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ASYL/841: Die Frauenflüchtlingskonferenz in Hamburg (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 125, 3/13

Unsere Stimmen nach aussen bringen
Die Frauenflüchtlingskonferenz in Hamburg

Von Leticia Hillenbrand



Vom 19. bis 21. April fand in Hamburg die erste Frauenflüchtlingskonferenz statt. Die mehr als 100 Frauen, die an der Konferenz teilnahmen, kamen aus verschiedenen Flüchtlingslagern Deutschlands. Sie sind Flüchtlinge aus Afrika, dem Kosovo, aus Herzegowina, Russland, der Türkei und dem Iran.


Die Flüchtlingsfrauenkonferenz

Die Idee, diese erste Flüchtlingsfrauenkonferenz zu organisieren, entstand auf dem "Break Isolation Camp" in Erfurt im Sommer 2012. Dort wurde den Organisator_innen und den Flüchtlingsfrauen klar, dass, obwohl Frauen als Flüchtlinge besonders betroffen sind, reden sie selten darüber. Die besondere Problematik der Frauen benötigt besondere Lösungen. Daher wurde ganz konkret die Frage angegangen, wie Frauen sich stärker organisieren und für ihr Recht auf politischen Widerstand eintreten können. Die Konferenz hatte auch das Ziel, die Situation der Flüchtlingsfrauen zu dokumentieren, um dies dem "internationalen Flüchtlingstribunal gegen die Bundesrepublik Deutschland" vorzulegen. Das internationale Tribunal fand vom 13. bis 16. Juni 2013 in Berlin statt. Die deutsche Regierung wird mitverantwortlich gemacht für die tägliche Generierung von Fluchtursachen und "für das psychische und physische Leid, das Flüchtlinge und MigrantInnen hier in Deutschland und in Europa täglich erleben".


Flüchtlingsfrauen - die Vergessenen

Weltweit ist die Lage der Flüchtlingsfrauen und -mädchen besorgniserregend. Es gibt nicht genügend Schutzmaßnahmen für sie, weder in internationalen, noch in deutschen Flüchtlingslagern. Es fehlen nach Geschlechtern getrennte sanitäre Anlagen, die nach Geschlecht getrennt sind. Die wenigen existierenden sind meist schlecht beleuchtet oder liegen weit abgelegen. Es wird immer wieder von sexuellen Übergriffen auf dem Weg dahin berichtet. Ein ähnliches Problem ist, dass die Wege vom Flüchtlingslager weit weg von Wasserstellen oder Versorgungsmöglichkeiten sind. Viele der Flüchtlingslager in Deutschland befinden sich vorwiegend in isolierten Gegenden, in denen laut diverser NGOs das Nottelefon nicht funktioniert. Auf diese Problematik haben internationale Organisationen wie die UNO und auch deutsche NGOs aufmerksam gemacht. Sie haben die jeweiligen Regierungen aufgefordert die nötigen Maßnahmen zu ergreifen. Tatsächlich wird allerdings wenig unternommen. Die Flüchtlingsfrauen und -mädchen in Deutschland müssen nicht nur in einer heruntergekommenen und unsicheren Unterkunft leben, sie stehen mit ihren seelischen Leiden allein da, denn die Behörden konzentrieren sich mehr auf die restriktive behördliche Kontrolle der Bedürftigen. Psychologische Betreuung wird in der Regel nicht angeboten. Viele der Frauen kommen mit einer Vorgeschichte von Gewalt, Verfolgung, Folter und Krieg, was die Bewältigung ihres Alltags erschwert. In Deutschland dürfen sie nicht arbeiten und bekommen keine Möglichkeit sich weiterzubilden. Nicht selten werden sie von den männlichen Flüchtlingen belästig, was bei vielen Frauen dazu führt, dass sie sich zurückziehen und in ihren Zimmern Schutz suchen. Sie stellen in der Regel keine Forderungen, sie gehen nicht in an die Öffentlichkeit.

Die Teilnehmerinnen der Frauenkonferenz haben den Beschluss gefasst, 2014 die zweite Flüchtlingsfrauenkonferenz in Deutschland zu organisieren, sich mit Flüchtlingsfrauen in anderen Ländern zu vernetzen und zusammen auf ihre besondere Situation aufmerksam zu machen.


Zum Beispiel: Jasmin

Jasmin(*) kommt aus Marokko. Sie ist ausgebildete Journalistin. Auf der Konferenz erzählt sie, wie sie die zahlreichen Korruptionsfälle in der marokkanischen Regierung aufdeckte und sich so viele Feinde machte. Mit leiser Stimme spricht sie über ihre Arbeit und über die Menschenrechtsverletzungen gegenüber marokkanischen Journalist_innen und Aktivist_innen. Trotz Bedrohungen schrieb sie weiter über die Korruption. "Ich war eine starke Frau" betont sie. Als sie Morddrohungen bekam, floh sie nach Deutschland. Sie kam allein in ein Lager, wo überwiegend Männer waren. Ständig wurde sie von den Männern sexuell belästig und blieb oft in ihrem Zimmer. Doch dort war sie auch nicht sicher, da sich die Tür nicht abschließen ließ. Jasmin erzählt von schlaflosen Nächten und davon, wie sie abends ihre Zimmertür verbarrikadierte, aus Angst, die Männer könnten in ihr Zimmer eindringen. Sie informierte die Ausländerbehörde, aber es wurde nichts unternommen. Ihr Anspruch auf ein Türschloss wurde abgelehnt. Als die Belästigungen nicht aufhörten, entschied sie sich, die Täter anzuklagen und bekam Recht, doch ihre Forderung, eine eigene Wohnung zu bekommen, blieb erfolglos. Jasmin war mit den Nerven am Ende, sie wurde depressiv, konnte nicht mehr schlafen. Trotz ihres sichtbaren Leidensdrucks, hat Jasmin bis heute keine psychologische Betreuung bekommen. Sie hoffte in Deutschland bleiben zu können. Sie lernte fleißig Deutsch, um Pluspunkte für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu sammeln. Im März 2013 bekam Jasmin die Benachrichtigung, dass ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Sie muss Deutschland verlassen. In dem Schreiben, das sie uns vorliest, steht, dass sie zuerst nach Spanien abgeschoben und von dort weiter per Schiff nach Marokko gebracht wird. Während ihres Vortrags gerät sie in Panik, als sie über die zu erwartende Verfolgung und Bedrohung in ihrem Heimatland spricht.


Olesia und Miloud

Das Ehepaar Olesia und Miloud lebte bis vor Kurzem in der Ukraine, in Olgas Heimatland. Miloud kommt aus Algerien, wo er politisch verfolgt wurde. In der Ukraine konnten sie nicht lange bleiben, denn die rassistischen Einschüchterungen gegen Miloud machten dem Ehepaar das alltägliche Leben unmöglich. Sie flohen nach Deutschland, wo sie dachten bleiben zu können. Doch die Ausländerbehörde erteilte keine Aufenthaltserlaubnis. Im Gegenteil, sie drohte immer wieder mit der getrennten Abschiebung. Aus diesem Grund flohen die beiden nach Norwegen. Dort durften sie aufgrund der Dublin-II-Verordnung ebenfalls nicht bleiben. Diese besagt, dass nur das Einreiseland für die Überprüfung des Asylantrages zuständig ist, also im Fall von Olesia und. Miloud Deutschland. Der Fall Olesia und Miloud kam, dank der Flüchtlingsorganisationen wie "The Karawane" an die Öffentlichkeit. Diese starteten eine Solidaritätskampagne für Miloud und Olesia. Zurzeit ist das Paar noch in Deutschland.


Was noch zu tun ist

Die Konferenz war ein wichtiger und erster Schritt, die Problematik der Flüchtlingsfrauen in Deutschland bekannt zu machen, sich zu vernetzen und Erfahrungen auszutauschen. Die Problematik der Frauenmigration sollte sich auf zwei Aspekte konzentrieren: erstens auf den Kampf gegen Stigmatisierung und Kriminalisierung der Flüchtlinge, die vor allem in den Medien stattfindet und von konservativen Politiker_innen mitbetrieben wird; zweitens auf eine dringende Verbesserung der Lage der Flüchtlingsfrauen, indem Maßnahmen gegen deren Isolierung und für ihre persönliche Sicherheit und körperliche Unversehrtheit ergriffen werden und die ihnen das Recht auf Bildung, Wohnung und Aufenthalt gewähren.

(*) Name geändert


Lesetipps:
Benz, Wolfgang (Hg.) (2006): Umgang mit Flüchtlingen. Ein humanitäres Problem. München.
Müller, Dorothea (2010): Flucht und Asyl in europäischen Migrationsregimen. Metamorphose einer umkämpften Kategorie am Beispiel der EU, Deutschlands und Polens. Göttingen.
Rohr, Elisabeth/Jansen, M. Mechtild (Hg.) (2002): Grenzgängerinnen. Frauen auf der Flucht, im Exil und in der Migration. Gießen.


Zur Autorin:

Leticia Hillenbrand ist in Mexiko-Stadt geboren und lebt seit 1995 in Deutschland. Sie hat Geschichte und Mediendokumentation studiert und ist Doktorandin der Universität Hamburg. Derzeit arbeitet sie als freie Journalistin.

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 125, 3/2013, S. 10-11
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Januar 2014