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AUSSEN/507: Das "Nein, aber doch Ja" der Bundesregierung zur Lybienintervention (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 12 vom 25. März 2011
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Das "Nein, aber doch Ja" der Bundesregierung
Warum wollen Merkel und Westerwelle keine deutschen Soldaten nach Libyen schicken?

Von Georg Polikeit


Dass sich der Vertreter Deutschlands bei der Abstimmung im UNO-Sicherheitsrat über die Militärintervention in Libyen zusammen mit Russland, China, Indien und Brasilien der Stimme enthielt, hat in den etablierten politischen Kreisen unseres Landes einen aufgeregten Streit ausgelöst.

Bundesaußenminister Westerwelle hat in einer Regierungserklärung am 16. März im Bundestag - sicher in Übereinstimmung mit Bundeskanzlerin Merkel - dazu erklärt, dass er an der Forderung nach dem Abtreten "des Diktators" Gaddafi unverändert festhalte und für verschärfte internationale Sanktionen gegen ihn weiter aktiv sein will, dass die "vermeintlich einfache Lösung einer Flugverbotszone" aber "mehr Fragen und Probleme aufwirft, als sie zu lösen verspricht". Am Ende dürfe "nicht das genaue Gegenteil dessen stehen, was wir politisch erreichen wollen". Und dann wörtlich: "Wir wollen und dürfen nicht Kriegspartei in einem Bürgerkrieg in Nordafrika werden. Wir wollen nicht auf eine schiefe Ebene geraten, an deren Ende dann deutsche Soldaten Teil eines Krieges in Libyen sind." Dazu lässt sich zunächst nur sagen: Wo er Recht hat, hat er Recht - auch wenn es der Außenminister und Chef der FDP ist. Deutsche Soldaten sollten in der Tat weder Kriegspartei im Bürgerkrieg in Libyen werden noch sonst irgendwo auf der Welt an Kriegen um Macht, Einfluss, Rohstoffe und Bodenschätze teilnehmen. Westerwelles Einsicht in die Risiken solcher Militäreinsätze wäre allerdings wesentlich glaubwürdiger, wenn er daraus den Schluss gezogen hätte, die deutschen Soldaten auch aus Afghanistan abzuziehen.

Da er diesen Schluss nicht zieht, bleibt unübersehbar, dass seine Äußerungen zu einem Einsatz deutscher Soldaten in Libyen nicht tiefergehenden Einsichten und dem Respekt vor dem Völkerrecht, sondern taktischen Motiven entspringt. Zwei davon sind unschwer zu erkennen. Erstens weiß er darum, dass die große Mehrheit der Deutschen den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr seit Jahren mit konstanter Beharrlichkeit ablehnt und einem weiteren Kampfeinsatz im Ausland nicht weniger ablehnend gegenüberstehen würde - nicht zuletzt auch eine Spätwirkung früherer deutscher Friedensaktivitäten. Diesen Friedenswillen der Mehrheit der Deutschen in seinem Kalkül irgendwie zu berücksichtigen, dürfte ihm besonders vor den wichtigen Landtagswahlen in mehreren Bundesländern auch im Interesse seiner eigenen, unter 5 Prozent dümpelnden FDP ratsam erschienen sein.

Mehr noch dürften Frau Merkel, Westerwelle und die übrigen Bundesminister aber der Gedanke an die außenpolitischen Folgen eines neuen großen und eventuell lang dauernden NATO-Krieges in Nordafrika in der internationalen Arena bewegt haben. Nicht umsonst hat der Außenminister in der oben erwähnten Regierungserklärung ein ganzes Programm für die massive Einflussnahme der deutschen Bundesregierung auf die Vorgänge in den übrigen arabischen und nordafrikanischen Staaten, vor allem in Ägypten und Tunesien skizziert.

Das reicht vom Angebot einer "Transformationspartnerschaft" mit diesen Staaten über eine "Neuausrichtung" der Verteilung der EU-Mittel an "unsere Mittelmeerpartner" bis zum Ausbau vielfältiger Kontakte auf der Ebene der "Zivilgesellschaft", in die die "Netzwerke von Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden und Parlamentariergruppen", aber auch die "politischen Stiftungen" der Bundestagsparteien, Jugend- und Studentenaustausch, "Bildungspartnerschaften", Stipendienprogramme, Schulen, Hochschulen und wissenschaftliche Institutionen aktiv einbezogen werden sollen. Das heißt: es geht den herrschenden Kreisen Deutschlands um eine massive Einflussnahme auf die weitere gesellschaftliche Entwicklung im arabischen Raum und in Nordafrika, um zu verhindern, dass die "arabischen Revolutionen" weiter gehen, als es den Profitinteressen deutscher Banken und Großkonzerne und dem Kampf um Macht und Einfluss für die Mittelmeer- und Nahostpolitik der "Westmächte" dienlich ist. Westerwelle und seine Kanzlerin haben dabei nicht nur Libyen, sondern "das Ganze" der arabischen Welt im Blick. Und sie wissen, dass eine direkte Beteiligung deutscher Soldaten an militärischen Interventionen der USA und der NATO in Nordafrika diesem Bestreben nicht förderlich wäre.

Es kommt hinzu, dass das deutsche "Nein" zum Einsatz von Soldaten in Libyen die Militärintervention von USA und anderen NATO-Staaten in diesem Land ja nicht wirklich behindert. Darüber hinaus haben sich Kanzlerin und Außenminister in den letzten Tagen auch alle Mühe gegeben klarzustellen, dass sie die völkerrechtswidrige Intervention nicht etwa grundsätzlich ablehnen, sondern sie befürworten und unterstützen - nur eben nicht direkt mit Soldaten.

Der Katalog der indirekten Kriegsbeteiligung reicht von der Zusage, die US-Truppen in Afghanistan zu entlasten, damit sie zum Einsatz in Libyen zur Verfügung stehen, über die Genehmigung für die Benutzung deutscher Flughäfen und Militärstandorte und der Beteiligung deutscher Kriegsschiffe am Aufmarsch im Mittelmeer bis zu der Tatsache, dass die Kommandozentrale für die Militärintervention in Libyen im "US Africa Command" ("Africom"), dem Regionalkommando der USA für Militäroperationen in Afrika liegt, das seit 2008 in den "Kelley Barracks" in Stuttgart-Möhringen installiert ist, ohne dass deutsche Einwände dagegen erhoben werden.


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 43. Jahrgang, Nr. 12 vom 25. März 2011, Seite 10
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. März 2011