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MENSCHENRECHTE/237: Kaum öffentlicher Widerstand gegen Todesstrafe in arabischer Welt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. September 2011

Menschenrechte: Kaum öffentlicher Widerstand gegen Todesstrafe in arabischer Welt

von Sanjay Suri


London, 29. September (IPS) - Die in arabischen Ländern verhängte Todesstrafe wird in der Regel mit dem Islam und den oftmals autoritären Regimen in der Region in Verbindung gebracht. Doch nach Ansicht etlicher Gegner der Kapitalstrafe werden Menschen vor allem deshalb hingerichtet, weil das die Mehrheit der Bevölkerung so wünscht. In einem solchen Fall wäre die Todesstrafe eine demokratische Einrichtung, hieß es auf einer Konferenz in London.

Aus der Entfernung sehe es danach aus, als würde durch die Todesstrafe der Koran befolgt, sagte Tanya Awad Ghorra von der 'Academic University for Nonviolence and Human Rights in the Arab World' (AUNOHR) in Beirut. "Bei näherer Betrachtung erkennt man jedoch, dass dadurch direkte Racheakte zwischen verschiedenen Ethnien verhindert werden sollen."

In diesem Fall würden die Regierungen nur die Stimmen ihrer Bürger beachten, meinte sie. In der arabischen Welt werde Rache als etwas ganz Natürliches betrachtet. Obgleich es in der Region bereits viele Kampagnen für das 2007 beschlossene UN-Moratorium zur Todesstrafe gegeben habe, sei es noch von keinem einzigen arabischen Staat unterzeichnet worden.

Nach Ansicht von Awad Ghorra wird Rache als legitim betrachtet. "Fragt die Leute. Für sie ist das normal", sagte sie am Rande einer Konferenz in London, die die Menschenrechtsorganisation 'Penal Reform International' (PRI) organisiert hatte.

AUNOHR engagiert sich seit Jahren gegen die Todesstrafe. Laut Ghorra ist der Kampf hart. "Man kann viele Kampagnen führen, die von Europäern und Menschen aus anderen Teilen der Welt unterstützt werden. Doch solange wir nicht gezielt Einfluss auf die Öffentlichkeit nehmen, wird sich wenig ändern."


Verbesserungen im Libanon

Im Libanon, wo eine nationale Kampagne zur Abschaffung der Todesstrafe durchgeführt wurde, stellten sich Erfolge ein. Doch hatte die Regierung nach jahrelangem Krieg mit Israel ein längst vergessenes Gesetz aus der Versenkung geholt, das vorsieht, Mörder mit dem Tod zu bestrafen. "Millionen Menschen standen Schlange vor den Galgen", berichtete Ghorra. "Das war der Grund, warum wir unsere landesweite Kampagne gestartet haben."

Die Aktivisten erreichten, dass das Gesetz 2001 abgeschafft wurde. Damit wurde der Libanon zum Vorreiter in der gesamten arabischen Welt. "2004 weigerte sich der Regierungschef, den Hinrichtungsbefehl für einen Häftling zu unterzeichnen. Er tat es aus Gewissensgründen. Seitdem befolgt der Libanon ein mündliches Moratorium", erklärte Ghorra, die sich für die Verabschiedung von Gesetzen gegen die Anwendung der Todesstrafe einsetzt.

Menschenrechtsaktivisten untersuchen inzwischen, welche Veränderungen der 'arabische Frühling' in dieser Frage bringen könnte. In Tunesien wird erwartet, dass der Islamismus eher moderat bleiben wird. "Tunesien hat die Todesstrafe seit 1991 nicht mehr vollstreckt", berichtete Amor Boubakri, der öffentliches Recht an der tunesischen Universität Sousse lehrt. Allerdings wurden bis 2005 mehrere Gesetze verabschiedet, die die Todesstrafe vorsehen. "Seit der Revolution gibt es jedoch die große Hoffnung, dass die Kapitalstrafe abgeschafft werden kann."


Tunesien neues Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofs

Menschenrechtsorganisationen werden dadurch ermutigt, dass die tunesische Übergangsregierung wenige Wochen nach dem Aufstand dem Internationalen Strafgerichtshof beigetreten ist. Andere Instrumente zur Wahrung der Grundrechte wurden ebenfalls angenommen.

Vor den Wahlen für eine verfassunggebende Versammlung im nächsten Monat wollen Aktivisten eine nationale Debatte über die Todesstrafe anstoßen. Laut Boubakri ist es denkbar, dass die nächste Versammlung für die Abschaffung der Todesstrafe stimmen könnte. Der Machtzuwachs der Islamisten sei nicht unbedingt eine Hürde. In Tunesien sei ihre Bewegung im Großen und Ganzen gemäßigt. (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://humanrights-lb.org/pagein.php?id=43&ftbl=projects
http://www.penalreform.org/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=105252

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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. September 2011