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ASYL/905: EGMR-Urteil - Flüchtlingsfamilien dürfen nicht ins Ungewisse abgeschoben werden (Pro Asyl)


Pro Asyl - Pressemitteilung vom 4. November 2014

EGMR-Urteil: Flüchtlingsfamilien dürfen nicht ins Ungewisse abgeschoben werden

PRO ASYL fordert sofortiges Ende der Italien-Überstellungen



Heute hat der Europäische Menschenrechtsgerichtshof entschieden, dass Flüchtlingsfamilien in Italien eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung (Art. 3 EMRK) drohen kann und dass deswegen keine Abschiebungen dorthin erfolgen dürfen, wenn nicht zuvor eine individuelle Zusicherung Italiens über eine adäquate Unterbringung eingeholt wurde.

PRO ASYL begrüßt das Urteil, da es auf die äußerst prekäre Situation von Flüchtlingsfamilien in Italien aufmerksam macht. "Das Urteil geht jedoch nicht weit genug", sagte Marei Pelzer, rechtspolitische Referentin von PRO ASYL. "Seit Jahren ist klar, dass Flüchtlinge in Italien oft obdachlos und ohne staatliche Hilfe sich selbst überlassen werden. Wir fordern einen generellen Abschiebestopp nach Italien!".

Die Beschwerde hatte die achtköpfige afghanische Familie Tarakhel gegen die Schweiz eingelegt, nachdem die dortigen Behörden ihre Abschiebung nach Italien beschlossen hatten. Nun hat der Gerichtshof klargestellt, dass zumindest bei Familien mit Kindern eine solche Abschiebung mit den Menschenrechten nicht vereinbar ist, wenn deren Schicksal nach der Abschiebung nicht vorab geklärt wird.

PRO ASYL begrüßt das Urteil als wichtiges Signal. Allerdings müssen Abschiebungen nach Italien generell gestoppt werden. Italien hat kein funktionierendes Aufnahmesystem, die Unterbringungskapazitäten reichen bei weitem nicht aus. Viele Flüchtlinge leben daher auf der Straße, bekommen keine soziale Unterstützung oder medizinische Versorgung und Familien werden getrennt.

Nach der Dublin-Zuständigkeitsverordnung wird Italien für zuständig erklärt, wenn dies das Land der Einreise in die EU ist. Allerdings hat der EGMR bereits in seiner wichtigen MSS-Entscheidung zu Griechenland im Januar 2011 entschieden, dass die EU-Staaten sich nicht blind für die reale Situation der Flüchtlinge stelle dürfen. Im Fall von Griechenland wurde 2011 festgestellt, dass generell eine Abschiebung von Flüchtlingen dorthin unzulässig ist.

PRO ASYL kritisiert, dass zehntausende Flüchtlinge aufgrund des Dublin-Systems wie Stückgut zwischen den EU-Staaten hin- und hergeschoben werden und in Elend und Obdachlosigkeit landen.


Hintergründe zum Fall Tarakhel:
http://www.proasyl.de/de/news/detail/news/sind_abschiebungen_nach_italien_menschenrechtswidrig/

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Quelle:
Pro Asyl - Pressemitteilung vom 4. November 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. November 2014