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AUSSEN/599: Berlins Kampfansage (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 23. August 2018
german-foreign-policy.com

Berlins Kampfansage


BERLIN - Außenminister Heiko Maas will das transatlantische Bündnis "neu vermessen" und die EU als "Gegengewicht" nutzen, sobald "die USA rote Linien überschreiten". Wie Maas in einem gestern veröffentlichten Grundsatzartikel schreibt, müsse die EU "zu einer tragenden Säule der internationalen Ordnung werden". Dabei wolle sie auch in Zukunft mit den Vereinigten Staaten kooperieren: "Aber wir lassen nicht zu", erklärt der Außenminister mit Blick auf außenpolitische Alleingänge Washingtons, "dass ihr über unsere Köpfe hinweg zu unseren Lasten handelt". In einem ersten Schritt sollten nun "von den USA unabhängige Zahlungskanäle" eingerichtet werden. Maas' Kampfansage folgt einer sukzessiven Eskalation der Spannungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten. Das systematische Streben Berlins, mit Hilfe der EU zur Weltmacht auf Augenhöhe mit den USA zu werden, hat US-Präsident Donald Trump aufs Korn genommen und der Bundesrepublik zuerst mit Strafzöllen, dann auch im Rahmen der Iran- und Russland-Sanktionen zugesetzt. Berlin treibt den Machtkampf nun voran.

Die transatlantische Kontinentaldrift

Die deutsch-US-amerikanischen Differenzen sind, wie Außenminister Heiko Maas in seinem Grundsatzartikel ausdrücklich konstatiert, nicht neu und gehen keineswegs nur auf US-Präsident Donald Trump und dessen international scharf kritisierte Amtsführung zurück. "Die USA und Europa driften seit Jahren auseinander", schreibt Maas; "die Bindekraft des Ost-West-Konflikts", die die beiden Staaten bekanntlich jahrzehntelang beieinander hielt, sei längst "Geschichte". Die "Veränderungen" im bilateralen Verhältnis hätten "weit vor der Wahl Trumps begonnen - und werden seine Präsidentschaft absehbar überdauern", urteilt der Außenminister; er sei "deshalb ... skeptisch, wenn manch eingefleischter Transatlantiker uns rät, diese Präsidentschaft auszusitzen" und auf eine Wiederkehr kooperativer Beziehungen zu hoffen.[1] "Dass der Atlantik politisch breiter geworden ist", erklärt Maas, "liegt keineswegs nur an Donald Trump."

Mit der EU zur Weltmacht

Tatsächlich hat vor allem die Bundesrepublik das Ende der Systemkonfrontation zum Anlass genommen, um sich - unabhängig vom transatlantischen Bündnis - eigenständige "europäische" Strukturen aufzubauen. So zielten die Erweiterung und die Vertiefung der EU vor allem darauf ab, die ökonomische, politische und auch militärische Basis für eine deutsch dominierte Weltpolitik zu schaffen. Ging die Osterweiterung der EU noch mit der Osterweiterung der NATO einher, so zielte die Einführung des Euro als Einheitswährung der Union bereits darauf ab, perspektivisch eine Alternative zum US-Dollar zu schaffen (german-foreign-policy.com berichtete [2]). Auch die EU-Außen- und Militärpolitik gründete von Beginn an auf eigenständigen Strukturen, die sich zwar in gewissem Maß mit der US-Außenpolitik und mit der NATO verbinden ließen, die aber erkennbar Potenzial für eine unabhängige Machtbildung boten. Mit ihren Bemühungen um den Aufbau einer EU-Armee zielte die Bundesrepublik, deren Landesverteidigung über die NATO längst geregelt war, explizit auf ein militärisches Instrument, das sie dank ihrer Dominanz in der EU kontrollieren können würde. Dem Einwand, eine moderne Kriegsführung sei ohne das US-amerikanische GPS überhaupt nicht zu denken, begegneten Berlin und Brüssel bald mit dem Aufbau eines eigenen Satellitennavigationssystems - dem GPS-Verschnitt Galileo.[3]

Trump gegen Berlin

US-Präsident Donald Trump zielt seit Beginn seiner Amtszeit darauf ab, den laut Überzeugung zahlreicher Experten mittlerweile im Gang befindlichen relativen Abstieg der Vereinigten Staaten zu stoppen oder doch zumindest zu bremsen. Dazu setzt er besonders auf ökonomische Attacken. "Trump will seine Wettbewerber wirtschaftlich schwächen, damit die USA wirtschaftliche und politische Führungsnation bleiben können", urteilte kürzlich der einstige deutsche Außenminister Sigmar Gabriel: "Und er fühlt sich stark genug, dabei auf Alliierte verzichten zu können".[4] Tatsächlich hat sich der gegenwärtige US-Präsident stets bemüht, nicht nur das boomende China, sondern auch die EU und ihre deutsche Zentralmacht von dem von Berlin angestrebten Aufstieg abzuhalten. "Sehen Sie sich die Europäische Union an", hatte Trump Anfang 2017 geäußert: "Die ist Deutschland." "Im Grunde genommen" sei sie nur "ein Mittel zum Zweck" für Berlin.[5] Der US-Präsident hat stets gezielt die extremen Handelsüberschüsse Deutschlands - nicht der EU - kritisiert, hat Strafzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte verhängt, die - was EU-Lieferungen in die Vereinigten Staaten betrifft - vor allem aus der Bundesrepublik kommen, und hat mit der Drohung, Strafzölle auf Kfz-Importe zu verhängen, gleichfalls deutsche Konzerne anvisiert.[6]

Expansion unter Beschuss

Zuletzt sind die Spannungen auch außenpolitisch eskaliert. Washington gelingt es mit seinen Iran-Sanktionen, deutsche Unternehmen zum Rückzug aus dem mittelöstlichen Land zu zwingen, von dem sie sich ursprünglich die Chance auf eine milliardenschwere Wirtschaftsexpansion erhofft hatten.[7] Zudem versucht die Trump-Administration, mit Sanktionen und weiteren Druckmitteln deutsche Firmen noch stärker als bisher aus Russland hinauszudrängen und vor allem auch den deutschen Zugriff auf russisches Erdgas, den aktuell die Pipeline Nord Stream 2 stärken soll, so weit wie möglich zu mindern. Bereits im vergangenen Jahr untersagte Washington darüber hinaus der Münchner Infineon AG die Übernahme einer US-Firma - mit der Begründung, Infineon treibe umfangreiche Geschäfte in China. Der Vorgang deutet an, dass künftig auch das deutsche China-Geschäft umfassender von Washington ins Visier genommen werden könnte. Deutsche Unternehmen würden auf diesem Wege zunehmend auf den transatlantischen Markt reduziert und bedeutender anderer Expansionschancen in steigendem Maße beraubt. Damit geriete zugleich die ökonomische Basis für eine eigenständige deutsche Weltpolitik in Gefahr.

Die EU als "Gegengewicht"

Berlin prescht seinerseits vor. Am vergangenen Wochenende hat Bundeskanzlerin Angela Merkel sich mit Russlands Präsident Wladimir Putin nicht nur geeinigt, den Bau der Pipeline Nord Stream 2 auch gegen US-amerikanische Widerstände voranzutreiben. Beide beschlossen darüber hinaus, in einer Gruppe von vier Staaten - Russland, Deutschland, Frankreich, Türkei - die "Stabilisierung" Syriens in Angriff zu nehmen. Gelingt das Vorhaben, dann sind zum ersten Mal seit 1945 die USA an einer umfassenden Umgestaltung des Nahen und Mittleren Ostens nicht beteiligt.[8] Darüber hinaus hat das Auswärtige Amt begonnen, zum ersten Mal überhaupt eine "USA-Strategie" zu entwickeln, die die Basis für den zukünftigen Umgang mit Washington werden soll. Außenminister Maas hat mit seinem gestern veröffentlichten Grundsatzartikel die Stoßrichtung dafür vorgegeben. Ihm zufolge ist es "höchste Zeit, die Partnerschaft zwischen den USA und Europa neu zu vermessen". Dabei müsse die EU "zu einer tragenden Säule der internationalen Ordnung werden", die "ein Gegengewicht" bilde, "wo die USA rote Linien überschreiten".[9] Man wolle kooperieren, heißt es in Maas' Text: "Aber wir lassen nicht zu, dass ihr über unsere Köpfe hinweg zu unseren Lasten handelt."

"Europäische Autonomie"

Der Außenminister nimmt bereits ein erstes konkretes Vorhaben ins Visier. Es bezieht sich auf den Konflikt um das Atomabkommen mit Iran - und zielt darauf ab, dass Unternehmen aus der EU trotz der US-Sanktionen mit dem Land Geschäfte machen können. Dies ist aktuell kaum möglich, weil die Kreditinstitute, die gewöhnlich die Finanzierung übernehmen, wegen der Bedeutung ihres US-Geschäfts in Iran nicht mehr tätig werden. Es sei "unverzichtbar", schreibt Maas, "dass wir die europäische Autonomie stärken, indem wir von den USA unabhängige Zahlungskanäle einrichten, einen Europäischen Währungsfonds schaffen und ein unabhängiges Swift-System aufbauen".[10] Der Plan ist ehrgeizig, und mit Gegenwehr aus den USA ist zu rechnen. Der Machtkampf zwischen Berlin und Washington geht damit in die nächste Runde.


Auszüge aus dem Grundsatzartikel von Bundesaußenminister Heiko Maas finden Sie unter:
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7693/


Anmerkungen:

[1] Heiko Maas: Wir lassen nicht zu, dass die USA über unsere Köpfe hinweg handeln. handelsblatt.com 21.08.2018.

[2] S. dazu Zeitenwende
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/4308/
und Vom Dollar zum Euro
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/4345/

[3] S. dazu Europäische Satellitennavigation
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/143/
und Der Krieg, Europas Rückgrat
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/4979/

[4] Thomas Tuma, Thomas Sigmund: Ex-Vizekanzler Gabriel: "Wenn es in Deutschland nur vibriert, bebt Europa". handelsblatt.com 28.06.2018.

[5] S. dazu Die Stunde der Europäer
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7187/

[6] S. dazu Deutschlands Achillesferse
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7617/

[7] S. dazu Golfkrieg gegen China
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7690/

[8] S. dazu Pipelines im Visier
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7692/

und Wiederaufbau in Syrien (II)
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7693/

[9], [10] Heiko Maas: Wir lassen nicht zu, dass die USA über unsere Köpfe hinweg handeln. handelsblatt.com 21.08.2018.

*

Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. August 2018

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