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ASYL/1351: Verbindliche Gewaltschutzkonzepte in Flüchtlingsunterkünften gefordert (Flüchtlingsrat Niedersachsen)


Flüchtlingsrat Niedersachsen - 8. März 2019

8. März - Internationaler Frauentag

Flüchtlingsrat fordert verbindliche Gewaltschutzkonzepte in Flüchtlingsunterkünften


Anlässlich des Internationalen Frauentages fordert der Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. verbindliche Gewaltschutzkonzepte für Frauen in Flüchtlingsunterkünften. Für jede Form einer öffentlichen Unterbringung in Deutschland gibt es Auflagen und Bedingungen sowie Beiräte und Beschwerdestellen zur Gewährleistung von Mindeststandards sowie zum Schutz vor Willkür und Gewalt, nur für den Betrieb kommunaler Gemeinschaftunterkünfte gibt es keine Vorschriften. Nur in wenigen Kommunen (z.B. in Oldenburg) existieren überhaupt Konzepte zur Gewährleistung eines Gewaltschutzes. Das ist ein auf Dauer unterträglicher Zustand, der vor allem die besonders Schutzbedürftigen in Wohnheimen gefährdet.

Der Flüchtlingsrat Niedersachen e.V. fordert:

  • die Bereitstellung von eigenem Wohnraum für geflüchtete Frauen und Mädchen, aber auch andere besonders schutzbedürftige Menschen, z.B. LSBTTIQ.
  • verbindliche Gewaltschutzkonzepte für bestehende Flüchtlingsunterkünfte, u.a. zielgruppenspezifische Unterbringung für Frauen und andere vulnerable Menschen.
  • adäquate Beratung zu geschlechtsspezifischen Verfolgungsgründen noch vor der Anhörung im Asylverfahren.
  • Sicherstellung des Schutzes der Frauen, insbesondere sollte es nach Gewalterfahrungen eine unkomplizierte Umverteilung der schutzsuchenden Frauen in andere Regionen geben, auch während laufender Asylverfahren.
  • mehr zielgruppenspezifische Empowerment-Projekte zur Stärkung der Arbeitsmarktintegration und der ökonomischen Unabhängigkeit von Frauen.

Die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen, die bereits ein Gewaltschutzkonzept für die Einrichtungen des Landes vorgelegt und fortgeschrieben hat, und die Kommunen sind aufgerufen, in Gemeinschaftsunterkünften für die Prävention vor physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt Sorge zu tragen und menschenwürdige, schützende und fördernde Rahmenbedingungen für alle Bewohner_innen und insbesondere auch für mehrfachbenachteiligte und vulnerable Gruppen, wie Frauen und Mädchen, zu bieten. Dies erfordert eine flächendeckende Implementierung von Gewaltschutz und die Etablierung verbindlicher rechtlicher Grundlagen und Mindeststandards, wie sie bereits vom Bundesfamilienministerium, UNICEF und zahlreichen Expert_innen erarbeitet wurden. Diese Mindeststandards zum Schutz von Menschen in Flüchtlingsunterkünften sollten zukünftig verbindlicher umgesetzt und die Einhaltung der Standards überwacht werden.


Hintergrund:

Frauen machen ca. 45% der Geflüchteten in Europa aus und stellen eine große und weiter wachsende Gruppe dar. Ungefähr eine halbe Million Frauen haben, Eurostat-Daten zufolge, seit 2015 in Europa internationalen Schutz erhalten. Dennoch ist das Bild in der aktuellen Flüchtlingsdebatte nach wie vor überwiegend männlich geprägt. Über die Lebensbedingungen von geflüchteten Frauen und über die geschlechtsspezifischen Herausforderungen, mit denen weibliche Geflüchtete konfrontiert sind, ist noch viel zu wenig bekannt.

In einem aktuellen OECD-Bericht von 2018 wird erstmalig in einer umfassenden Überblickstudie die hohe Vulnerabilität und Mehrfachbenachteiligung von Frauen analysiert. Frauen sind vor, während und nach der Flucht in erhöhtem Ausmaß von Gewalterfahrungen, sexuellen Übergriffen, Traumatisierungen und Familientrennungen betroffen. Eine Vielzahl von Frauen flieht aufgrund von geschlechtsspezifischer Verfolgung aus den Herkunftsländern.

Nur sehr langsam wird für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sichtbar, dass in der Flüchtlings- und Integrationspolitik Frauen mit ihren spezifischen Bedürfnissen bislang nicht systematisch mitgedacht wurden. So zeigen aktuelle Studien, dass geflüchtete Frauen deutlich weniger an Integrationsmaßnahmen teilnehmen, schwerer auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen und weniger Kontakt zur hier lang ansässigen Bevölkerung haben.

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. sieht insbesondere große Handlungsbedarfe bezüglich der oftmals schwierigen Wohnsituation von geflüchteten Frauen und Mädchen. Studien zeigen, dass vor allem weibliche Geflüchtete unter den Bedingungen in Gemeinschaftsunterkünften leiden. Es fehlt dort in der Regel an Privatsphäre und Selbstbestimmtheit, die Frauen und Mädchen leiden unter den bürokratischen Regeln und sind vermehrt häuslicher Gewalt, psychischem Druck und sexuellen Übergriffen ausgesetzt. Gemeinschaftsunterkünfte sind strukturell konflikt- und gewaltfördernd.


Literaturhinweise:

- Hellwig, Vivien; Müller, Laura (Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.) (2019): "Rechtlich verbindliche Gewaltschutzkonzepte sind dringend nötig!", Zeitung des Hannoverschen Frauenbündnis Internationaler Frauentag. Hannover, Seite 7.

- Liebig, Thomas (2018) "Dreifach benachteiligt? Ein erster Überblick über die Integration weiblicher Flüchtlinge", OECD Publishing, Paris.

- Gemeinsames Konzept des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung (MS) und des Ministeriums für Inneres und Sport (MI) für den Gewaltschutz in Aufnahmeeinrichtungen des Landes für geflüchtete Menschen - Fortschreibung (2019)

- AMBA 2-Netzwerk (04.02.2019): Kommentierung des Gewaltschutzkonzeptes des Landes - Fortschreibung

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Quelle:
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
Röpkestr. 12, 30173 Hannover
Telefon: 0511/98 24 60 30, Fax: 0511/98 24 60 31
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E-Mail: nds@nds-fluerat.org
Internet: www.nds-fluerat.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. März 2019

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