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ASYL/719: Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen (Der Schlepper)


Der Schlepper Nr. 55/56 - Sommer 2011
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in Schleswig-Holstein

Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen
Was bringt das Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz (BQFG)?

von Markus Saxiner


Wo ausgebildete ÄrztInnen durch Taxifahren ihren Lebensunterhalt verdienen und IngenieurInnen als HilfsarbeiterInnen tätig sind, läuft etwas schief. In Deutschland ist dies Realität. Tausende gut ausgebildete MigrantInnen hofften bislang vergebens, ihre Ausbildungsabschlüsse und Qualifikationen aus dem Herkunftsland in Deutschland anerkennen zu lassen.


Selbst wenn es Flüchtlingen und MigrantInnen gelingt, in Deutschland ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu erlangen, bleiben weitere Formen sozialer Ausgrenzung bestehen: die Geringschätzung und Ablehnung von mitgebrachtem Wissen und Fähigkeiten wiegt dabei für manche am schlimmsten. Vielfach nutzen ArbeitgeberInnen derart herabqualifizierte MigrantInnen als Fachkräfte mit der geringen Bezahlung ungelernter Hilfskräfte aus. Während nicht wenige Betroffene resignieren, gab es für die hiesigen Gesetzgeber lange keinen Anlass, dieser Form der Diskriminierung entgegenzutreten.

Doch mittlerweile steht Deutschland in Folge des demographischen Wandels und struktureller Veränderungen am Arbeitsmarkt vor neuen Herausforderungen: Es herrscht bereits heute in vielen Bereich ein Fachkräftemangel, der sich in den nächsten Jahren verstärken wird. Gleichzeitig ist Deutschland angehalten, seine Rechtsprechung den EU-Normen anzupassen, wonach die bisherige Praxis der Anerkennungsverfahren von ausländischen Abschlüssen nicht mehr länger aufrecht erhalten werden kann. Dementsprechend befindet sich derzeit ein Bundesgesetz im Gesetzgebungsverfahren, das die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen erleichtern soll. Das 'Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikation' oder kurz Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz - BQFG wurde am 23.03.2011 vom Bundeskabinett verabschiedet und wird voraussichtlich im Frühjahr 2012 in Kraft treten.

Kernpunkt des BQFG ist, dass es künftig einen Rechtsanspruch auf ein Feststellungsverfahren der beruflichen Qualifikation für alle Personen unabhängig von Herkunft oder Aufenthaltsstatus geben soll. Bislang bestand dieser Anspruch lediglich als Sonderregelung nur für EU-BürgerInnen und SpätaussiedlerInnen. Diese Benachteiligung von Personen aus Drittstaaten soll künftig entfallen, die Staatsangehörigkeit der antragstellenden Person soll keine Rolle mehr spielen.

Bislang ist die staatliche Anerkennung des Abschlusses bei der Ausübung eines reglementierten Berufes zwingend nötig - also bei allen Berufen, bei denen die Berufsausübung an Rechts- und Verwaltungsvorschriften gebunden ist. Viele Berufe sind nicht reglementiert und können ohne Prüfungszeugnis bzw. staatliche Anerkennung ausgeübt werden. Hier liegt es an den ArbeitgeberInnen, ob sie einen Abschluss für die Gehaltseinstufungen anerkennen oder nicht.

Der Anspruch auf ein Verfahren soll zukünftig für reglementierte und nicht reglementierte Berufe gelten: Bei den reglementierten Berufe wird in den Bescheiden der zuständigen Anerkennungsstellen festgestellt, durch welche Maßnahmen eventuell festgestellte wesentliche Unterschiede gegenüber dem erforderlichen inländischen Ausbildungsnachweis ausgeglichen werden können. Für nicht reglementierte Berufe sind solche Anpassungsqualifikationen jedoch nicht vorgesehen.

Das Gesetz sieht vor, dass die Durchführung des Anerkennungsverfahrens maximal drei Monate in Anspruch nehmen darf. Da jedoch durch die Erweiterung der Personen- und Berufsgruppen, die einen Antrag auf Anerkennung stellen können, mit sehr vielen Verfahren in der Anfangsphase gerechnet wird, ist eine einjährige Übergangsphase vorgesehen, in der diese Frist noch nicht gilt.

Im Fall von fehlenden oder verlorenen Dokumenten ist die Anerkennungsstelle befugt, andere geeignete Verfahren durchzuführen, z.B. Fach- bzw. Prüfungsgespräche oder Arbeitsproben und Prüfungen. Diese Möglichkeit ist vor allem für Flüchtlinge relevant, die ihre Dokumente auf der Flucht verloren, nicht mitgebracht haben und aufgrund der Umstände nicht mehr besorgen können.

Daneben gibt es weitere Kritikpunkte am BQFG. So sieht der jetzige Gesetzentwurf keinen Rechtsanspruch auf Beratung vor. Beratung aber ist dringend nötig, um potenziellen AntragsstellerInnen einen Überblick darüber zu geben, an welche Stelle sie sich mit der jeweiligen Berufsqualifizierung überhaupt wenden müssen. So kritisiert der Bundesverband der Diakonie in einer Stellungnahme vom 14.03.2011, dass die Betroffenen ohne die Verankerung von Beratungsangeboten im BQFG im Anerkennungsdschungel allein gelassen werden
(www.diakonie.de/ DWEKD_StN__Berufsquali_gesetz-20110314.pdf).

Weiterer Handlungsbedarf zeigt sich bei den Anpassungsqualifizierungen. Die bisherige Anerkennungspraxis zeigt, dass eine vollständige Berufsanerkennung selten erfolgt und im Fall einer Teilanerkennung entsprechende Anpassungsqualifizierungen fehlen. Eine entsprechende Kooperation mit den Bildungsträgern zur passenden Vermittlung von Anpassungsqualifizierung ist aber leider nicht vorgesehen. Auch die Finanzierbarkeit für die Betroffenen ist nicht klar geregelt. Es gibt keine Hinweise, wer die Kosten für Prüfungen, Arbeitsproben und Fachgespräche übernimmt, wenn keine Dokumente vorliegen. Fraglich ist auch die Finanzierung der Anpassungsqualifizierung im Fall einer Teil-Anerkennung. Anregen möchten wir, bei der Durchführung von Anpassungsqualifikationen auch berufsbezogene Sprachmodule einzuplanen.

Interessant ist, wie die Umsetzung des Gesetzes in Schleswig-Holstein geplant und vorangetrieben wird, denn die Regelungen des BQFG gelten nur für bundesrechtlich geregelte Berufe. Die Bundesländer sind aufgefordert, ihre landesrechtlichen Regelungen anzupassen. Das gilt z.B. für LehrerInnen, IngenieurInnen, ErzieherInnen und ArchitektInnen.

Der Kieler Landtag diskutierte am 25.03.11 das Thema Anerkennung von ausländischen Abschlüssen. Zunächst waren sich alle Fraktionen darin einig, dass der Zugang zum Arbeitsmarkt für MigrantInnen durch die häufig fehlende Anerkennung ihrer mitgebrachten Abschlüsse erschwert ist und deshalb ein dringender Handlungsbedarf besteht. Während CDU und FDP "das Potenzial dieser Menschen besser nutzen" möchten, kritisieren SSW und DIE LINKE, dass die Menschen und nicht die Wirtschaft im Mittelpunkt der Debatte stehen müssen. Erfreulich ist, dass auch der Antrag von CDU und FDP sich für die Finanzierung von Erstanlaufstellen zur Beratung und Nachqualifizierungsmaßnahmen einsetzt. Bündnis 90/Die Grünen betonen, dass gut ausgestattete und praktikable Anpassungsqualifizierungen nötig sind.

Die Debatte zeigt ein Problembewusstsein, das Mängel des BQFG aufgreift und auf praktische Lösungen drängt. Ein Engagement des Landes im Bundesrat für Nachbesserungen am BQFG, auch im Interesse der betroffenen MigrantInnen, ist nun zu erwarten. Doch auch auf Landesebene muss in den kommenden Monaten viel getan werden. Das Projekt access steht im Rahmen der weiterzuführenden Debatte für den fachlichen Austausch zur Verfügung.. Es ist uns dabei besonders wichtig, dass konkrete Erfahrungen aus der Beratungsarbeit und die Wünsche, Ideen und Visionen der MigrantInnen in die Debatte hinein getragen werden.


Markus Saxinger arbeitet beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V. im Projekt access.

access - Agentur zur Förderung der Bildungs- und Berufszugänge für Flüchtlinge und Migranten in Schleswig-Holstein
Das Projekt access im Internet: www.access-frsh.de


Informationsveranstaltung im Rahmen der Interkulturellen Wochen in Kiel

Arbeit und Qualifikation - Berufszugang, Anerkennung von ausländischen Abschlüssen und Qualifizierung von MigrantInnen

Dienstag, 27. September 2011 um 17 Uhr
im Vinetazentrum, Mehr-Generationen-Haus, Elisabethstraße 64, Kiel-Gaarden

Flüchtlinge und MigrantInnen erleben den Zugang zum Arbeitsmarkt oft als einen Weg voller Stolpersteine. Das können Probleme mit der Neuorientierung in die Gesellschaft, strukturelle Diskriminierungen wie Aufenthalts- und Arbeitsverbot sein und nicht zuletzt die Nicht-Anerkennung der mitgebrachten Abschlüsse und Qualifikationen.

Vor diesem Hintergrund fragen sich MigrantInnen, ob ihre mitgebrachten Fähigkeiten in Deutschland nicht gebraucht werden.

Sind Flüchtlinge und MigrantInnen grundsätzlich von qualifizierter Arbeit ausgeschlossen? Welche Verbesserungen sind nötig, damit AusländerInnen in Deutschland arbeiten können?

Wie funktioniert die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen in der Praxis? Welche Gruppe hat einen Anspruch? Was passiert nach der Teilanerkennung?

Über diese und weitere Fragen möchten wir informieren und uns mit Ihnen austauschen.

Außerdem wollen wir einen Blick in das Anerkennungsgesetz und in die Zukunft werfen.

Eine gemeinsame Veranstaltung von:
Beauftragter für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen • Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V. - Projekt access • Handwerkskammer Kiel (angefragt) • Industrie- und Handelskammer zu Kiel (angefragt)

Anmeldung und Informationen bei: Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V. Projekt access
Tel: 0431 / 20 50 95 24 Mail: access@frsh.de


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Quelle:
Der Schlepper Nr. 55/56 - Sommer 2011, Seite VII-VIII
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität
in Schleswig-Holstein
Herausgeber: Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
Oldenburger Str. 25, 24143 Kiel
Tel.: 0431/735 000; Fax: 0431/736 077
E-Mail: office@frsh.de
Internet: www.frsh.de
Der Schlepper im Internet: www.frsh.de/schlepper/

Der Schlepper erscheint vierteljährlich als Rundbrief
des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein e.V.
Für Vereinsmitglieder ist Der Schlepper kostenlos.
Nichtmitglieder können ihn für 16,50 Euro jährlich
abonnieren.


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. September 2011