufforderung zur Neuregelung der Verträge mit kürzeren Kündigungsfristen und mehr Transparenz bei der Preisgestaltung zu Änderungen geführt. Diese seien aber - wie die Ankündigungen bei Deutschlands größter Molkereigenossenschaft, dem Deutschen Milchkontor (DMK), zeigen - noch unbefriedigend, weil nach einem Molkereiwechsel die Geschäftsanteile und damit das Kapital lange in der Genossenschaft gebunden blieben. Im politischen Spiel wechselnder Zuständigkeiten zwischen EU, Bundesrepublik und Ländern befindet sich die Forderung nach verbindlichen Verträgen, die Liefermenge, Preis, Qualitäten usw. im Vorfeld regeln. Die Regelungen, die auch den Milcherzeugern klare Mengenvorgaben und Preise vorschreiben würden, könnten dazu beitragen, eine sichere Planungsgrundlage für die Vertragspartner zu schaffen. Auf die schwankende Nachfrage bei den Molkereien könnten diese durch "häufige Nachverhandlungen" beispielsweise halbjährlich die Liefermengen bei plus/minus gleichbleibendem Preis anpassen. Den Milchbauern würde dieses System mehr Marktverantwortung übertragen und bessere Planungssicherheit bieten. "Welche Macht hat der Einzelne?", fragt Ilchmann und fordert die Milchbauern auf, sich zu bündeln.

Heumilch im Süden

Genau das haben Bäuerinnen und Bauern in Süddeutschland getan, als sie den Wirtschaftsverein Demeter Milchbauern Süd w. V. im Juli 2013 gründeten. Inzwischen liefern 25 Betriebe 4,8 Mio. Liter Milch, berichtet Petra Müller, Gründungsmitglied und stellvertretende Vorständin des Vereins. Und das sieht nicht nur sie so. Ein besonderes Gefühl sei es, so Müller, seine Milch nicht mehr bloß abzuliefern, sondern auch für deren Vermarktung verantwortlich zu sein. "Es ist eine andere Situation, wenn man in der Genossenschaft produziert und auch für den wirtschaftlichen Erfolg der anderen Lieferanten verantwortlich ist." Dass vieles organisiert sein will, wird deutlich, wenn Müller von der Planung der Touren berichtet. 500 km fährt der Milchtankwagen bei einer Tour. Die Molkereien, die die Milch abnehmen, liegen glücklicherweise zum größten Teil im Liefergebiet. Und was noch ein großer Vorteil ist: Es gibt "viele" davon. Ganz anders als in Norddeutschland, wo das DMK in vielen Regionen der einzige Abnehmer ist. Auch ist die produzierte Heumilch eine Qualitätsstufe für sich. Vermarkter werde die Heumilch und die hergestellten Produkte zum einen als Rohmilch an handwerkliche Käsereien, zum anderen über den Biogroßhandel und über REWE.

Eine Besonderheit ist sicherlich der enge Zusammenhalt in der Gruppe, die sich einmal im Monat trifft, um aktuelle Entwicklungen zu besprechen. Dabei werden die Finanzen offen gelegt und jeder Betrieb kann alle Einnahmen und Ausgaben nachvollziehen. Auf feste Mitarbeiter haben die Milchbauern verzichtet. Dafür zahlen sie sich einen Stundenlohn von 40 Euro für die Erledigung der anfallenden Büroarbeiten. "Wir hatten eine gute Zeit zum Start", gibt Petra Müller freimütig zu. Heumilch sei als Nischenprodukt besonders gefragt gewesen. Inzwischen bezeichnet sie die Marken, die Heumilch als Rohstoff brauchen, als ihre Lebensversicherung.

Weidemilch im Norden

Völlig andere Strukturen findet man in Norddeutschland vor. Der Konzentrationsprozess bei den Molkereien hat nur noch einige wenige, zum Teil sehr große Konzerne übrig gelassen. Während der Milchkrise sei der Biomilchmarkt nicht betroffen gewesen, so Ilchmann. Offenbar sind Qualitätsmärkte weniger von Preisschwankungen betroffen. So entstand die Idee zum Weidemilchprojekt. "Das bietet sich für uns an", sagt Ilchmann, "wir haben viel Grünland und bei den Verbrauchern ist Weidemilch auch beliebt." Zudem unterstütze der frühere grüne Landwirtschaftsminister Niedersachsens das Projekt und es entstand ein breites Bündnis aus Milchbauern, Molkereien, den Futtermittellieferanten, dem Bauernverband, der AbL und Vertretern der Natur- und Umweltschutzverbände. Die zentralen Kriterien sind 120 Weidetage mit mindestens sechs Stunden Weidezeit und gentechnikfreier Fütterung. Ziel ist ein Mindestzuschlag für die Bauern von 5 Cent pro kg Milch. Noch allerdings kommt bei den Bauern nur ein Cent Aufschlag für die gentechnikfreie Fütterung an. Die für das Projekt gewonnene Molkerei Ammerland nutzt die Mehreinnahmen der höherpreisigen Weidemilch bisher, um die Werbekosten zu finanzieren. Es sei die Aufgabe des Trägervereins, der beim Grünlandzentrum Niedersachsen angesiedelt ist, die notwendige Transparenz und auch die Entlohnung der Weidemilchbauern sicherzustellen, fasst Ilchmann seine Erwartungen zusammen. Derzeit werden ca. 800 Mio. Liter Weidemilch erfasst, aber nur ein Zehntel davon als solche verkauft. Hier rechnet Ilchmann mit einem deutlich wachsenden Absatz und dann auch bald mehr Milchgeld.

Die Kuh beschaut

Die angespannte finanzielle Situation setzt nicht nur die Menschen auf den Betrieben unter Druck, ist sich Kirsten Wosnitza, Milchbäuerin aus Schleswig-Holstein, sicher. Auch die Leistungsanforderungen an die Milchkühe ist in den letzten Jahren immer weiter gestiegen. Immer mehr Milch pro Laktation, mit einem Herdendurchschnitt von über 10.000 Litern, habe zu immer größeren Kühen mit immer früherem Abgangsalter geführt, so die Holsteinerin. "Ist es ein fehlerhaftes Management oder eine inzwischen falsche Genetik, die den Tieren und Betrieben zu schaffen macht?", fragt Wosnitza und führt durch die Anforderungen, die eine 10.000-Liter-Kuh an ihren Betreuer stellt. Viel Spielraum für Fehler, so wurde im Vortrag deutlich, lassen diese Tiere dem Betreuer nicht. Und natürlich gibt es Betriebe, die vorzugsweise in den einschlägigen Medien vorgestellt werden, denen es gelingt, den schmalen Grad zwischen maximaler Leistung, ökonomischem Erfolg und Tiergesundheit zu beschreiten. Ein Großteil der Tierhalter sei aber schlichtweg überfordert. Auch weil die Milchkühe aufgrund ihrer genetischen Festlegung als Organismus überfordert seien. Eigentlich gibt es einen gesellschaftlich und ökonomisch begründeten Druck auf Langlebigkeit, so Wosnitza. In ihrer eigenen Herde möchte die Milchbäuerin "schöne Kühe" mit einem guten Fundament haben. Es sei Zeit für einen Wandel. Weg von immer größeren, immer mehr leistenden Tieren, die schon jetzt nicht mehr richtig in die Liegeboxen passen. Bei einem "Weiter so!" prognostiziert die - auch im Bundesverband deutscher Milchviehhalter aktive - Milchbäuerin ein System, bei dem der Bauer seine Färsen einkauft, wenige Jahre nutzt und dann verkauft. "Hochleistungskühe zu halten und alt werden zu lassen ist etwas für Künstler - die meisten von uns sind aber gute Handwerker", schließt Wosnitza.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 417 - Januar 2018, S. 14
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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(verbilligt auf Antrag 32,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Februar 2018

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