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MEDIEN/371: Braucht das Internet Regulierungen? (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 12/2009

Gespräch mit Björn Böhning und Gert Weisskirchen
Zwischen Verantwortung und Missbrauch
Braucht das Internet Regulierungen?

Von Klaus-Jürgen Scherer


Björn Böhning, Jg. 1978, ist Mitglied des SPD-Parteivorstandes und war dieses Jahr Bundestagskandidat für Kreuzberg-Friedrichshain. Sein besonderes politisches Engagement gilt der Internetcommunity und Kreativwirtschaft. Gert Weisskirchen, Jg. 1944, Honorarprofessor für angewandte Kulturwissenschaften an der FH Potsdam, war 1976-2009 SPD-Bundestagsabgeordneter. Die Fragen stellte Klaus-Jürgen Scherer.


NG/FH: Das alte Spannungsfeld von Freiheit und Sicherheit hat in den letzten Jahren mit dem World Wide Web und den Debatten um Killerspiele, Kinderpornografie usw. an Relevanz gewonnen. Auf der einen Seite steht die - mittlerweile von den Piraten auch parteipolitisch propagierte - Freiheit des Netzes, auf der anderen Seite darf sich das Netz aber auch nicht zu einem rechtsfreien Raum entwickeln. Wie steht es also um die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit im Internet?

BJÖRN BÖHNING: Sozialdemokratische Politik bedeutet, Freiheit und Sicherheit immer zusammen zu denken und zusammen zu diskutieren. Doch beim Thema Netzpolitik ist in den letzten Jahren der Fehler gemacht worden, eine bestimmte Denkrichtung von Sicherheit zu stark zu betonen. Deswegen möchte ich der Freiheit Vorrang gewähren. Denn wir haben zu viel getan, um diejenigen, die sich im Netz bewegen, zu regulieren oder ihnen deutlich zu machen, dass wir das Internet als Quelle von Bedrohung, aber nicht als Quelle von Freiheit und demokratischen Potenzialen begreifen. Da brauchen wir aus meiner Sicht dringend eine Akzentverschiebung.

NG/FH: Werden damit die Gefahren des Internets nicht unterschätzt?

GERT WEISSKIRCHEN: Die so genannten digital natives haben es natürlich einfacher als diejenigen, die mit anderen Kulturtechniken aufgewachsen sind, und insofern gibt es natürlich eine größere Skepsis in den älteren Generationen, der technologischen Revolution auch ihre guten Seiten abzugewinnen. Und gewiss kann Freiheit, wie immer, nur begründet werden dadurch, dass Menschen ihre Fähigkeiten nutzen, um ihr eigenes Leben selbst bestimmen zu können. Das ist der Kern des Freiheitsgedankens und insoweit glaube ich schon, dass die technologische Revolution, insbesondere der Informationstechniken, eine Quelle der Freiheit ist, wenn sie richtig genutzt wird. Da sind wir bei einem alten Ergebnis der Freiheits- und Sicherheitsdebatte: Es gibt keine Freiheit ohne Verantwortung! Die Frage ist: Wer übernimmt die Verantwortung? Das Beste ist immer: der Einzelne selbst. Er muss in sich selbst - das ist der Grundgedanke von Kant - die ethischen Maßstäbe haben, die es möglich machen, mit der Freiheit verantwortungsbewusst umzugehen. Daran schließt sich die nächste Frage an: Wenn der Einzelne dazu nicht in der Lage ist, muss er befähigt werden. Das ist die Aufgabe von Bildung. Und der dritte Aspekt ist: Wenn Freiheit verletzt wird oder gar missbraucht wird, was auch in der Informationstechnologie geschehen kann, wer ist dann dafür zuständig? Am Ende ist es dann der Staat.

BÖHNING: Freiheit setzt immer auch Emanzipation voraus. Dabei ist Emanzipation ein gesellschaftlicher Prozess, wobei viele Menschen das Netz als ihr zentrales Medium der Meinungsäußerungen betrachten. Aus diesen Potenzialen an Emanzipation sollten wir versuchen mehr zu machen, denn auch in unserer Demokratie müssen wir wieder in Dialog miteinander treten, Meinungen austauschen und Zukunftsfragen unserer Zeit diskutieren und dann auch lösen. Da ist meine Sorge, dass wir diese Potenziale einem Sicherheitsdiskurs opfern, der Wert darauf legt, dass Daten gesammelt werden, dass Regulierungen eingeführt werden bis hin zu Sperren, die die Freiheit im Netz beschränken.

NG/FH: Ist die Freiheit nicht auch durch "weltweit drohende Enteignungsprozesse", so nannte es die Berliner Akademie der Künste, gefährdet? Es geht um die Digitalisierung des Buches durch Google, es geht um die Verteidigung des Urheberrechts.

WEISSKIRCHEN: Eine richtige Beobachtung aus der Sicht dessen, der kreativ ist, sei er Literat, Künstler oder Filmemacher. Natürlich ist die Verwertung seines Produktes ein Problem, wenn sich diese nicht mehr nach kollektiv festgelegten Regeln, die gerecht und transparent sind, richtet. Dann ist die Emanzipation des Künstlers - es ist völlig richtig, den Emanzipationsbegriff direkt inhaltlich mit dem Freiheitsbegriff zu verknüpfen - vom vorgegebenen Denken, von gesellschaftlichen Strukturen und übrigens auch von den Methoden der Kunst nicht mehr gewährleistet. Alle diejenigen, die sich an Google beteiligen, auch als Nutzer, werden in ein Profil gepresst, welches - übrigens auch kriminell - missbraucht werden kann. So brauchen wir Regeln, die in der Netzpolitik heute noch nicht überzeugend genug gefunden sind.

BÖHNING: Ich sehe auch, dass wir bei aller verständlichen Skepsis gegenüber Regulierungen nicht Leuten das Wort reden, die über das Netz ganz andere Klientelinteressen verfolgen. Klar müssen wir sagen: "Es darf kein Freibier geben für alle", aber es darf auch auf der anderen Seite nicht nur gesetzliche Regeln geben. Wir brauchen vielmehr eine gesellschaftliche Übereinkunft: Wie gehen wir mit dem kreativen Eigentum von Künstlerinnen und Künstlern um, wie auf der anderen Seite mit den berechtigten Verwertungsinteressen? Dabei wird Verwertung nicht mehr so funktionieren wie im analogen Zeitalter, als ich mit dem Kauf eines Buches auch die Bezahlung des Schriftstellers erledigte. Heute zeigen sich über das Netz ganz neue Verwertungswege, die wir nutzen müssen - und die auch funktionieren. Das Beispiel iTunes zeigt dies.

Bei der Frage der Wissensverbreitung ist das Netz mehr denn je zu einer wahnsinnigen Innovationsressource für Gesellschaft und Wirtschaft insgesamt geworden. Das ist erst mal gut so. Das hat die Produktivkräfte entwickelt. Doch müssen wir heute die Fragen stellen: Was passiert mit dem Wissen? Wo wird es genutzt im emanzipatorischen Sinne? Das ist nicht nur eine Frage von Netzpolitik, sondern geht die Gesellschaft insgesamt an. Deswegen sollten wir auch hier die Freiheit des Netzes und die Freiheit derjenigen, die Wissen verbreiten wollen, betonen gegenüber denjenigen, die den Zugang zu Wissen einschränken wollen.

NG/FH: Von der Internet-Jobbörse der Agentur für Arbeit bis zu SchülerVZ kann man immer wieder von Datenmissbrauch lesen. Widersprechen Freiheit und Benutzerfreundlichkeit nicht auch der Datensicherheit?

BÖHNING: Da gibt es eine widersprüchliche Entwicklung. Auf der einen Seite ziehen sich - umgangssprachlich gesagt - gerade junge Menschen bis auf die Unterhose im Netz aus. So gibt es - von Facebook bis StudiVZ - offensichtlich einen sehr schonungslosen Umgang mit seinen eigenen Daten. Auf der anderen Seite gibt es die Gegenbewegung, dass nämlich mit den Daten, die im Netz sind, die man zum Teil gar nicht selbst ins Netz gestellt hat, Missbrauch und Geschäfte betrieben werden. Manche social networks zielen ja auch darauf, dass man gesammelte Daten versucht marktfähig zu machen für Unternehmen oder Kaufhäuser. Dem widersetzen sich heute schon viele User, gerade in Bezug auf die Auseinandersetzung um Nutzungsbedingungen. Doch beim Thema Datenschutz muss auch der Staat selbst aufpassen, dass er nicht zur Datensammelstelle der Gesellschaft wird. Wer Daten ohne jegliche Transparenz, ohne jegliche Kontrolle anhäuft, wird beim Bürger zu Recht Abwehrgefühle erzeugen. In den letzten Jahren ist der Kampf gegen den Terror leider dazu benutzt worden, Datenschutzrechte zu beschneiden. Hier muss gerade die SPD wieder mehr zur Partei des Datenschutzes und der Bürgerrechte werden.

WEISSKIRCHEN: Ich würde gerne auf den Innovationsbegriff zurückkommen, der immer gebunden ist an den kreativen Einzelnen. Wenn dieser kreative Einzelne nicht mehr steuern kann, was mit seinem Produkt passiert, dann wird auch die Quelle der Kreativität austrocknen. Wir wissen, die Steuerung erfolgt nicht mehr allein in der klassischen Form von Gesetzgebungsakten, sondern was viel stärker kommen wird, sind Übereinkünfte, agreements, wobei dann allerdings der Rahmen gesetzlich schärfer definiert werden muss. Am Beispiel der eBooks von Google reicht es eben nicht, wenn es einen Vergleichsvorschlag eines New Yorker Gerichts gibt und alle müssen sich daran orientieren, auch die Bayerische Staatsbibliothek, die ja einen Teil ihrer Bücher Google zum Scannen überlassen hat. Dazu brauchen wir einen neuen globalen Definitionsrahmen, innerhalb dessen dann, durchaus unterschiedlichen - amerikanischen, europäischen - Rechtstraditionen folgend, neue Wege gesucht werden müssen, wie man Übereinkünfte finden kann.

BÖHNING: Es ist auch meine Befürchtung, dass wir zu nationalstaatlich denken. Denn wir brauchen in der Tat neben der ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) und verschiedenen Foren, viel mehr internationale, auch europäische Übereinkünfte. Das war ja auch meine große strategische Sorge bei der Debatte um Internetsperren: Nämlich, dass jetzt jedes europäische Land solche Sperrinfrastrukturen aufbaut und das eigentliche Nachdenken darüber, wie wir zu internationalen Vereinbarungen kommen können, damit ekelhafte Inhalte im Netz, wie Kinderpornos, direkt beim Server gelöscht werden, zwischen den Ländern nicht stattfindet.

NG/FH: Noch etwas grundsätzlicher gefragt: Von Tim Renner konnte man neulich hören, der PC sei kein bloßes Arbeits- und Kommunikationsmittel, sondern ein "emotionaler Zustand des Daseins". Wenn in der jungen Netzgeneration neue Lebensgefühle, neue Werte, neue Begrifflichkeiten wachsen, wie Freiheit statt Solidarität, so wäre das für die Inhalte der sozialen Demokratie doch schwer anschlussfähig.

BÖHNING: Ich hatte im Wahlkampf mit Sascha Lobo ein so genanntes tweetup, also eine Veranstaltung, wo man nur über Twitter einlädt, da waren plötzlich 50 junge Leute, die sicherlich mit der Sozialdemokratie in den letzten Jahren wenig gesprochen hatten. Die haben mir berichtet, dass die Frage von sozialer Sicherheit für Selbstständige eine ganz zentrale ist. Zwar machen sie sich jetzt keine konkreten Gedanken über ihre Altersvorsorge. Aber genauso spüren sie, dass sich - auch das eine Generationenfrage - mit der Familiengründung irgendwann auch die Frage von sozialer Absicherung stellen wird. Deswegen sollten wir das Thema soziale Sicherheit für Solo-Selbstständige integral im Bereich der Netzpolitik diskutieren: Wie gelingt es uns, soziale Sicherung für Internetarbeiter, so will ich sie mal nennen, zu schaffen und ihnen ein sozialstaatliches Angebot zu machen. Und zwar jenseits der klassischen Sozialversicherung, weil sie dort vermutlich durch ein Rost fallen würden. Es sind immerhin gut zwei Millionen Menschen, die alleine selbstständig arbeiten, und dies auch gerne tun. Sozialdemokratische Netzpolitik heißt also erstens über soziale Sicherung zu sprechen, zweitens über Bürgerrechte und drittens über die Frage, wie wir kreatives Kapital gehoben kriegen.

WEISSKIRCHEN: Immer wenn es neue revolutionäre Technologien gibt, gehen diese häufig mit Gefühlen des Triumphes einher. Das mache ich nicht zum Vorwurf, aber all die digitalen jungen Menschen, die als natives aufgewachsen sind, haben diesen inneren Impuls in sich: "Wir können alles!" - zumindest, was die Beherrschung von Technik anbetrifft, ist das ja auch zutreffend. Das Problem steckt darin, gesellschaftliche Verhältnisse sind immer reziproke Verhältnisse, d.h. der Einzelne kann seine Freiheit nie ausleben, ohne mitzudenken, dass seine Freiheit die Freiheit auch des Anderen ist, um ein Wort von Rosa Luxemburg abzuwandeln. Das verkümmert nach meinen Beobachtungen dann, wenn der digital native immer nur auf die Oberfläche des Bildschirms schaut. Dann kommt immer weniger zum Vorschein, was sich dahinter verbirgt. Die Technik kann ja nur funktionieren, wenn es große Ingenieursleistungen gibt und diese kann es nur geben, wenn es eine kulturelle Produktivität gibt. Kulturelle Produktivität aber kann es nur geben, wenn es auch Menschen gibt, die sich nicht nur auf die eine Kultur- und Arbeitstechnik, so hieß es ja in der Frage, beziehen. Manche benutzen die neue Technologie schon anders, nämlich als Element der eigenen Emanzipation, als geradezu unverzichtbares Element ihrer eigenen Identität. Das wird zunehmen in Zukunft. Aber in diesem Transformationsprozess wird es immer so sein, dass triumphalistische Gedanken alle anderen Freiheitsüberlegungen und Freiheitsbedürfnisse wegzudrängen versuchen und sich auf ein einziges Moment fixieren. Reziproke Verhältnisse, das heißt auch, dass die Jungen, die digital natives sind, wissen müssen, sie können ihre eigene Technik nur weiterentwickeln, wenn die anderen mitdenken und mithelfen, die Teilung der Gesellschaft, also digital divide, zu überwinden.

BÖHNING: Es stimmt schon, dass es ein digitales Lebensgefühl in der jungen Generation gibt. Die reden nicht darüber, ob sie jetzt ihr iPhone nutzen, sondern das iPhone und das Netz sind Teil der sozialen Beziehungen, von meiner eigenen Identität, die ich im Netz spiegele. Natürlich gerät das dort an die Grenzen, wo die Freiheit anderer beschnitten würde, nichtsdestotrotz gehen sie und wir damit anders um. Es ist nicht mehr klar zu unterscheiden zwischen realer Lebenswelt und digitaler Lebenswelt. Weil die digitale Lebenswelt für junge Menschen genauso real ist wie die Straße draußen, ist es eine feste Aufgabe von uns Sozialdemokraten, auch als emanzipatorische, demokratische Bewegung, uns diesem Lebensgefühl zu nähern. Sowie es zu fördern, denn Kommunikationswege werden sich fundamental verändern. Gesellschaftlicher Diskurs konstituiert sich heute weniger im Vereinsleben, im Sportverein oder am Stammtisch, sondern zunehmend ausschließlich im Netz. Unsere Aufgabe sollte es zudem sein, Bewegung in diesen sozialen Diskurs zu bringen, und zwar in der Hinsicht, dass die "Blogosphäre" sich dort nicht nur über technische Dinge austauscht, sondern das soziale, politische und gesellschaftliche Gespräch sucht, wie es früher auf der Agora stattgefunden hat. Den Diskurs über Fragen des Netzes auszuweiten auf Fragen der Gesellschaft, das ist für mich die eigentliche Aufgabe, die wir als jüngere Sozialdemokraten, die wir als digital natives aufgewachsen sind, haben.


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 12/2009, S. 20-24
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Anke Fuchs,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Februar 2010