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MELDUNG/056: Der schwache Staat und sein Spiegelbild (idw)


Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau - 08.01.2014

Der schwache Staat und sein Spiegelbild

Politikwissenschaftlerin zeigt, dass lokale zivilgesellschaftliche Akteure in Entwicklungsländern nicht nur Gutes bewirken



Die Zivilgesellschaft besteht aus Einzelpersonen und Gruppen, die sich freiwillig und öffentlich in sozialen und politischen Fragen engagieren. Ausgehend von solch einer breiten Definition gehören zu ihr unter anderem Nichtregierungsorganisationen, Selbsthilfegruppen, soziale Bewegungen sowie Religionsgemeinschaften. Eine lebendige Zivilgesellschaft gilt meist als wichtige Voraussetzung stabiler Demokratien und als Hoffnungsträger für demokratischen Wandel. Bei Entwicklungsländern handelt es sich oft um schwache Staaten, deren Institutionen wichtige Aufgaben nicht oder nur unzureichend erfüllen. Die Politikwissenschaftlerin Jasmin Lorch hat in ihrer Dissertation anhand von Fallbeispielen aus Bangladesch und den Philippinen untersucht, ob zivilgesellschaftliche Akteure in einem schwachen Staat tatsächlich zu einer Demokratisierung beitragen. Sie hat ihre Arbeit bei Prof. Dr. Jürgen Rüland vom Seminar für Wissenschaftliche Politik der Universität Freiburg verfasst. Entgegen der verbreiteten Annahme, dass eine aktive Zivilgesellschaft notwendigerweise zu mehr Demokratie führt, kommt Lorch zu dem Schluss, dass sich die Defizite des schwachen Staats in der Zivilgesellschaft widerspiegeln.

In Bangladesch und auf den Philippinen versagt der Staat oft, wenn es darum geht, wichtige soziale Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheitsfürsorge bereitzustellen. Zudem sind die Länder weniger sicher und politische Gewalt prägt das Gemeinwesen. Lorch interviewte in beiden Ländern Repräsentantinnen und Repräsentanten der Zivilgesellschaft, politische Entscheidungsträgerinnen und -träger, hochrangige Beamtinnen und Beamte, Militärangehörige, lokale Expertinnen und Experten sowie auf den Philippinen auch inhaftierte Putschisten. Sie führte mehr als 300 Gespräche, forschte insgesamt etwa 14 Monate in Bangladesch und auf den Philippinen und untersuchte aktuelle und historische Entwicklungen.

Ihre Arbeit zeigt, dass die Zivilgesellschaften in Bangladesch und auf den Philippinen einerseits eine Art Lückenbüßerfunktion erfüllen, indem sie soziale Dienstleistungen erbringen. Viele Akteure fordern auch demokratische Reformen. Andererseits versuchen einige Gruppen, die Politik mit Korruption und Patronage-Strategien zu beeinflussen. Andere befürworten Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung. Lorch stellte zudem fest, dass viele Organisationen eine starke Nähe zu mächtigen politischen Parteien oder sogar nicht-staatlichen Gewaltakteuren aufweisen. Auf den Philippinen gehen viele Gruppen immer wieder wechselnde und in ihren Augen zumeist taktische Koalitionen mit Politikerinnen und Politikern ein. Zivilgesellschaftliche Eliten in beiden Ländern haben ab etwa 2006 militärdominierte Regierungen befürwortet: In Bangladesch kooperierten einige Akteure mit der von 2007 bis 2008 amtierenden, militärgestützten Interimsregierung. Auf den Philippinen unterstützten Vertreter verschiedener Gruppen in den Jahren 2006 und 2007 Putschversuche. In beiden Fällen waren die entsprechenden zivilgesellschaftlichen Akteure frustriert, weil gewählte Regierungsvertreter korrupt waren, rechtsstaatliche Institutionen ausgehöhlt wurden und starke politische Polarisierung vorherrschte.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution69

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau,
Rudolf-Werner Dreier, 08.01.2014
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Januar 2014