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MEDIEN/379: Zwischenruf - Denken und Medien (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 7-8/2010

Zwischenruf: Denken und Medien

Von Thomas Meyer


Es gibt sie durchaus: Printmedien, die zur Ermutigung und Verbreitung des für die Selbsterkenntnis der Gesellschaft bedeutsamen Denkens der Zeit Wesentliches beitragen, mitunter mehr und Besseres als mancher Think-Tank. Sie sind rar, wie etwa die New York Review of Books, aber sie sind da und sie beweisen die Möglichkeit. Einsame Leuchttürme, die die Nebel, die Gesellschaft und Politik in der Gegenwart oft verhüllen, immer wieder aufhellen. Das gilt auch, zumeist allerdings mit irritierendem Flackern und geringerer Verlässlichkeit, für manche Spalten und Autoren der Qualitätsmedien hierzulande. Im Ganzen beobachten wir allerdings zunehmend auch für den größten Teil der Printmedien, was Neil Postman auf das Fernsehen gemünzt hatte: Sie scheinen sich mit dem Denken schlecht zu vertragen.

In den Medien herrscht das Regiment der Ereignisse und Personen, Konflikte und Sensationen, die Logik der Aufmerksamkeitsmaximierung, also das, was Denken erschwert. Das gilt weithin selbst dort, wo vordergründig das Gegenteil verheißen wird, etwa für die Auftritte Peter Sloterdijks mit seinen Gästen im öffentlich rechtlichen Fernsehen. Es ist die Darstellung von Denken, seine gespielte Verkörperung in medialen Showfiguren, ohne Wahrhaftigkeitsanspruch und ohne Verantwortung für die Folgen. Auch dies das Gegenteil wirklichen Nachdenkens über gesellschaftliche Zustände und politische Alternativen jenseits des vom politischen Betrieb und seiner Selbstmediatisierung Proklamierten. Die Entertainisierung ist auf beiden Seiten der Barrikaden, in Politik und Medien, weit gediehen. In den Medien kommt regelmäßig eine wohlfeile Politikverachtung hinzu, die den allzu kurzen Sprüngen der politischen Matadore nicht das bessere Denken, sondern bloß die Häme und Schadenfreude der Verantwortungslosen entgegenhält. Keine taufrischen Befunde, gewiss, aber durch die fortschreitende Gewöhnung in der Konsequenz fataler denn je.

Es trifft den Kern der Sache, wenn einer der altgedienten Journalisten der Republik, der sich jahrzehntelang engagiert um das Gegenteil bemüht hat, nun ratlos feststellt, an wirklichen Diskursen seien die Redaktionen nicht mehr interessiert. Diskurse gewinnen Zutritt zu den Medienbühnen hauptsächlich in der Zerrform, die ihnen die Ankettung an Ereignisse, Prominenz, Eklats zufügt, oder à la Schirrmacher zum Zwecke der weidlichen Selbstvermarktung des je aktuellsten Eigenprodukts aus der Sparte pfiffiger Diskursinszenierung. Auch die seltsam retrograde Sloterdijk-Debatte über dessen Aufruf zum Thema "Steuerstreik" wurde eher als Event in Szene gesetzt, denn als ein Diskurs über die Grundlagen des Sozialstaates tatsächlich geführt, was der Ernst der Sache unbedingt geboten hätte. Es war das Gegenteil neuen Nachdenkens über die Fundamente unseres Staates vor dem großen Medienforum. Eine fahrlässig verspielte Chance. Ausgetauscht wurden vielmehr Invektiven gegen Personen, Vermutungen über Motive, Gesten personaler Geringschätzung, kabarettreife Verdikte und was an dergleichen Medienfutter noch greifbar war, aber nicht die Art von ernsthaften Argumenten, die auf eine Verständigung über das große Thema gerichtet waren.

Das war ein Lehrstück darüber, was selbst dem brennendsten Thema passieren kann, wenn es unter die Medien gerät und unter jene, die ihnen virtuos zuspielen. Schon wahr, in den deutschen Feuilletons ist viel Kluges und Nachdenkliches zu lesen, aber sie können den ausbleibenden Brückenschlag zwischen den maßgeblichen Denkorten, wie sie beispielhaft von Gunter Hofmann in diesem Heft skizziert sind, und der Welt des politischen Handelns nicht leisten.


Gründe für die diskursive Lähmung

Woran liegt das alles? Offenbar sind es vor allem zwei Gründe. Der eine ist systemischer Natur. Die Massenmedien binden sich, um ihr Geschäft der Aufmerksamkeitserzeugung erfolgreich zu vollziehen, an eine Reihe von Nachrichtenfaktoren, die dies sichern. Jeder einzelne von ihnen - Personalisierung, Prominenz, Konflikt, Ereignis, Spitzenleistung, Versagen, Jetztorientierung und kurze Dauer, insgesamt ein dichtes Filtersystem für das, was aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit zur Medienwelt durchdringt - steht quer, nicht nur zur eigentlichen Logik demokratischer Politik, sondern zu den Bedingungen eines öffentlichen Denkens, das sich in großen Debatten kristallisiert. Von dem, was an den Denkorten der Republik und der Welt an neuen Einsichten ermittelt wird, interessiert die Massenmedien allenfalls die spektakuläre Spitze, der prominente Aufhänger oder der Streit der Protagonisten. Die Sachen selbst entziehen sich dem Medienformat.

Immerhin gab es für den ausbleibenden Diskurs einst einen respektablen Ersatz, nämlich in den ersten Jahrzehnten der Republik, als große Kontroversen zwischen den Flagschiffen unter den Printmedien geführt wurden, vornehmlich den Linksliberalen aus Hamburg und der Springer-Welt, über eine neue Ost-Politik, die Nachrüstung, die Mitbestimmung oder das europäische Einigungsprojekt. Der befruchtende und informative Streit zwischen den großen Medien ist - der zweite Grund für die diskursive Lähmung - einer bleiernen Schwere gewichen, die oft Züge selbst gewählter Gleichschaltung zeigt. Dabei spielt der Generationswechsel unter den Journalisten hin zu einer diskursiv uninteressierten, neubürgerlich saturierten und gelangweilten Generation eine Rolle sowie das unter ihnen verbreitete Bewusstsein, letztlich alsbald in nahezu jeder der Redaktionen des Landes landen zu können und darum besser den Konflikt mit den großen Platzhirschen zu vermeiden, die in diesem Betrieb die Regie führen und mittlerweile entspannt zusammenspielen.

Könnten nicht auch unter den Wirkungsgesetzen medialer Aufmerksamkeit inhaltsreiche Debatten stattfinden? Könnte nicht beides produktiv verbunden werden: der argumentative Prozess der Vermittlung und Prüfung der Befunde des relevanten Denkens über die Gesellschaft und ihre attraktive Inszenierung über einen längeren Zeitraum hinweg vor großem Publikum? Also eine Neuerfindung dessen, was eigentlich die demokratische Funktion der Rhetorik ausmacht, die Einheit von Logos, Pathos und Ethos. In Zeiten der Umbrüche, der immer neuen beispiellosen Risiken und der immer dramatischeren Folgen gegenwärtigen Handelns für künftige Lebensbedingungen wäre das nicht nur wünschenswert, es ist notwendig. Das würde dann auch die Parteien in Zugzwang bringen, anstelle von soundbites und Gesichtern der Gesellschaft Rechenschaft mit längerem Atem darüber abzulegen, welches Verständnis der Welt sie ihren Programmen zugrunde legen, aus welchen Quellen sie ihr Wissen speisen und was sie mit der Gesellschaft am Ende vorhaben. Unmöglich ist das nicht.


Thomas Meyer (* 1943) ist Professor (em.) für Politikwissenschaften an der Universität Dortmund und Chefredakteur der Neuen Gesellschaft/ Frankfurter Hefte. Zuletzt im VS Verlag erschienen: Was ist Demokratie? und Soziale Demokratie. Eine Einführung.
(thomas.meyer@fes.de)


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 7-8/2010, S. 65-67
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Siegmar Gabriel, Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka und Thomas Meyer
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. September 2010