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ASYL/839: Das Protestcamp der Flüchtlinge am Berliner Oranienplatz bleibt (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 48 vom 29. November 2013
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Eine gescheiterte Hau-Ruck-Aktion
Das Protestcamp der Flüchtlinge am Berliner Oranienplatz bleibt

von Stefan Natke



Berlins Sozialsenator Mario Czaja und die grüne Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg haben sich verrechnet. Mit einer Hau-Ruck-Aktion, indem sie überfallartig ein Ultimatum stellten, wollten sie am Wochenende den Protest der Flüchtlinge am Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg beenden.

Seit nunmehr einem Jahr campieren Flüchtlinge in einem Protestcamp auf dem Oranienplatz in Berlin Kreuzberg. Ein über 650 Kilometer langer Gewaltmarsch, mit dem sie ihren Forderungen nach menschenwürdiger Behandlung Ausdruck verleihen wollten, hatte sie im Herbst 2012 in die Bundeshauptstadt gebracht. Ziel der Aktion war es, die verantwortlichen Politiker dazu zu zwingen, endlich tätig zu werden und bestimmten Forderungen nachzukommen. Zu den Forderungen der Flüchtlinge zählt die Beendigung der Massenunterbringung in Sammellagern, ein prinzipieller Abschiebestopp und die Abschaffung der Residenzpflicht, aber auch das Recht auf Arbeit in Deutschland. Nichts ist bisher geschehen, ein Einlenken seitens der Politik ist nicht ansatzweise zu erkennen.

Jetzt wird den Politikern das Camp langsam unbequem, und sie möchten es ohne großen Gesichtsverlust in der Öffentlichkeit schließen, ohne allerdings eine politische Lösung anzubieten. Nachdem von der grünen Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann seit Wochen verbreitet wird, man hätte für die Flüchtlinge ein Haus im Bezirk gefunden, in das sie einziehen können, denn im Winter sei es nicht ratsam zu campen und man könne das Camp bald abbauen, stellte sich dieses Angebot als Falschmeldung heraus.

Am letzten Samstag allerdings überraschte der Senator für Gesundheit und Soziales Mario Czaja (CDU) mit einem Haus im Stadtteil Wedding, das ihm die Caritas angeboten hätte. Dem Flüchtlingsrat wurde das Haus gezeigt und gleichzeitig verständlich gemacht, dass, wenn sie hier einziehen wollten, der Umzug unverzüglich am Sonntag stattfinden müsse, weil sonst das Haus anderweitig genutzt würde. Umzugshilfe oder Fahrzeuge bot der Senat dazu allerdings nicht an.

Den drohenden Winter vor der Tür und bei Temperaturen um den Gefrierpunkt begann am Sonntag mit Hilfe von Solidaritätsgruppen und dem Auto des Pfarrers aus Kreuzberg der Umzug in das Haus im Wedding. Wie sich herausstellte war dort allerdings nur für 80 Personen Platz, die übrigen zwei Dutzend wurden abgewiesen und kamen zurück zum Camp.

Um 16:15 Uhr präsentierte sich dann dort plötzlich die Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) in Polizeibegleitung und verkündete, dass die Flüchtlinge ja nun ein Haus hätten und dass das Camp, da es nicht mehr gebraucht würde, in einer halben Stunde von der Polizei geräumt wird.

Das war ein Schock für die dort anwesenden Flüchtlinge und der Flüchtlingsrat begriff schlagartig den raffinierten Schachzug des Berliner Senats. Mit dem zur Verfügung gestellten Haus sollte das Protestcamp eliminiert werden und gleichzeitig verlieh man der Aktion dabei noch ein "menschliches" Antlitz. Der Flüchtlingsrat rief SOS über eine Telefonkette und in kürzester Zeit versammelten sich solidarische Anwohner, Mitglieder politischer Organisationen und Solidaritätsgruppen auf dem Oranienplatz, so dass eine Räumung des Flüchtlingscamps praktisch unmöglich gemacht wurde. Die Polizei ging durch die Zelte und musste feststellen, dass die durch den Umzug frei gewordenen Plätze bereits durch Nachrücker gefüllt worden waren.

Um 18:00 Uhr, es waren bereits an die 1.000 Menschen auf dem Platz, wurde offiziell verkündet, dass von einer Räumung des Camps in dieser Nacht und am nächsten Morgen abgesehen würde. Wie es weiter ginge, sei noch unklar. Nach verhaltenem Jubel über diesen kleinen durch die Solidarität der Kreuzberger errungenen Sieg zog die Menge in einer Spontandemonstration durch den Kiez. In Sprechchören wurden die Forderungen der Flüchtlinge skandiert und eine politische Lösung verlangt. Die Polizei war so überrascht, dass sie zunächst durch Abwesenheit glänzte, was einen friedlichen Verlauf der Demonstration garantierte. Als sie sich dann gegen Ende der Demo doch noch gesammelt hatte und meinte eingreifen zu müssen, eskalierte die Situation und es kam zu Auseinandersetzungen bei denen die Beamten schonungslosen Gebrauch von Pfefferspray machten und 15 Personen festnahmen. Den Tagessieg konnten sie den Flüchtlingen und der mit ihnen gemeinsam kämpfenden Solidaritätsbewegung allerdings nicht mehr rauben. "Der Protest geht weiter, wir bleiben auf dem OPlatz bis unsere politischen Forderungen erfüllt werden." So die Sprecherin des Flüchtlingsrates Napuli Paul Langa auf der Abschlusskundgebung am Flüchtlingscamp.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 45. Jahrgang, Nr. 48 vom 29. November 2013, Seite 4
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Dezember 2013