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ASYL/589: Stellungnahme von PRO ASYL zur Lage in Griechenland (Der Schlepper)


Der Schlepper Nr. 47 - Frühling 2009
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in Schleswig-Holstein

Pro Asyl versus Bundesministerium und BAMF
Stellungnahme von PRO ASYL zur Lage in Griechenland

Von Anke Immenroth


Im November 2008 reiste eine deutsche Bundesamtsdelegation nach Griechenland, um sich ein eigenes Bild von der Situation in Griechenland zu machen. In einer Stellungnahme kritisiert Pro Asyl den daraus entstanden Bericht.

Im Folgenden werden einige der zentralen Kritikpunkte von PRO ASYL zusammenfassend erläutert.


Das Bundesamt und das Bundesinnenministerium stellt die Lage nur sehr selektiv dar, nennt unplausible Zahlen und blendet eindeutige Fakten aus. Irritierend sei, so Pro Asyl, dass einige kritische Details zur Flüchtlingssituation, über die ein ausführlicher Dienstreisebericht des Bundesamtes informiert, in den Stellungnahmen an die Verwaltungsgerichte nicht mehr erwähnt werden.

Unberücksichtigt bleiben unter anderem folgende Aspekte:

Die Verweigerung der Entgegennahme von Asylanträgen

Die zentrale Asyl- und Ausländerbehörde in der Petrou-Ralli-Straße in Athen nimmt lediglich am Wochenende Asylgesuche entgegen. Nach dem Bericht des Schweizer Bundesamtes und weiteren Quellen stehen wöchentlich bis zu 2.000 MigrantInnen in der Warteschlange. Es werden jedoch nur 300 Gesuche entgegengenommen. Es kann davon ausgegangen werden, dass ein großer Teil der Asylanträge bisher gar nicht formell registriert werden konnte bzw. Asylanträge gar nicht angenommen worden sind. Schutzsuchende, die ihren Antrag auf Asyl nicht stellen können, droht aber Inhaftierung und Abschiebung.

In der Stellungnahme des Bundesinnenministeriums steht: Es handele sich "um eine Serviceleistung", wenn die Asylantragsstellung an den Wochenenden möglich ist, da "die Antragssteller unter der Woche zumeist arbeiten". Es gehört schon viel Ignoranz oder Zynismus dazu, eine derartige Behauptung aufzustellen. Die meisten Menschen warten bis zu 24 Stunden vor diesem Gebäude, und leider reicht der Service nicht aus, um Toiletten, Mülleimer oder einen Regenschutz anzustellen. Zudem besitzen die Flüchtlinge weder einen Aufenthaltsstatus noch eine Arbeitserlaubnis, bevor kein Asylantrag gestellt wurde. Das Bundesinnenministerium vermutet vielleicht, dass die staatliche Unterstützung für Flüchtlinge in Griechenland sowieso nicht zum Überleben reicht und "die Antragssteller", die "unter der Woche zumeist arbeiten", daher illegal beschäftigt sind.

Der griechische Ombudsmann sieht die Zentralisierung der Asylantragsstellung und -überprüfung in Athen und die damit verbundenen Schwierigkeiten als "absoluten Gegensatz zum Grundgedanken des politischen Asyls".

"Übermäßige Härten" im Umgang mit den Flüchtlingen sind die Folge der offensichtlichen Überforderung und Überlastung der griechischen Ausländer- und Migrationsbehörden.

Der Menschenrechtskommissar des Europarates, Thomas Hammarberg, stellt aufgrund dieser "schweren strukturellen Mängel" das Grundrecht auf Asyl in Griechenland infrage.

Die unzureichende Verfahrensweise der Asylanhörungen und die Erste Asylinstanz

Asylanträge werden abgelehnt und Flüchtlinge werden ohne ausreichende Überprüfung der einzelnen Fälle abgeschoben. 2008 wurden lediglich 0,02 % der Asylanträge anerkannt. Anhörungen sind nach den Angaben einer griechischen Rechtsanwältin oft nach wenigen Minuten beendet, durchschnittlich dauern sie 20 Minuten. Die Ablehnungsbescheide enthalten zumeist keine Befassung mit den vorgetragenen Asylgründen. Aus Sicht von UNHCR lässt sich das erstinstanzliche Asylverfahren in Griechenland nicht mit den internationalen Standards vereinbaren.

Das Fehlen von DolmetscherInnen bei der Asylanhörung von Dublinüberstellten am Athener Flughafen

Immer wieder treten Fälle auf, in denen FlugbegleiterInnen von verschiedenen Airlines als "sprachkundige MittlerInnen" eine professionelle Übersetzung während einer Asylanhörung am Flughafen ersetzen. Ebenso werden kurze Anhörungen oder Belehrungen gänzlich ohne DolmetscherIn von der Polizei durchgeführt.

Hinweise einer aus Deutschland überführten irakischen Familie auf menschenunwürdige und "katastrophale" Unterbringung am Flughafen.

Diese Hinweise werden übergangen, ohne überprüft zu werden.


Die Obdachlosenproblematik für Flüchtlinge, Asylsuchenden und Dublin-Überstellte

VertreterInnen des Griechischen Flüchtlingsrates gehen davon aus, dass für ca. 23.000 Personen nur 900 Unterbringungsplätze in Flüchtlingsunterkünften zur Verfügung stehen. Die sogenannte "Rosa Karte" wird an die Flüchtlinge ausgehändigt, die einen Asylantrag gestellt haben. Aber erst durch die Angabe eines Wohnsitzes auf der "Rosa Karte" erhält der Asylsuchende eine Arbeitserlaubnis. Die obdachlosen Flüchtlinge besitzen somit weder eine Möglichkeit, legal zu arbeiten, noch die Möglichkeit per Post über den Verlauf ihres Asylverfahrens informiert zu werden. Öffentliche Aushänge informieren dann über Meldefristen usw., worüber die wenigsten AntragstellerInnen informiert sind. Das führt wiederum häufig zur Beendigung des Asylverfahrens.

Viele Flüchtlinge leben in Parks, bauen sich provisorische Notunterkünfte oder teilen sich "schichtweise" vorhandene Schlafplätze. Die Organisation Human Rights Watch geht davon aus, dass ungefähr 1.000 Flüchtlingskinder und viele Familien schutzlos und ohne staatliche Unterstützung der Obdachlosigkeit ausgesetzt sind.

Durch die allgemeine Obdachlosenproblematik in Athen spitzt sich mittlerweile die gesamte soziale Situation weiter zu. In der PetrouRalli-Straße in Athen, dem Sitz der Ausländer- und Migrationsbehörde, ist es - laut dem Bericht des Schweizer Bundesamtes vom Januar 2009 - wiederholt zu Zusammenstößen zwischen den dort wartenden Flüchtlingen und den Ordnungskräften gekommen.

Verantwortlich für die Eskalation dieser Konflikte sind unter anderem die Migrationsbehörden sowie die politischen Instanzen, die die fatale Not der Schutzsuchenden in Griechenland ignorieren und die Konsequenzen einer auf Abschreckung und Aussitzen beruhenden Flüchtlings- und Asylpolitik nicht bedenken - oder in Kauf nehmen.

Die Überlastung der Zweiten Instanz und aufgrund der Zusammensetzung die fehlende Unabhängigkeit dieses Komitees

Die Beschränkung der Dritten Instanz

Die Dritte Instanz - Council State - überprüft in Griechenland lediglich Formfehler und nicht die inhaltlichen Aspekte der Entscheidung der Zweiten Instanz.

Inhaftierung von Flüchtlingen

2008 wurden auf der Insel Lesbos 3.252 Menschen laut UNHCR inhaftiert, auch Minderjährige, zum großen Teil unbegleitete Kinder und Jugendliche waren bis zu drei Monaten im Haftzentrum der Insel unter menschenunwürdigen Bedingungen inhaftiert.

Angesichts dieser dramatischen Zustände und der vielfach menschenunwürdigen Verfahrensweisen fordert Pro Asyl im Einklang mit UNHCR die Überstellung Asylsuchender nach Griechenland einzustellen.


Anke Immenroth lebt in Kiel und ist Mitglied des
Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein.

Der Bericht

"Zur aktuellen Situation von Asylsuchenden in Griechenland - Stellungnahme zu Einschätzungen des Bundesministeriums und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge"

von Karl Kopp, Europareferent von PRO ASYL, kann heruntergeladen werden unter www.proasyl.de.


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Quelle:
Der Schlepper Nr. 47 - Frühling 2009, Seite
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in
Schleswig-Holstein
Herausgeber: Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
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Der Schlepper online im Internet: www.frsh.de/schlepp.htm

Der Schlepper erscheint vierteljährlich als Rundbrief
des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2009