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VERBAND/1542: Ruhe vor dem Sturm - Interview mit Romuald Schaber, Deutsche Milchviehhalter (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 325 - September 2009
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

"Die Ruhe vor dem Sturm"

Der Vorsitzende des BDM, Romuald Schaber, zur flexiblen Mengenreduzierung,
Forderungen an Politiker und streikbereiten Milchbauern in Frankreich

Von Marcus Nürnberger


UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) hat sich in den vergangenen Monaten immer wieder an die Politiker gewandt und um Unterstützung gebeten. Die Politik scheint jedoch keine Notwendigkeit zu sehen, die derzeitige Situation am Milchmarkt beeinflussen zu müssen?

ROMUALD SCHABER: Da muss man natürlich differenzieren und genau hinschauen. Wenn man den großen Wurf erwartet hätte, den wir natürlich brauchen, um aus der Situation rauszukommen, dann kann man nicht zufrieden sein. Das ist vollkommen klar. Auf der anderen Seite sehen wir kleine Bewegungen. Die Marktbewertung ist vorgezogen worden. Es hat Vorschläge der Kommission gegeben, die natürlich noch unzureichend sind. Aber die Politik muss handeln. Und es gibt ja mittlerweile auch von einzelnen regionalen Politikern positive Äußerungen. Frau Lautenschläger aus Hessen beispielsweise will die Milchmenge reduzieren. Von Italien wird es eine Eingabe beim Europaparlament geben und vermutlich auch an den Agrarrat mit dem Vorschlag einer freiwilligen Mengenstilllegung auf europäischer Ebene.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Im großen und Ganzen macht es aber doch den Eindruck, dass die Politker mit der derzeitigen Entwicklung am Milchmarkt zufrieden sind.

ROMUALD SCHABER: Die Vorschläge der Kommission muss man von denen der Regionalinitiativen trennen. Die Vorschläge der Kommission dienen nur dazu, die eingeschlagene Richtung beizubehalten und zu rechtfertigen. Also keine grundsätzliche Änderung, dass hat Fischer Böel betont. Die Quote soll nicht wieder angewendet werden und auch der Vorschlag, die Intervention bis Februar aufrecht zu erhalten, dient nur dazu, die eingeschlagene Liberalisierung, die Ausdehnung der Menge beizubehalten und zu rechtfertigen. Das geht natürlich vollkommen in die falsche Richtung.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Das Konzept des BDM steht unter dem Titel: Wir helfen uns selbst. Bei der freiwilligen verpflichtenden Mengenstilllegung sollen aber die Molkereien eine anfallende Vergütung zahlen. Welchen Grund gibt es dafür anzunehmen, dass die Molkereien auf die Forderung eingehen? Profitiert die Molkereibranche nicht vielmehr von den derzeitigen Entwicklungen?

ROMUALD SCHABER: Also wenn man die Entwicklung nur aus der Sicht der zwei, drei größten Molkereien betrachtet, dann könnte man vielleicht zu diesem Schluss kommen. Aber wir haben ja in der Mehrzahl mittlere und kleine Molkereien. Und die müssen ein verstärktes Interesse an einer Mengenreduzierung haben. Zum Ersten weil sie in einem geräumten Markt mehr Wertschöpfung erzielen können, zum Zweiten weil sie ein Interesse am Fortbestand der Quotenregelung haben sollten. Denn die Quote sichert den Molkereien ein Stück Marktzugang. Das heißt wir werden nicht diesen gnadenlosen Verdrängungswettbewerb bekommen, der eintritt, wenn die Quote ausläuft. Das sind zwei ganz wichtige Argumente. Das Dritte ist, dass die Genossenschaftsmolkereien im Interesse ihrer Genossen eine Räumung des Marktes unterstützen müssen.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Unabhängig von einer Unterstützung durch die Verarbeiter müssen die Milchbauern doch aus rein ökonomischem Kalkül die Milchmenge reduzieren.

ROMUALD SCHABER: Das ist richtig. Aber ohne Gegenleistung wird es nicht gehen. Die derzeitigen Lösungen einer Mengensteuerung wie bei der Upländer in Hessen oder auch bei Scheitz in Bayern, also eine molkereiinterne Lösung, sind Leistungen der Bauern ohne definierte Gegenleistung der Molkerei. Dies mag bei kleinen Molkereien in einem begrenzten Bereich noch sinnvoll sein, ist aber für die gesamte Molkereiwirtschaft in Deutschland keine zielführende Lösung. Wirksame Konzepte sind derzeit nur mit Unterstützung sowohl der Molkereiwirtschaft, als auch der Politik umsetzbar.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Während der Streik vergangenes Jahr bei hohen Preisen vor allem politisch motiviert war, so liegt der Forderung nach einer Mengenreduzierung aktuell doch eine betriebswirtschaftlich ganz nüchterne Position zugrunde.

ROMUALD SCHABER: Die Beweggründe waren im vergangenen Jahr genau die gleichen. Wir hatten gesehen, dass die Quotenausdehnungen vom Markt nicht aufgenommen werden. Der Preis war, vor allem im Norden, im freien Fall und alle Unternehmungen hatten das Ziel, in Norddeutschland den Preis zu stärken und einen Einbruch im Süden zu verhindern. Bei dem aktuellen Vorschlag geht es darum, dass wir als Branche ein Ziel erreichen. Wenn die Molkereibranche mitzieht, wird sich die Politik schwer tun, ihre Unterstützung zu verweigern. Ziehen Politik und Molkereibranche aber nicht mit, dann wissen die Bauern, dass sie eine härtere Gangart einschlagen müssen.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Die Forderung nach einer Mengenregulierung in Bauernhand scheint derzeit in den Hintergrund gerückt zu sein. Steht der neue Vorschlag nicht in Konkurrenz zum Milchboard?

ROMUALD SCHABER: Wir haben die Schwierigkeit, dass viele Bauern aus teilweise sehr unterschiedlichen Gründen dem Milchboard derzeit nicht beitreten, andererseits aber durchaus gewillt sind, etwas zu unternehmen. Genau diesen Bauern wollten wir mit dem jetzigen Vorschlag eine Handlungsmöglichkeit eröffnen und gleichzeitig der Politik das Argument nehmen, die Bauern wollten gar keine individuelle Mengenreduktion.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Gibt es schon Reaktionen von Seiten der Molkereien?

ROMUALD SCHABER: Bisher noch nicht. Einzig der Milchindustrieverband hat geäußert, dass er es nicht unterstützen kann.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Immer wieder ist aktuell von bevorstehenden Milchpreiserhöhungen zu lesen. Welche Auswirkungen hat das auf das Engagement der Bauern im Kampf um faire Milchpreise?

ROMUALD SCHABER: Da müsste der Milchpreis schon deutlich ansteigen. Wir haben ja derzeit die Situation, dass den Bauern mindestens 15 Cent Milchgeld fehlen. Die Entwicklungen, die sich gegenwärtig am Markt abzeichnen, sind bei weitem nicht ausreichend um die Einkommenssituation der Bauern zu verbessern. Wir gehen davon aus, dass der Preis maximal 2 bis 3 Cent zum Herbst hin steigt. Wir brauchen aber Preise, die deutlich oberhalb von 30 Cent liegen. Die Fachleute, mit denen wir gesprochen haben, sehen überhaupt keine Aussicht, dieses Niveau ohne Einschränkungen der Menge zu erreichen.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: In Frankreich sieht man vieler Orten Transparente, die auf einen drohenden Milchstreik hinweisen. Unter welchen Bedingungen wäre ein Streik der Europäischen Milchbauern denkbar?

ROMUALD SCHABER: Entscheidend ist, was in Frankreich passiert. Die Franzosen haben in den letzten acht, neun Monaten eine dermaßen gute Bündelungsarbeit hingelegt, die wir uns in den kühnsten Träumen nicht vorstellen konnten. Man ist in engem Kontakt mit Politikern, macht systematische Aufbauarbeit, schafft Strukturen. Eine ganz tolle Arbeit! Die Franzosen sind entschlossen zu streiken.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Wie ist die Situation in Deutschland?

ROMUALD SCHABER: Ich würde die Situation als Ruhe vor dem Sturm bezeichnen. Wir hatten in Belgien eine ganz ähnliche Situation, in der die Bauern auf ihren Betrieben in ein Loch gefallen sind, aber als sie gesehen haben, was in Frankreich passierte und dass die Deutschen mit 1.000 Schleppern in Brüssel waren, da haben sie wieder Mut gefasst und sind jetzt hoch motiviert. Etwas Vergleichbares erwarte ich auch in Deutschland, wenn die Franzosen mit dem Streik beginnen. Ich gehe nicht davon aus, dass die deutschen Milchbauern dann ihre Hände in den Schoß legen.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Vielen Dank für das Gespräch


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 325 - September 2009, S. 6
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. September 2009