Deutsches Institut für Menschenrechte - 19. Juni 2017
Weltflüchtlingstag - Einschränkungen beim Familiennachzug sind menschenrechtswidrig
Berlin. Das Deutsche Institut für Menschenrechte erklärt anlässlich des Weltflüchtlingstags am 20. Juni und der heutigen Veröffentlichung der Empfehlungen des Menschenrechtskommissars des Europarats zum Familiennachzug:
"In Deutschland ist seit März 2016 das Recht auf Familienzusammenführung für nach Deutschland geflohene Menschen, die im Rahmen des Asylverfahrens als subsidiär Schutzberechtigte anerkannt worden sind, für zwei Jahre ausgesetzt. Das bedeutet, dass Menschen, die etwa aus Syrien geflohen sind, wo ihnen Folter, die Todesstrafe oder ernste Gefahr für Leib oder Leben infolge eines bewaffneten Konflikts drohen, momentan keinen Antrag auf Familienzusammenführung stellen können.
In der Praxis führt die Regelung dazu, dass Familien weit mehr als zwei
Jahre voneinander getrennt sind, zumal die anschließenden Visaverfahren
bei den deutschen Auslandsvertretungen oftmals etliche Monate oder auch
über ein Jahr dauern. Dies verstößt eindeutig gegen die
UN-Kinderrechtskonvention, nach der Anträge auf Familienzusammenführung
ausdrücklich 'beschleunigt' und unter vorrangiger Berücksichtigung des
Kindeswohls zu bearbeiten sind.
Auch jenseits dieser gesetzlichen Aussetzung des Familiennachzugs für die
Gruppe der subsidiär Schutzberechtigten sind in der Praxis für
unbegleitete Minderjährige, die als Flüchtlinge anerkannt sind,
gravierende Verschärfungen beim Familiennachzug zu beobachten. Zunehmend
wird deren minderjährigen Geschwistern der gleichzeitige Nachzug mit
ihren Eltern nach Deutschland verwehrt.
So kann es beispielsweise passieren, dass den Eltern eines aus Syrien geflohenen 16-Jährigen Visa erteilt werden, den jüngeren Geschwistern hingegen nicht. Eine solche Praxis missachtet ebenfalls die grund- und menschenrechtlich verankerten Prinzipien der Familieneinheit und des Vorrangs des Kindeswohls. Die Praxis ist insbesondere auf einen Runderlass des Auswärtige Amts vom März 2017 zurückzuführen. In der Konsequenz führt sie dazu, dass auch die Eltern nicht nach Deutschland nachziehen, die Familie auseinandergerissen bleibt und die Betroffenen verzweifeln.
Der Rechtsanspruch auf den Nachzug von engen Angehörigen der Familie ist
Teil des Rechts auf Familienleben, das für anerkannte Flüchtlinge und so
genannte subsidiär Schutzberechtigte gilt.
Dieses Recht ist nicht nur im Grundgesetz, sondern ebenso in zahlreichen
Menschenrechtskonventionen wie der Europäischen Menschenrechtskonvention
oder der UN-Kinderrechtskonvention verankert. Zudem muss beim
Familiennachzug der in der UN-Kinderrechtskonvention verbriefte Vorrang
des Kindeswohls beachtet werden.
Die unzulässigen Einschränkungen beim Familiennachzug führen zu
gravierenden Erschwernissen bei der Integration der nach Deutschland
geflohenen Menschen, etwa beim Deutschlernen, da sie ständig in Sorge um
die eigenen Familienangehörigen in Konfliktgebieten sind. Hierbei geht
viel Kraft der Menschen verloren. Je länger dieser Zustand andauert,
desto größer wird die Gefahr, dass Menschen daran zerbrechen.
Eine heute vom Menschenrechtskommissar des Europarats veröffentlichte Untersuchung untermauert, dass die Einschränkungen beim Familiennachzug in verschiedenen europäischen Staaten, darunter auch Deutschland, menschenrechtswidrig sind und beendet werden müssen."
Das Recht auf Familie. Familieneinheit von Kindern und Eltern ermöglichen
- auch für subsidiär Geschützte. Deutsches Institut für
Menschenrechte (Stellungnahme 16.12.2016).
http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/publikationen/show/das-recht-auf-familie/
Stellungnahme des Deutschen Instituts für Menschenrechte zur
öffentlichen Anhörung im Innenausschuss des Deutschen Bundestags am 20.
März 2017 zum Familiennachzug (16.03.2017).
http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/publikationen/show/stellungnahme-zum-gesetzentwurf-der-fraktion-buendnis-90die-gruenen-entwurf-eines-gesetzes-zur-aende/
Realising the right to familiy reunification of refugees in Europe, Issue
paper published by the Council of Europe, Commissioner for Human Rights,
May 2017, published 19 June 2017.
https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/index.php?RDCT=bfd7354f32461af1832a
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Quelle:
Pressemitteilung vom 19. Juni 2017
Deutsches Institut für Menschenrechte e. V.
Zimmerstr. 26/27, 10969 Berlin
Telefon: +49 30 259 359 0, Telefax: +49 30 259 359 59
E-Mail: info@institut-fuer-menschenrechte.de
www.institut-fuer-menschenrechte.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2017
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