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AUSSEN/595: Deutschlands Prioritäten (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 14. Mai 2018
german-foreign-policy.com

Deutschlands Prioritäten

BERLIN/TEHERAN/WASHINGTON - In Gesprächen mit iranischen Regierungsvertretern am morgigen Dienstag strebt die Bundesregierung nach einer Lösung im Streit um das Atomabkommen mit Teheran. Hintergrund ist neben dem Versuch, die Interessen der deutschen Wirtschaft zu wahren, die Absicht, eine eigenständige Mittelostpolitik durchzusetzen; diese wäre, da Berlin in den Machtkämpfen mit Moskau und Beijing eng an der Seite Washingtons steht, von hoher Bedeutung, um den Berliner Anspruch auf eine führende Rolle in der Weltpolitik zu legitimieren. Während Kommentatoren die Bundesregierung befeuern, warnen vor allem der Bundeswirtschaftsminister und Industriekreise, man dürfe den Konflikt mit Washington nicht auf die Spitze treiben: Weil die Vereinigten Staaten der größte Absatzmarkt und der mit Abstand wichtigste Investitionsstandort deutscher Unternehmen sind, steht für den künftigen Wohlstand der deutschen Eliten viel auf dem Spiel. Umgekehrt droht die Industrie der EU-Staaten in Iran wegen der US-Sanktionen unwiderbringlich in Rückstand gegenüber China zu geraten.

Kampf um Eigenständigkeit

Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie weitere Berliner Regierungspolitiker haben in den vergangenen Tagen bekräftigt, in der Iranpolitik offen in Opposition zu den Vereinigten Staaten gehen zu wollen. "Wenn jeder macht, worauf er Lust hat, ist das eine schlechte Nachricht für die Welt", erklärte Merkel am Freitag zum Bruch des Atomabkommens mit Iran durch die Trump-Administration.[1] Am morgigen Dienstag wollen die Außenminister Deutschlands, Frankeichs und Großbritanniens mit iranischen Regierungsvertretern über Optionen diskutieren, das Abkommen noch zu retten; über diese Frage hatte sich Merkel bereits Ende vergangener Woche mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefonisch ausgetauscht.[2] "Wir sind bereit zu reden, zu verhandeln, aber wo nötig auch für unsere Positionen zu streiten", wird nun Außenminister Heiko Maas zitiert. Tatsächlich bleibt der Bundesregierung kaum eine andere Wahl, will sie ihren immer lauter vorgetragenen Anspruch auf eine führende Rolle in der Weltpolitik [3] nicht preisgeben: Während sie im Machtkampf gegen Russland eng an der Seite Washingtons steht, zeichnet sich in den Auseinandersetzungen mit China ebenfalls ein gemeinsames transatlantisches Vorgehen ab. Allein im Mittleren Osten ist es Berlin eine Zeitlang gelungen, mit seiner Iranpolitik, die auf eine Art "Wandel durch Annäherung" zielt [4], eine gewisse Eigenständigkeit gegenüber den USA vorzuweisen. Diese steht mit dem Ende des Atomabkommens nun auf dem Spiel.

Glaubwürdigkeit

Entsprechend befeuern Medienkommentatoren und Regierungsberater die Berliner Bemühungen um eine Rettung des Abkommens in Opposition zu den USA. "Europa muss einfach mehr in die Waagschale werfen, um sich Gehör und Achtung zu verschaffen und seine eigenen Interessen geltend zu machen", hieß es am Freitag in einer führenden deutschen Tageszeitung: "Weltmacht wird man nicht im Seminarraum, durch selbstgefälliges Reden oder Beleidigtsein."[5] Tatsächlich sei es im Machtkampf um das Atomabkommen notwendig, "dass die EU geschlossen agiert und auch den Konflikt mit den USA nicht scheut", heißt es bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) - auch wenn ein "entschiedenes Vorgehen" der EU "höchstwahrscheinlich einen handfesten Konflikt mit ungewissem Ausgang auslösen" werde.[6] Mit Blick auf den zu erwartenden harten "transatlantischen Konflikt" müsse man "Vorsorge treffen", etwa, "dass sich die EU nicht wieder - wie 2003 in der Frage des Irak-Krieges - spalten lässt", heißt es weiter: "Deutschland, Frankreich und Großbritannien sollten deshalb um die Unterstützng aller EU-Mitgliedstaaten für solch einen Kurs werben." Zwar seien weitere transatlantische Spannungen keinesfalls "wünschenswert"; doch wenn die EU sich jetzt einer Konfrontation verweigere, "hätte Trump nicht nur die amerikanische, sondern auch die europäische Glaubwürdigkeit nachhaltig beschädigt". Das Beharren auf einer eigenständigen Iranpolitik sei also angesagt.

Sekundäre Sanktionen

Regierungsberater halten dazu staatliche Maßnahmen zur Absicherung deutscher Geschäfte in Iran für unverzichtbar. Washington bedrohe alle deutschen Unternehmen, die weiterhin Handel mit dem Land tätigen oder immer noch dort investieren wollten, mit "sekundären Sanktionen", heißt es in einem weiteren SWP-Papier: Derlei Strafmaßnahmen müsse die EU sich nun entgegenstellen, um den deutsch-iranischen Handel und die Investitionen in Iran zu retten. Man könne dazu auf ein "blocking statute" zurückgreifen, das Brüssel bereits 1996 verfasst habe, heißt es.[7] Möglich seien auch staatliche Garantien für Iran-Geschäfte von Unternehmen aus der EU. Die Bundesregierung warnt allerdings bereits, dazu weder bereit noch in der Lage zu sein. "Wir haben juristisch keine Möglichkeit, deutsche Unternehmen gegen Entscheidungen der amerikanischen Regierung zu schützen oder sie davon auszunehmen, vor allen Dingen dann nicht, wenn es um Zusammenarbeit mit amerikanischen Firmen in den USA geht", erklärt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier; man könne betroffene Unternehmen allenfalls "beraten".[8] Schon jetzt ist deutlich absehbar, dass die deutsche Wirtschaft sich zu überwiegenden Teilen den US-Sanktionen beugen wird. Die Folgen von Unbotmäßigkeiten gegenüber Washington hat beispielsweise die Commerzbank erfahren, als sie im Jahr 2015 zur Zahlung von 1,45 Milliarden Euro verurteilt wurde - weil sie die Finanzierung von Iran-Geschäften ermöglicht hatte.

"Ein bisschen erpressbar"

Hinzu kommt, dass zahlreiche in Iran tätige deutsche Unternehmen weitaus größere Geschäfte in den Vereinigten Staaten machen. Siemens beispielsweise konnte in Iran Aufträge für den Bau von Gasturbinen und für die Modernisierung der Bahn an Land ziehen und hoffte auf ein Volumen von mehreren Milliarden US-Dollar. In den USA hingegen erzielt Siemens aktuell rund 24 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Der Düsseldorfer Henkel-Konzern wiederum beziffert den Ertrag seiner Iran-Aktivitäten auf ein Prozent seines Gesamtumsatzes. Das US-Geschäft allerdings bringt 25 Prozent des Konzernumsatzes und 20 Prozent des Ergebnisses ein. In einer ähnlichen Lage befinden sich viele deutsche Unternehmen, weil die Vereinigten Staaten der wichtigste Absatzmarkt und der bedeutendste Investitionsstandort der deutschen Wirtschaft sind: Im vergangenen Jahr lieferten deutsche Firmen Waren im Wert von rund 112 Milliarden Euro in die USA und erzielten damit einen Exportüberschuss von 51 Milliarden Euro, während die deutschen Direktinvestitionen dort zuletzt 260 Milliarden US-Dollar erreichten - weit mehr als in jedem anderen Land. "Wir sind tatsächlich ein bisschen erpressbar", wird ein mit der Thematik befasster Beamter zitiert. Er warnt vor offener Kritik an den USA: "Es wird nicht besser, wenn man sich an die Brust trommelt".[9]

"Ein falscher Zungenschlag"

Auch mit Blick darauf warnt Wirtschaftsminister Altmaier mittlerweile vor Überlegungen, sich in der Iranpolitik offen mit Moskau und Beijing gegen Washington zusammenzutun. Er halte es "für einen falschen Zungenschlag ..., wenn einige sagen, wir sollten uns mit Russland und China gegen die USA verbünden", erklärt Altmaier: Nicht nur seien die Vereinigten Staaten "immer noch unser enger Bündnispartner in der NATO"; man habe "sehr enge und sehr gute Wirtschaftsbeziehungen zwischen den USA, Europa und Deutschland". Man dürfe deshalb, "wenn es um Rhetorik geht, nicht aufrüsten", warnt der Wirtschaftsminister.[10]

Die Neue Seidenstraße

Demgegenüber warnen Wirtschaftskreise, zwar wiege das Iran-Geschäft dasjenige mit den USA beileibe nicht auf. Doch müsse man damit rechnen, dass China in die Bresche springe, wenn sich die Unternehmen Europas wegen der US-Sanktionen aus Iran zurückzögen. Das könne zur Folge haben, dass die westliche Wirtschaft auf Dauer aus dem Land verdrängt werde, das langfristig der wohl lukrativste Wachstumsmarkt im Mittleren Osten sei. Tatsächlich haben chinesische Firmen bereits angekündigt, ihre Aktivitäten in Iran auszuweiten. Erst in diesen Tagen ist ein Güterzug in der Volksrepublik gestartet, mit dem im Rahmen der Neuen Seidenstraße ("One Belt, One Road", "Ein Gürtel, eine Straße") eine neue Transportverbindung aus China nach Iran eingeweiht werden soll. Tatsächlich können sich Konzerne aus Deutschland und der EU keinen weiteren Zeitverlust leisten, wollen sie in Iran nicht endgültig an den Rand gedrängt werden. Die einzige alternative Option, den eigenen Einfluss zu sichern, wäre nach Lage der Dinge ein gewonnener Krieg.


Anmerkungen:

[1] Klartext Richtung Trump. tagesschau.de 11.05.2018.

[2] Merkel telefoniert mit Putin - beide bekennen sich zum Iran-Deal. handelsblatt.com 11.05.2018.

[3] S. dazu Gabriels Kampfansage.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7470/

[4] S. dazu Die Anti-Trump-Allianz.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7416/

[5] Klaus-Dieter Frankenberger: Zeitenwende. Frankfurter Allgemeine Zeitung 11.05.2018.

[6] Johannes Thimm: Nach dem US-Austritt aus dem Iran-Abkommen: Die Stunde Europas. swp-berlin.org 09.05.2018.

[7] Oliver Meier: Point of View: What Germany, France and Britain should do after Trump nixes the Iran deal. swp-berlin.org 08.05.2018.

[8] Schadensbegrenzung für die deutsche Wirtschaft. sueddeutsche.de 11.05.2018.

[9] Daniel Brössler, Stefan Kornelius: Vereint im Zorn auf Trump. sueddeutsche.de 11.05.2018.

[10] Schadensbegrenzung für die deutsche Wirtschaft. sueddeutsche.de 11.05.2018.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2018

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