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ASYL/587: Abschiebehaft - unvertretbar lange Haftdauer (Der Schlepper)


Der Schlepper Nr. 47 - Frühling 2009
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in Schleswig-Holstein

"...eine unvertretbar lange Haftdauer..."

Der Landesbeirat für die Abschiebungshaft in Schleswig-Holstein legt seinen Jahresbericht 2008 vor


Im Folgenden dokumentieren wir aus dem am 26.3.2009 veröffentlichten Jahresbericht 2008 die Kritik des Beirats an der rechtlichen Umsetzung der Abschiebungshaft insbesondere am Umgangs mit inhaftierten Kinderflüchtlingen.


Die an dieser Stelle in den vorangegangenen Berichten geäußerte Kritik an der Anordnung der Abschiebungshaft ist bedauerlicherweise auch für das Berichtsjahr 2008 zu erheben. Nach wie vor wird die Haft in Fällen angeordnet, in denen sie wegen der Bereitschaft der Betroffenen, die Bundesrepublik zu verlassen, nicht erforderlich ist. Die Anordnung der Haft erfolgt jeweils nach einem Anordnungsantrag durch die Ausländerbehörde oder die Bundespolizei durch die Amtsgerichte.

Die hohe Zahl der entlassenen Häftlinge (43 Personen bzw. 14,19 % in 2008) zeigt, dass die Haft häufig insofern zu Unrecht angeordnet wurde, als sich die Ab- oder Zurückschiebung des Betroffenen als nicht durchführbar erwies. Auch das so genannte Beschleunigungsgebot, wonach die zuständigen Behörden alle Anstrengungen zu unternehmen haben, die angestrebte Ab- oder Zurückschiebung ohne zeitlichen Verzug zu betreiben, ist häufig nicht beachtet worden.


Nachdem das Abschiebungsgefängnis Rendsburg im Januar 2003 den Betrieb aufgenommen hatte, wurde im Februar 2003 der Landesbeirat für den Vollzug der Abschiebungshaft in Schleswig-Holstein gebildet. Die Aufgaben des Landesbeirates ergeben sich aus § 18 der Richtlinien für den Vollzug der Abschiebungshaft in Schleswig-Holstein. Der Landesbeirat veröffentlicht jährlich einen Bericht zur Abschiebungshaft in Schleswig-Holstein.

Sämtliche Jahresberichte des Landesbeirats finden sich im Internet: www.frsh.de/abschiebmaterial/ abschiebehaft.html


Haftdauer

In mehreren Fällen ist es 2008 zu einer unvertretbar langen Haftdauer gekommen: die Haftdauer betrug in jeweils einem Fall 170 bzw. 174 Tage, in zwei Fällen sogar 191 Tage, also länger als sechs Monate. Grundsätzlich ist die gesetzliche Höchstdauer der Abschiebungshaft auf sechs Monate beschränkt. Sie darf nur verlängert werden, wenn der Betroffene seine Abschiebung verhindert. Steht jedoch fest, dass die Abschiebung aus Gründen, die der Betroffene nicht zu vertreten hat, innerhalb von drei Monaten nicht durchgeführt werden kann, darf die Abschiebungshaft gar nicht erst angeordnet werden.

Auffällig ist, dass die lange Haftdauer in den genannten Fällen von zwei schleswig-holsteinischen Ausländerbehörden betrieben worden ist. Diese Behörden geraten nicht nur mit den gesetzlichen Bestimmungen in Konflikt, sondern auch mit dem neu gefassten Erlass des Innenministeriums, der die Ausländerbehörden zur besonderen Beachtung des Beschleunigungsgebots verpflichtet (Anm. d. Red.: vgl. www.frsh.de/behoe/pdf/imsh_ abschiebehaft_25022008.pdf).


Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

Als besonders gravierend bewertet der Landesbeirat die Verstöße bei der Anordnung der Abschiebungshaft gegenüber unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen im Alter von 16 und 17 Jahren. Die vielfach - nicht nur von dem Landesbeirat - geäußerte Kritik an dem Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen hat bislang zu keiner Verbesserung in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis geführt.

Vielmehr ist im Jahr 2008 die Zahl der Anordnungen der Abschiebungshaft gegenüber Jugendlichen im Vergleich zum Vorjahr erheblich - nämlich um das 4,5-fache von drei auf vierzehn Häftlinge - angestiegen. Die Ursache dieses Anstiegs könnte auch darin liegen, dass das für die Durchführung der Abschiebungshaft zuständige Justizministerium durch eine Änderung der einschlägigen Richtlinien die für männliche Erwachsene eingerichtete Abschiebungshaftanstalt in Rendsburg auch für jugendliche Abschiebungshäftlinge zugelassen hat. Vorher wurden diese überwiegend im Jugendstrafvollzug der Jugendanstalt Neumünster untergebracht.

Der Landesbeirat hat leider Veranlassung, erneut darauf hinzuweisen, dass es bei dem Umgang mit jugendlichen Flüchtlingen zu zahlreichen und erheblichen Rechtsverstößen kommt.


Ämter missachten Jugendschutz

Nach einer 2005 in Kraft getretenen jugendschutzrechtlichen Bestimmung sind die zuständigen Jugendämter verpflichtet, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in einer geeigneten Einrichtung mit fachlicher Betreuung "in Obhut zu nehmen".

Diese gesetzliche Schutzvorschrift ist für die zuständigen Jugendämter verpflichtend. Ermessensspielräume stehen ihnen nicht zur Verfügung. Die Vorschrift wird in der Praxis jedoch häufig missachtet. Jugendliche Flüchtlinge werden in Flüchtlings-Gemeinschaftsunterkünfte eingewiesen, im schlimmsten Fall werden sie in Abschiebungshaft genommen.

Der Landesbeirat begrüßt ausdrücklich, dass eine aus Vertreterinnen und Vertretern nichtstaatlicher Organisationen und des Flüchtlingsbeauftragten des Landes besetzte Arbeitsgruppe eine Handreichung zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen erarbeitet und veröffentlicht hat (Anm. d. Red.: siehe www.frsh.de/lifeline_relaunch/ pdf/UMF_handreichung_12_2008_download. pdf). Sie enthält Vorschläge, wie künftig mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen umgegangen werden sollte. Zu fragen bleibt allerdings, warum eine solche Initiative nicht von den zuständigen Ministerien der Landesregierung ausgegangen ist.


Kosten der Abschiebungen unklar

Laut Auskunft des Kieler Innenministeriums (Drucksache 16/2540) auf eine parlamentarische Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen lässt es sich die Landesregierung Schleswig-Holstein trotz kaum noch relevanter Asylzugangszahlen weiterhin etwas kosten, um erfolglose Flüchtlinge in ihre Herkunftsländer abzuschieben. Doch genau in die Karten schauen lässt sie sich nicht.

Die Vollstreckung der Abschiebungen erledigt in Landeszuständigkeit inzwischen fast ausschließlich das Landesamt für Ausländerangelegenheiten in Neumünster. Die Abschiebungen bleiben 2008 mit 262 auf ähnlichem Niveau wie 2007 (271). 94 % wurden in Linienflügen abgeschoben; 6% in Sammelchartern. Über die von der Bundespolizei in Eigenverantwortung aus Schleswig-Holstein heraus durchgeführten Abschiebungen macht das Innenministerium weder statistische noch finanzielle Angaben.

Die Antwort der Landesregierung auf die Frage nach den Kosten bleibt widersprüchlich. Während zum einen detailliert landesamtlicher, polizeilicher oder kommunaler Personaleinsatz bei Vollzug von Abschiebungen referiert wird, heißt es an anderer Stelle: "Eine statistische Erfassung aller im Rahmen von Abschiebungen angefallenen Personalkosten erfolgt weder beim LfA noch bei dem in diesem Zusammenhang tätig gewordenen Kreis." Ob das Innenministerium mit dem Verzicht des Personalkostenanteils bei der Angabe von Abschiebungskosten von 249.704 EUR im Jahr 2008 (2007: 244.186 EUR) das Gemüt des kritischen Steuerzahlers schonen möchte, bleibt Spekulationen überlassen.

Wenn es hingegen darum geht, den betroffenen "Schüblingen" ggf. selbst den Preis ihrer Abschiebung aufzudrücken (§ 66 AufenthG), scheint die Ermittlung der anfallenden Personalkosten nach innenministerieller Auskunft plötzlich kein Problem mehr zu sein: "Sofern angefallene Personalkosten bestimmten Kostenschuldnern nach den Regelungen des Aufenthaltsgesetzes (6. Kapitel) in Rechnung gestellt werden können, werden diese im Einzelfall durch das LfA nach der Personalkostentabelle des Landes berechnet."

Martin Link, Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.

Die Drucksache 16/2540 steht im Internet: http://www.frsh.de/abschiebmaterial/abschiebehaft.html


Fehlende Rechtsberatung

Es gibt immer noch keine wirksame und ausreichend qualifizierte Rechtsberatung und -vertretung für minderjährige Abschiebungshäftlinge. Obwohl minderjährig und nach deutschem Zivilrecht allein nicht in der Lage, ein Rechtsgeschäft abzuschließen, aus dem nicht lediglich Vorteile erwachsen, werden jugendliche Flüchtlinge ohne gesetzliche Vertretung und ohne Rechtsbeistand in Abschiebungshaft genommen, also ihrer Freiheit beraubt.

Seit etwa zwei Jahren ist der Landesbeirat bemüht, das Justizministerium dazu zu bewegen, den in Abschiebungshaft genommenen Jugendlichen zu ermögli chen, sich bei Finanzierung aus öffentlichen Mitteln von einer Rechtsanwältin oder einem Rechtsanwalt beraten und gegebenenfalls auch in einem Beschwerdeverfahren vertreten zu lassen.

Eine abschließende Antwort hat der Landesbeirat von dem Justizministerium bis Ende 2008 nicht erhalten, auf wiederholtes Nachfragen wurde von einer Vertreterin des Ministeriums immer wieder erklärt, das Anliegen werde "noch geprüft". Der Landesbeirat sucht noch nach einer Formulierung, mit der dieser außerordentliche Einsatz des Justizministeriums angemessen gewürdigt werden könnte.

In der Sache besteht weiterhin erheblicher Handlungsbedarf. Nach Auffassung des Landesbeirates ist es dringend erforderlich, den betroffenen - in der Regel hilf- und mittellosen - Jugendlichen in der Abschiebungshaft eine kostenlose Rechtsberatung und -vertretung durch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte anzubieten. Sie sind häufig psychisch stark belastet und zum Teil wohl auch traumatisiert. Und es besteht erhebliche Gefahr, dass sie durch die Abschiebungshaft zusätzlich geschädigt werden.


Landesbeirat fordert Haftverschonung für Traumatisierte

Der Landesbeirat vertritt weiterhin die Auffassung, dass traumatisierte Menschen nicht in Abschiebungshaft kommen sollen. Kriegs-, folter- oder gewalttraumatisierte Flüchtlinge sind bei eindeutiger Feststellung ihrer Traumatisierung sofort aus der Haft zu entlassen und medizinischtherapeutisch zu versorgen.

Da Traumatisierungen häufig zu komplexen Folgestörungen führen, zeigen sich die sichtbaren und offensichtlichen Folgen in einer großen Bandbreite von psychisch auffälligem Verhalten. Diese ersten Hinweise auf eine Traumatisierung werden insbesondere von den Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern des Diakonievereins Migration e.V. wahrgenommen und nach Möglichkeit weiter verfolgt. Bei gewichtigen Hinweisen sollten ärztliche oder psychologisch-psychotherapeutische Sachverständige hinzugezogen werden.

Im Jahre 2008 gab es mehrere Fälle von Jugendlichen in der Abschiebungshaft, bei denen eine Traumafolgestörung diagnostiziert wurde. In zwei Fällen kam es zu einer zeitnahen Entlassung aus der Abschiebungshaft. In einem Fall wurde der jugendliche Häftling nach Finnland abgeschoben, obwohl sich der sorgeberechtigte Vater in Norwegen aufhielt.

Es muss befürchtet werden, dass die Abschiebungshaft bei Jugendlichen eine Retraumatisierung bewirkt und sich die psychischen Folgen durch die Abschiebungshaft verstärken und verfestigen.

Der Landesbeirat tritt darum aus humanitären Gründen weiterhin dafür ein, eine Traumatisierung als Abschiebungshindernis anzuerkennen und den Betroffenen eine Chance zu geben, nach der Entlassung aus der Abschiebungshaft in Deutschland ihr Asylbegehren prüfen zu lassen. Von der Zurückschiebung von traumatisierten Flüchtlingen sollte vor allem dann abgesehen werden, wenn Familienangehörige und Verwandte in Deutschland leben, die eine hilfreiche psycho-soziale Unterstützung bei der Bewältigung und Integration von traumatischen Erfahrungen leisten könnten.

Auszug aus dem Jahresbericht 2008 des Landesbeirats für den Vollzug der Abschiebungshaft in Schleswig-Holstein


Missachtung der UN-Kinderrechtskonvention

Zudem ist eine Rechtsberatung und -vertretung rechtlich nach Art. 37 Buchstabe d der UN-Kinderrechtskonvention geboten. Sie schützt Menschen, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Nach der genannten Vorschrift ist sicher zu stellen, dass jedes "Kind, dem die Freiheit entzogen wird, das Recht auf umgehenden Zugang zu einem rechtskundigen ... Beistand und das Recht hat, die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung bei einem Gericht ... anzufechten".

Dieses Recht kann nur umsetzen, wer die für den Rechtsbeistand und das Verfahren notwendigen Kosten aufbringen kann, dazu sind die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge regelmäßig nicht in der Lage. Das im deutschen Recht verankerte Institut der Prozesskostenhilfe ist - wie von Fachleuten mehrfach dargelegt - nicht geeignet, in derartigen Fällen wirksam zu helfen.

Insgesamt hält der Landesbeirat an seiner Kritik an der Inhaftierung Jugendlicher in der Abschiebungshaftanstalt in Rendsburg fest. Die Abschiebungshaftanstalt in Rendsburg ist ausschließlich für die Unterbringung männlicher Erwachsener eingerichtet worden. Es fehlt an einer Trennung zwischen erwachsenen und jugendlichen Häftlingen und vor allem an speziell auf Jugendliche und deren Bedürfnisse ausgerichteten Angeboten.

Auch in diesem Zusammenhang ist die Missachtung der UN-Kinderrechtskonvention durch das Justizministerium zu beanstanden. Diese bestimmt in Art. 37 Buchstabe c, dass "jedes Kind, dem die Freiheit entzogen ist, von Erwachsenen" grundsätzlich "zu trennen" ist.


Zum Landesbeirat für den Vollzug der Abschiebungshaft in Schleswig-Holstein gehören der Arzt Dr. Manfred Berger, Diplom Psychologe Hajo Engbers, Pastor Hans-Joachim Haeger, Landeszuwanderungsbeauftragter Wulf Jöhnk, die Mitarbeiterin der Diakonie Doris Kratz-Hinrichsen und die Landtagsabgeordnete Anna Schlosser-Keichel.


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Quelle:
Der Schlepper Nr. 47 - Frühling 2009, Seite 31-33
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in
Schleswig-Holstein
Herausgeber: Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
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Der Schlepper online im Internet: www.frsh.de/schlepp.htm

Der Schlepper erscheint vierteljährlich als Rundbrief
des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2009