Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → FAKTEN

MENSCHENRECHTE/248: Kolumbien von schwarzer Liste gestrichen, Menschenrechtslage nach wie vor kritisch (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. Dezember 2012

Kolumbien: Von schwarzer Liste gestrichen - Doch Menschenrechtslage nach wie vor kritisch

von Constanza Vieira



Bogotá, 11. Dezember (IPS) - Die Interamerikanische Menschenrechtskommission (CIDH) hat Kolumbien für das kommende Jahr von seiner schwarzen Liste gestrichen, weil die Regierung unerwartet Beobachter ins Land gelassen hat. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Institution mit der Menschenrechtslage vor Ort zufrieden ist. Im Gegenteil: Die Beobachter sprechen von gravierenden Mängeln.

Zwölf Jahre lang wurde Kolumbien in Kapitel IV des jährlichen Berichts der Menschenrechtskommission geführt. Dort werden Staaten gelistet, für die keine eigenständigen Berichte angefertigt werden, in denen es aber dennoch zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Im laufenden Jahr finden sich darin neben Kolumbien auch Honduras, Venezuela und Kuba.


Erneute Prüfung im Jahr 2014

Jetzt soll es für Kolumbien einen ausführlichen Bericht geben, in dem die Beobachter auch Empfehlungen zur Verbesserung der Menschenrechtssituation abgeben. 2014 überprüft die CIDH, ob den Empfehlungen entsprochen wurde. Wenn nicht, kann das Land im Jahr 2015 wieder in Kapitel IV abrutschen.

"Die Entscheidung, ein Land in Kapitel IV aufzuführen oder einen eigenständigen Bericht anzufertigen impliziert nicht, dass sich die Menschenrechtssituation im betreffenden Land verbessert hat", kommentierte Kommissionsmitglied Felipe González die Neujustierung.

Gerade im Fall Kolumbien trifft dies tatsächlich nicht zu: Die fünf Kommissionsmitglieder, die Kolumbien in diesem Jahr besuchten, stellten eine "schwere humanitäre Krise" fest. Insbesondere bezogen sie sich dabei auf die Situation der Binnenflüchtlinge. Ersten Schätzungen zufolge haben 8,6 bis 11,2 Prozent der 47 Millionen Einwohner des Landes wegen Unruhen im Zuge des seit Jahrzehnten andauernden internen bewaffneten Konfliktes ihr Heim verlassen müssen. Der nichtstaatlichen Beratungsstelle für Menschenrechte und Vertreibungen (Codhes) zufolge hat im Vergleich zum Vorjahr die Zahl der Vertriebenen im Jahr 2012 noch einmal um 63 Prozent zugenommen.

Besonders schwer betroffen sind den Beobachtern zufolge Indigene, Schwarze, Frauen, Aktivisten, Homosexuelle und Kinder - mit anderen Worten: die Schwachen in der Gesellschaft. Die Menschen fliehen vor Kämpfen in ihrer Region oder weil sie bedroht werden. Doch in der letzten Zeit sind vor allem Familien auf der Flucht, die ihre Söhne davor schützen wollen, von den linken Guerillagruppen FARC und ELN rekrutiert zu werden.

Da die rechten Paramilitärs bereits seit Jahren offiziell demobilisiert sind und ihre Waffen abgegeben haben, weigert sich der Staat, die seitdem Vertriebenen als Opfer des Konfliktes anzuerkennen.

Im Rahmen ihres Kolumbien-Aufenthalts besuchten die CIDH-Mitglieder die Hauptstadt Bogotá sowie Quibdó, Medellín und Popayán, die Hauptstädte der Departments Chocó, Antioquia und Cauca. Sie kamen zu dem Schluss, dass in Kolumbien zwei parallele Realitäten existieren. In Bogotá gebe es funktionierende Institutionen, aber "im Inland hat der Staat fundamentale Schwierigkeiten, die Gesetze geltend zu machen". Dies sei vor allem der Korruption auf lokaler Ebene geschuldet sowie dem niedrigen sozialen und politischen Entwicklungsniveau. Die Menschenrechtskommission hob außerdem die anhaltende Diskriminierung der afrokolumbianischen Bevölkerung hervor.

Kommissionsmitglied Felipe González besuchte die Stadt Popayán, in die verhältnismäßig viele Vertriebene flüchten. Dort traf er sich mit Binnenflüchtlingen, Indigenen, Vertretern von Frauenorganisationen, Militärs, dem Gouverneur, dem Ombudsmann und Vertretern der Staatsanwaltschaft. Dadurch hat er nach eigenen Angaben ein umfassendes Bild der Situation vor Ort erhalten.


"Alarmierende" Anzahl von Fällen sexueller Gewalt

Als "alarmierend" bezeichnete er die Fälle sexueller Gewalt gegen Frauen seitens der bewaffneten Akteure. Zwar hat den Behörden nur eine einzige Frau Anzeige erstattet. Doch der lokale Ombudsmann habe von weit mehr Fällen gesprochen. Da viele der sexuellen Delikte von den staatlichen Streitkräften ausgingen, hätten die Frauen Angst, damit an die Öffentlichkeit zu gehen.

Immerhin hat sich die Situation der Landbevölkerung leicht verbessert. Die Regierung führt derzeit in Havanna Friedensgespräche mit Vertretern der FARC. Diese hat mit Blick auf die Weihnachtszeit eine Waffenruhe ausgesprochen.

Doch zufrieden sind die Indigenen in Cauca damit nicht, berichtet González: "Es beunruhigt sie, dass sie in die Friedensverhandlungen nicht einbezogen wurden." Sie fürchten, dass die FARC die Zusage erhalten, sich in Gebiete zurückzuziehen, die auf indigenem Territorium liegen."

Schließlich kritisiert die CIDH auch die Verfassungsreform in Kolumbien. In deren Zuge soll das Militärstrafrecht ausgeweitet werden. Das sei ein Schritt in die falsche Richtung und gefährde das Recht der Opfer auf Gerechtigkeit. (Ende/IPS/jt/2012)


Links:

http://www.oas.org
http://ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=102043

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 11. Dezember 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Dezember 2012