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MENSCHENRECHTE/291: Mexiko - Verschwindenlassen von Personen beschäftigt UN-Sonderausschuss (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Januar 2015

Mexiko: Verschwindenlassen von Personen beschäftigt UN-Sonderausschuss

von Emilio Godoy


Bild: © Emilio Godoy/IPS

Massendemonstration in Mexiko-Stadt nach dem Verschwinden von 43 Studenten
Bild: © Emilio Godoy/IPS

Mexiko-Stadt, 26. Januar (IPS) - Der mexikanische Staat wird sich einer Überprüfung durch den UN-Ausschuss gegen das Verschwindenlassen von Personen stellen müssen. Seit der Ermordung von 43 Studierenden eines Lehrerseminars im südlichen Bundesstaat Guerrero im Herbst letzten Jahres ist diese Verbrechensform ins Zentrum der nationalen und internationalen Aufmerksamkeit gerückt.

Dem UN-Ausschuss liegen zwölf Eingaben von insgesamt 26 Menschenrechtsorganisationen vor. In dem lateinamerikanischen Land sind mindestens 23.000 Menschen verschollen. Unklar ist, in wie vielen Fällen es sich bei den Opfern um 'Verschwundene' handelt.

Menschrechtsaktivisten zufolge hat das Verbrechen in Mexiko seit dem Amtsantritt des ehemaligen konservativen Staatspräsidenten Felipe Calderón im Dezember 2006 das Ausmaß einer humanitären Krise angenommen. Calderón, der bis Ende 2012 im Amt war, hatte das Problem durch die Militarisierung des Anti-Drogenkampfes dramatisch verschärft. Doch ist es weder seiner Regierung noch der seines ebenfalls konservativen Amtsnachfolgers Enrique Peña gelungen, den Drogenhandel in den Griff zu bekommen.

Die Menschenrechtsgruppen fordern, Verschwindenlassen zu einem eigenständigen Straftatbestand zu machen. Sie verlangen ferner die Einführung wirksamer Instrumente und Protokolle, um die Suche nach den 'Verschwundenen' und die Auszahlung von Entschädigungen an die direkt und indirekt Betroffenen zu erleichtern.

Dem aus zehn unabhängigen Experten bestehenden UN-Ausschuss kommt die Aufgabe zu, für die Einhaltung der Internationalen Übereinkunft zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen zu sorgen. Er werde Mexiko während seiner achten Sitzungsperiode vom 2. bis 13. Februar in Genf einer kritischen Befragung unterziehen, meint Jacqueline Sáenz vom FUNDAR-Zentrum für Forschung und Analyse.


"Negative Bilanz"

Das Land lasse es bisher an angemessenen Vorgehensweisen gegen das Verschwindenlassen von Menschen missen. Es unternehme viel zu wenig gegen diese Form von Verbrechen und agiere mehr reaktiv als proaktiv, so Sáenz. "Die Bilanz fällt sehr negativ aus."

Obwohl ein schweres Menschenrechtsvergehen, ist das Verschwindenlassen von Personen erst seit dem 26. September in den weltweiten Fokus gerückt. An dem Tag ging die Polizei in Iguala, 190 Kilometer südlich von Mexiko-Stadt, gewaltsam gegen Studierende des Ayotzinapa-Lehrerseminars vor. Sechs Menschen wurden dabei getötet und 25 verletzt.

Nach Angaben des Generalstaatsanwalts nahm die Polizei im Anschluss daran 43 weitere Studenten mit und übergab sie einer Drogenhändlerbande, die in dem Gebiet in Revierkämpfe verstrickt war. Die Ermittlungen ergaben, dass die jungen Leute ermordet, ihre Leichen auf einer Müllhalde am Stadtrand von Colula nahe Iguala verbrannt und die Überreste in einem Fluss versenkt worden waren.

Am 7. Dezember teilte Staatsanwalt Jesús Murillo mit, dass es Forensik-Experten der Universität Innsbruck gelungen sei, eines der Opfer zu identifizieren. Am 20. Januar hieß es dann, dass die übrigen Leichenteile aufgrund der schweren Verbrennungen nicht mehr identifizierbar seien.

Das mexikanische Büro für Menschenrechte und Verbrechensprävention gibt die Zahl der Menschen, die im Zeitraum 2007 bis Oktober 2014 als vermisst gemeldet wurden, mit 23.271 an. Nur 621 von ihnen gelten offiziell als 'verschwunden'. 72 der Vermissten wurden lebend gefunden, während 30 tot geborgen wurden.

"Es ist wichtig, dass der UN-Ausschuss darauf dringt, dass die Regierung das gesamte Ausmaß des Problems darstellt", betont der Menschenrechtsaktivist Juan Gutiérrez. Es gebe so viele Berichte, die Empfehlungen im Umgang mit dem Verbrechen unterbreitet hätten. Doch seien sie allesamt ignoriert worden. "Es wird Zeit für Reformen."

Allein seit dem Amtsantritt von Peña Nieto im Dezember 2012 sind in Mexiko mehr als 9.000 Menschen verschwunden.

Bereits im November 2009 hatte der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) den Staat Mexiko im Fall des 1974 verschwundenen Gemeindeführers von Atoyac, Rosendo Radilla, für Verstöße gegen die persönlichen Freiheitsrechte, das Recht auf humane Behandlung und auf Leben verantwortlich gemacht und vergeblich aufgefordert, die Suche nach dem Vermissten fortzusetzen und den Fall aufzuklären.


Weitgehend Straflosigkeit

In ihrer Eingabe an den UN-Ausschuss erklärte die Menschenrechtsorganisation 'Amnesty International', dass die Behörden immer noch nicht mitgeteilt hätten, "wie viele Menschen in Mexiko verschwunden sind und wie viele aus anderen Gründen vermisst werden". Auf Bundesebene sei es zwischen 2005 und 2009 lediglich zu sechs strafrechtlichen Verfahren wegen solcher vor 2005 begangenen Verbrechen gekommen.

Im Zusammenhang mit der Ermordung der 43 Studenten aus Iguala hat die Generalstaatsanwaltschaft mehr als 40 Polizeibeamte verhaften lassen, die im Verdacht stehen, mit der Drogenmafia kooperiert zu haben. Auch der frühere Bürgermeister von Iguala, José Abarca, und seine Frau sind in die Verbrechen involviert.

Vier Organisationen hielten den zuständigen Behörden in Mexiko in einer am 8. Januar eingereichten Ergänzung zu ihren Eingaben an das UN-Komitee "mangelnde Kompetenz" und "zögerliche Reaktionen" in diesem speziellen Fall vor. Es habe sich gezeigt, dass die Internationale Übereinkunft zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen vollständig ignoriert werde.

Am 27. November hatte Peña Nieto einen Zehn-Punkte-Katalog vorgestellt. Unter anderem stellte er den Entwurf eines Gesetzes gegen Folter und Verschwindenlassen vor und versprach ein nationales Vermisstensuchprogramm.

Sáenz hält die Vorschläge für unzureichend. Das Land brauche einen kompletten Strategiewechsel. Und was das vorgeschlagene Gesetz angehe, müssten Organisationen und Angehörige der Verschwundenen an dem Entwurf beteiligt werden. (Ende/IPS/ck/2015)


Links:

http://www.ipsnews.net/2015/01/forced-disappearances-are-humanitarian-crisis-in-mexico/
http://www.ipsnoticias.net/2015/01/desaparecidos-acosan-a-mexico-tambien-en-escena-internacional/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 27. Januar 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Januar 2015


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