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MENSCHENRECHTE/285: Indigene - US-Volk ruft Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof an (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. April 2014

Indigene: US-Volk ruft Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof an

von Michelle Tullo



Washington, 22. April (IPS) - US-amerikanische Onondaga-Indianer haben beim Interamerikanischen Menschenrechtsgericht (IACHR) Beschwerde gegen die Regierung in Washington eingelegt. Sie werfen den US-Behörden und der Justiz des Landes vor, gegen Abkommen zu verstoßen beziehungsweise ihre Rechte nicht zu schützen.

Die Onondaga sind eine von mehr als 650 indigenen Volksgruppen, die von der US-Regierung anerkannt sind. 2005 verklagten sie den Bundesstaat New York wegen mehrerer Vertragsbrüche, die zum Verlust und zur Verschmutzung ihrer Territorien führten. Wie ihre Anwälte erklärten, nutzen die Gerichte uralte und rassistische Präzedenzfälle, um die Klagen der Onondaga abzuweisen.

"Der Bundesstaat New York ist rechtsbrüchig geworden, und die US-Regierung hat versagt, unsere Territorien zu schützen", erklärte Sid Hill, ein 'Tadodaho', wie die spirituellen Führer der Onondaga genannt werden, die sich am 15. April zu einer Protestkundgebung vor dem Weißen Haus eingefunden hatten. Sie zeigten den Wampumgürtel, den der erste US-Präsident George Washington bei ihnen in Auftrag gegeben hatte, um das Abkommen von Canandaigua aus dem Jahre 1794 zu besiegeln, das die Landrechte mehrerer US-Völker schützt.

In ihrer Petition an den IACHR, den Menschenrechtsarm der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), zitierten die Onondaga Passagen aus dem von George Washington 1790 unterzeichneten 'Trade and Intercourse Act'. In dem Gesetz, das die Beziehungen zwischen Staat und Indigenen verbessern sollte, wird den Onondaga das Recht auf ihr Land und die Unterstützung der Bundesgerichte in Fällen zugesichert, in denen ihre Landrechte gefährdet sind.


Gravierender Landverlust

Doch seit dem Abkommen ist das indigene Territorium nach Aussagen der Onondaga-Anwälte von mehr als 10.000 Quadratkilometern auf keine 30 Quadratkilometer geschrumpft. Die US-Gerichte hätten nichts getan, um diese Entwicklung aufzuhalten. "Wir haben mit unseren Rechtsstreit 2005 begonnen", berichtete Joe Heath, der Anwalt der Onondaga, gegenüber IPS. "Uns geht es weniger um die Rückgabe der verlorenen Territorien als um den Schutz unserer heiligen Stätten und der Umwelt. Unser Fall wurde 2010 abgewiesen. Daraufhin zogen wir in die nächste Instanz und später vor den Obersten Gerichtshof."

Seit 2005 sind sogenannte Equitable-Defence-Gesetze verabschiedet worden, die New York im Onondaga-Fall mit zwei besonderen Abwehrmechanismen ausstattet. Zum einen können die Behörden aus dem Argument Kapital schlagen, dass von 1794 bis 2005 viel zu viel Zeit verstrichen sei. Zum anderen profitieren sie davon, das die Richter darüber entscheiden, ob die Onondaga auf ihrem Land gestört wurden.

"Die rechtlichen Grundlagen, auf die sich die Onondaga berufen, haben sich seit Beginn des Falls grundlegend geändert", argumentierte das Bezirksgericht. "Nach heutigem Recht ist es diesem Gericht nicht gestattet, die Klage zuzulassen." Die Onondaga und andere indigene Völker kämpfen nun um eine Reform der US-amerikanischen Indigenenlandrechte.

Die derzeitigen Präzedenzfälle gehen auf einen Erlass von Papst Alexander VI. aus dem 15. Jahrhundert zurück, der europäischen Monarchen die Souveränität über sämtliche Gebiete zuerkannte, auf denen "nichtchristliche barbarische Völker" lebten. In einem Fall aus dem Jahr 1823 wandte der Oberste US-Gerichtshof dieses Prinzip an, um den Anspruch kolonialer oder post-kolonialer Regierungen auf indigene Territorien zu untermauern.

Der Oberste Gerichtshof bemühte diese Doktrin auch 2005, als die Oneida-Indianer unter Berufung auf ihren Status, ein souveränes Volk zu sein, die Zahlung von Steuern verweigerten. "Nach der Entdeckerdoktrin ist die Erhebung von Gebühren für Land, auf dem zum Zeitpunkt der Ankunft der Kolonialisten Indianer siedelten, ein Recht des Herrschenden - zunächst der europäischen Endecker und später (...) der USA", schrieb Richterin Ruth Bader Ginsburg in ihrem Urteil von 2005.

Diese Doktrin untermauert die Entscheidungen der Gerichte, den Onondaga-Fall abzuweisen. "Das ist der Plessy-gegen-Ferguson-Fall der indigenen Rechtsprechung", meinte Heath in Anspielung auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA von 1896, die die Rassentrennung nach dem Separate-But-Equal-Prinzip in den US-Südstaaten etablierte und die erst 1954 wieder aufgehoben wurde.


Verseuchtes Wasser

Heath und anderen zufolge zielen die Bemühungen, das US-amerikanische Rechtssystem zu 'korrigieren' darauf ab, den Onondaga und anderen indigenen Völkern mehr Mitsprache in Umweltfragen einzuräumen. Sie gründen vor allem auf dem Zustand des Onondaga-Sees. "Das heilige Gewässer ist zum schmutzigsten See der USA geworden", betonte Heath.

Die 'Allied Corporation' hatte von 1946 bis 1970 jeden Tag Quecksilber in den See eingeleitet. 1999 fusionierte das Chemieunternehmen mit den Thermostatenhersteller 'Honeywell' und übernahm auch dessen Namen, um nicht länger mit der Verseuchung des Gewässers in Verbindung gebracht zu werden. Für die Onondaga wurde es dadurch noch schwieriger, die Verantwortlichen zur Säuberung des Sees zu veranlassen.

"Vor der Ankunft der Europäer führten wir ein gesundes Leben", so Heath. "Das ganze Wasser war sauber und trinkbar. Doch der Verlust unseres Landes, die Verseuchung der Gewässer und der Verlust des Zugangs zu sauberem Wasser wirkten sich negativ auf unsere Gesundheit aus."

Hinzu kommen die Schäden durch den Salzbergbau. "Auf dem gesamten Territorium gibt es nur einen einzigen Fluss, den Onondaga Creek, der jedoch aufgrund des Salzbergbaus stromaufwärts stark verseucht wurde", erläuterte Health. Heath zufolge können sich die Ältesten der Onondaga noch gut an eine Zeit erinnern, in der das Wasser klar und voller Forellen war. "Doch inzwischen kann man nur noch fünf Zentimeter in die Tiefe blicken. Die Brühe sieht aus wie abgestandener Kaffee", meinte er.

Die Onondaga hoffen nun, dass ihnen der IACHR beisteht. Allerdings kann es Jahre dauern, bis das Gericht ein Urteil fällt. Und selbst für den Fall, dass das Tribunal den Indigenen Recht gibt, haben seine Urteile lediglich Empfehlungscharakter. "Wir wissen zwar, dass sich die USA nicht an das OAS-Menschenrechtsurteil halten müssen", meint dazu der Onondaga-Tadodaho Hill. "Doch wüssten wir nicht, an wen wir uns sonst wenden könnten. Unsere Möglichkeiten sind ausgereizt." (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/04/u-s-tribe-looks-international-court-justice/

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IPS-Tagesdienst vom 22. April 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. April 2014