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MILITÄR/818: Operation »Allied Force« - die NATO im Luftkrieg gegen Jugoslawien 1999 (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 3. April 2009

Priorität: Zivile Ziele

Operation »Allied Force« - die NATO im Luftkrieg gegen Jugoslawien 1999.
Die damalige Angriffsdoktrin ist völkerrechtswidrig und bis heute gültig

Von Jürgen Rose


Am 7. März 2000 verlautbarte die Tageszeitung Die Welt - nicht zufällig das Leib- und Magenblatt des Lodenmantelgeschwaders ehemaliger Generale und Admirale der Bundeswehr - aus Anlaß des ersten Jahrestages der Bombardierung Jugoslawiens durch die NATO ein Stück Rechtfertigungsprosa, verfaßt vom damals amtierenden tschechischen Präsidenten Vacláv Havel. Der ehemals prominente Bürgerrechtler gab unter anderem zu Protokoll: »Aber kein Mensch mit profundem Verstand kann eines leugnen: Dies war der erste Krieg, der nicht im Namen von Interessen, sondern im Namen von Prinzipien und Werten geführt worden ist.« Was Havels Geisteszustand anbetraf, so korrelierte dieser aufs trefflichste mit dem des ebenfalls nicht ganz unbekannten Soziologen Ulrich Beck, hatte dieser doch bereits ein halbes Jahr zuvor in den Blättern für deutsche und internationale Politik, die Sinne noch ganz vom Pulverdampf umnebelt, sich nicht entblödet, gar von einer »postnationalen Politik des militärischen Humanismus« zu schwadronieren, die mit dem Interventionskrieg der NATO gegen Jugoslawien begründet worden sei. Üppig gedüngt mit solcherlei Manifestationen bellizistischer Diarrhöe, steht das Gras fett und hoch über den Gräbern auf dem Balkan.

Was nun den Ablauf des 78tägigen Luftkriegs angeht, den die NATO 1999 über dem Kosovo und gegen die Bundesrepublik Jugoslawien geführt hat, so ist es, will man dessen Verlauf erschließen, unabdingbar, einen Blick auf die Luftkriegsdoktrin der US Air Force zu werfen. Formuliert hat diese in Anknüpfung an vorangegangene Überlegungen aus den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts, wie sie von dem Italiener Giulio Douhet, dem Briten Hugh Trenchard, dem Amerikaner Billie Mitchell oder dem deutschen Reichswehrgeneral Walther Wever angestellt worden waren, ab 1987 der Colonel der US Air Force John A. Warden III, der später zum Kommandeur des Air Command and Staff College an der Air University, Maxwell AFB, Alabama, aufstieg. Seinen Ideen gelang im Krieg gegen den Irak 1991 der Durchbruch; sie prägen bis heute die gültige US-Luftkriegsdoktrin. Letztere bildete auch die konzeptionelle Grundlage für die Luftkriegsoperationen gegen Jugoslawien 1999, gegen Afghanistan 2001/2002 und erneut gegen den Irak 2003.


Das »Fünf-Ringe-Modell«

Den Kern des strategischen Ansatzes Wardens stellt sein sogenanntes Fünf-Ringe-Modell (1) dar: Ausgehend von einer systemtheoretischen Betrachtungsweise beschreibt der damalige Luftwaffenoberst einen potentiellen Gegner als ein System konzentrisch angeordneter Ringe, deren strategische Relevanz von innen nach außen abnimmt. Angewendet auf einen feindlichen Staat definiert Warden dieses System der gestaffelten Ringe folgendermaßen: Im Zentrum befindet sich die politische und militärische Führungsspitze. Darum herum gruppieren sich die Schlüsselindustrie (2), worunter primär die Stromerzeugung, Wasserversorgung, die petrochemische Industrie und interessanterweise auch der Finanzsektor eines Staates fallen, als dritter Ring die Transportinfrastruktur, dann die Zivilbevölkerung und zuletzt, ganz außen, das Militär.

Aus der Wichtigkeit dieser Elemente im Hinblick auf die Überlebensfähigkeit des Staates sowie aus ihrer Verwundbarkeit gegenüber Luftangriffen leiten sich direkt die Zielprioritäten für den strategischen Luftkrieg ab. Hervorzuheben ist, daß diese Luftkriegsdoktrin ganz bewußt auf die Zerstörung der Lebensgrundlagen eines Staates und einer Gesellschaft abzielt und insbesondere auch die Zivilbevölkerung selbst zum expliziten Ziel deklariert. Speziell soll durch Luftangriffe auf die Zivilbevölkerung und deren Existenzgrundlagen die Gefolgsbereitschaft gegenüber der politischen Führung unterminiert werden.

Andererseits rückt das gegnerische Militär auf der Liste der Zielprioritäten ganz nach hinten. Die von Warden gelieferte Begründung folgt eisig kalter Rationalität: »Contrary to Clausewitz, destruction of the enemy military is not the essence of war; the essence of war is convincing the enemy to accept our position, and fighting his military forces is at best a means to an end and at worst a total waste of time and energy.« (»Im Gegensatz zu Clausewitz besteht das Wesen des Krieges nicht in der Vernichtung des feindlichen Militärs; das Wesen des Krieges besteht darin, den Gegner davon zu überzeugen, unsere Position zu akzeptieren, und seine Streitkräfte zu bekämpfen, ist bestenfalls Mittel zum Zweck, schlimmstenfalls aber totale Zeit- und Energieverschwendung.«)

Der springende Punkt dabei besteht allerdings darin, daß eine Kriegführungsstrategie, welche bewußt und vorsätzlich die Zivilbevölkerung ins Visier nimmt, auf eklatante Weise gegen jegliche Normen des humanitären Völkerrechts verstößt. Der Enthemmung bei der Zielauswahl folgt die Enthemmung bei der Zielbekämpfung auf dem Fuße. In der Realität des modernen Luftkrieges scheint nunmehr im Grunde jedes Mittel erlaubt, um zu siegen. Ob lasergesteuerte Präzisionsbomben auf Wohnblocks, Streubomben auf Dörfer, Munition aus abgereichertem Uran, »Fuel-Air-Explosives« (Aerosolbomben, die schlagartig einen gewaltigen Überdruck erzeugen und jegliches Leben in unmittelbarer Nähe der Explosion auslöschen) oder gar weißer Phosphor gegen »weiche Ziele«, wie es zynisch im Jargon der Luftkriegsplaner heißt.


Bevölkerung als Ziel

Nur sind derartige Methoden der Kriegführung gemäß der Genfer Konvention von 1949 inklusive der Zusatzprotokolle von 1974 bis 1977 sowie nach dem »Internationalen Abkommen über ein Verbot für den Einsatz unterschiedslos wirkender konventioneller Waffen vom 10. Oktober 1980« schlicht völkerrechtswidrig. Mittlerweile übersteigt die Zahl der zivilen Todesopfer - üblicherweise mit dem Euphemismus »Kollateralschaden« belegt - des angeblich »chirurgisch« geführten Luftkrieges die militärischen Verluste regelmäßig um ein Vielfaches.

Im übrigen handelt es sich bei der These von der angeblichen Minimierung der sogenannten Kollateralschäden durch den Einsatz von Präzisionswaffen um nichts weiter als einen Mythos, denn entscheidend für das Resultat eines Waffeneinsatzes ist nämlich nicht allein die Treffgenauigkeit, sondern vor allem auch der Wirkradius einer Munition. So läßt sich beispielsweise eine satellitengesteuerte 900-Kilogramm-Bombe zwar mit einer durchschnittlichen Genauigkeit von etwa zehn Metern in ihr Ziel steuern, dabei beträgt allerdings der Durchmesser der durch die Explosion ausgelösten Druck- und Hitzewelle rund 30 Meter und der Durchmesser der tödlichen Splitterwirkung zirka 1.000 Meter, d.h., jede Person, die sich in einem Umkreis von 500 Metern um den Detonationspunkt aufhält, geht ein potentiell tödliches Risiko ein. Im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit von Kollateralschäden spielt demnach die Treffgenauigkeit einer Waffe eine 100mal geringere Rolle als die durch ihren Detonationswert bedingte Explosions- und Splitterwirkung.

Analysiert man die NATO-Luftkriegführung gegen Jugoslawien unter Zugrundelegung der skizzierten Luftkriegsdoktrin der USA, so offenbart sich deren geradezu atemberaubende Kongruenz. Zugleich wird deutlich, daß die Kritik an der angeblich mangelnden Effektivität der NATO-Luftangriffe gegen die militärischen und paramilitärischen Verbände der Serben im Kosovo ins Leere lief. Denn diejenigen, welche die angeblich mangelnde Effektivität der NATO-Luftkriegführung gegen die serbischen Streitkräfte und paramilitärischen Einsatzkommandos monierten, übersahen, daß ihre Kritik eine implizite Prämisse enthielt: daß nämlich der Kampf gegen die gegnerischen Streitkräfte auf dem Gefechtsfeld eine tatsächliche Priorität in der NATO-Zielplanung eingenommen hat. Indes ist unter dem Aspekt der Ökonomie des Krieges der zudem mit erheblichen Verlustrisiken verbundene Einsatz horrend teurer Luftkriegsmittel gegen einzelne, vergleichsweise billige bodengebundene Waffensysteme oder kleine Kampfverbände aufgrund der miserablen »cost exchange ratio« (»Kosten-Nutzen-Verhältnis«) reichlich ineffizient. Zu Recht merkten Experten deshalb im Hinblick auf die NATO-Luftkriegführung an, daß zu hinterfragen wäre, »ob die Luftwaffe zur Zerstörung einzelner Systeme schwerer Waffen 'mißbraucht' wurde«(3). Viel vorteilhafter stellt sich die »cost exchange ratio« indessen im Hinblick auf die Zerstörung von Infrastrukturzielen dar: Hier übersteigt der angerichtete Schaden in aller Regel bei weitem die für die Zerstörung aufzuwendenden Kosten und Risiken. Unter dieser Perspektive vermag daher die Strategie der NATO für die Luftkriegführung gegen Jugoslawien, welche mit Priorität auf die flächendeckende und umfassende Zerstörung von infrastrukturellen »high value targets« (»Hochwert-Zielen«) ausgerichtet war, nicht zu verwundern. Bestätigt wird dieser Befund durch die Tatsache, daß von insgesamt 10.484 Luftangriffseinsätzen, die von den insgesamt etwa 1.200 beteiligten Kampfflugzeugen aus 14 NATO-Nationen während des 78tägigen Luftkrieges geflogen wurden, nur 2.155 gegen gepanzerte und ungepanzerte Fahrzeuge sowie Artilleriestellungen, also militärische Ziele unmittelbar auf dem Gefechtsfeld, erfolgten - dies entspricht gerade einmal 20 Prozent.

Nicht enthalten in dieser Prozentzahl sind die Einsätze, welche die deutsche Luftwaffe mit ihren ECR-Tornados - ECR steht für Electronic Combat and Reconnaissance, Elektronische Kampfführung und Aufklärung - von den in Italien gelegenen Basen Piacenza und Aviano aus gegen die jugoslawischen Streitkräfte geflogen hat. Von jenen auf die Niederhaltung der bodengebundenen gegnerischen Luftverteidigung spezialisierten Kampfflugzeugen wurden im Laufe der sogenannten SEAD-Missionen (Suppression of Enemy Air Defense, Unterdrückung feindlicher Luftabwehr) insgesamt 201 »AGM-88 HARM« Anti-Radar-Lenkflugkörper zum Stückpreis von etwa 200 000 US-Dollar verschossen. Der Erfolg blieb eher zweifelhaft: So konnten beispielsweise lediglich ganze drei von 25 SAM-6-Flugabwehrraketen-Batterien der jugoslawischen Streitkräfte ausgeschaltet werden.


Keine militärische Problemlösung

Der weit überwiegende Anteil der NATO-Luftangriffe galt der zivilen Infrastruktur. NATO-Pressesprecher Jamie Shea erläuterte diesbezüglich am 21. April 1999 vor der Weltöffentlichkeit unverblümt, welche Luftkriegsstrategie der NATO-Bombenkampagne zugrunde lag, als er sagte: »Jeder Aspekt der Machtstruktur wird von der NATO als ein legitimes Ziel angesehen, und natürlich wird es in einer diktatorischen Gesellschaft zunehmend schwieriger, zwischen der Partei und dem Staat zu unterscheiden, wie wir alle wissen, sie verschmelzen miteinander, und dies ist auch die Parteizentrale, welche auch die Propaganda der herrschenden sozialistischen Partei beinhaltet, und das reicht für uns aus, dies als ein vollkommen legitimes Angriffsziel zu betrachten.« Bereits tags zuvor hatte der damalige britische Premier Anthony Blair ausgeführt: »Ich denke, es ist äußerst wichtig, daß alle von uns alles in unserer Macht Stehende tun, um sicherzugehen, daß die wirtschaftlichen Maßnahmen, die wir gegen Serbien ergreifen, wirksam sind, und unsere Angriffe haben natürlich den Verkehrsverbindungen, den Versorgungswegen, den Ölraffinerien und der Ölversorgung des Milosevic-Regimes unermeßlichen Schaden zugefügt.«

Allein in Rest-Jugoslawien umfaßte die Zielliste der NATO-Luftwaffen unter anderem 200 Fabriken, 190 Schulen, 50 Brücken, fünf Zivilflughäfen sowie ungezählte Wohnhäuser und Agrarbetriebe (4). Insbesondere die Petrochemie, Tanklager, Raffinerien sowie die Stromversorgung, aber auch Radio- und Fernsehsender und Regierungsgebäude nahmen die NATO-Kampfflugzeuge ins Visier. So wurde in der Nacht vom 22. zum 23. April 1999 das Gebäude des Rundfunks und Fernsehens Serbien (RTS) in Belgrad angegriffen, wobei 16 Zivilpersonen starben, drei schwer und 16 leicht verletzt wurden. In der Nacht vom 2. zum 3. Mai wurden durch die Bombardierung von Umspannwerken mittels spezieller Graphitbomben die Stromversorgung lahmgelegt und die Wärmekraftwerke in Obrenovac und Kostolac attackiert. NATO-Pressesprecher Jamie Shea kommentierte dies mit den Worten: »Die Tatsache, daß die Lichter in 70 Prozent des Landes ausgingen, zeigt, denke ich, daß die NATO jetzt in Jugoslawien ihre Finger am Lichtschalter hat, und daß wir den Strom abstellen können, wann immer wir müssen, wo immer wir wollen.«

Daß sich mit inadäquaten - nämlich militärischen - Mitteln auch noch so hehre Ziele nicht erreichen lassen, demonstrieren gerade die Folgewirkungen des NATO-Interventionskrieges sehr eindrücklich:

Etwa 900000 Albaner wurden unter den Augen der NATO vertrieben sowie bei mehr als 100 Massakern Tausende Albaner von der serbischen Soldateska - getötet, ohne daß der Luftkrieg daran etwas ändern konnte. Im Gegenteil: Vieles spricht dafür, daß die jugoslawische Führung erst unter dem Eindruck des NATO-Luftkrieges ihre Planungen, die zunächst nur auf die Eliminierung der UÇK (Ushtria Çlirimtare e Kosovës, Befreiungsarmee des Kosovo) gerichtet waren (wobei das Vorgehen der türkischen Armee gegen die kurdische PKK als Muster gedient haben mag), änderte und die totale Vertreibung der albanischen Volksgruppe anordnete.

Durch die Luftangriffe der NATO kamen zwischen 489 und 528 Nichtkombattanten ums Leben, was eindeutig nicht mit den Regeln des Humanitären Völkerrechts übereinstimmt. In ihrem unter dem Titel »Civilian Deaths in the NATO Air Campaign« erschienenen Bericht über die Verletzungen des Humanitären Völkerrechts während des Luftkrieges gegen Jugoslawien wirft die renommierte Menschenrechtsorganisation »Human Rights Watch«(5) der NATO vor, daß sie

»Luftangriffe mit Streubomben in der Nähe von besiedelten Gebieten durchführte,
nicht zweifelsfrei legitime militärische Ziele einschließlich serbischer Rundfunk- und Fernsehsender, Heizwerke und Brücken angriff,
keine angemessenen Vorsichtsmaßnahmen traf, um die Zivilbevölkerungen vor Angriffen zu warnen,
unzureichende Vorsichtsmaßnahmen ergriff, um die Anwesenheit von Zivilisten zu ermitteln, bevor Konvois und bewegliche Ziele angegriffen wurden und
exzessive zivile Opfer verursachte, indem sie keine hinreichenden Maßnahmen ergriff, um zu verifizieren, daß sich in der Nähe militärischer Ziele (wie bei Korisa) keine Konzentrationen von Zivilisten befanden«.


Frieden nicht erreicht

Neben der militärischen Infrastruktur wurde auch die zivile sowohl im Kosovo als auch in Serbien flächendeckend und nachhaltig zerstört. »Unter höchster Geheimhaltung hatten NATO-Generalsekretär Javier Solana und der NATO-Oberbefehlshaber Wesley Clark die Grenze zur Zielkategorie 'drei' überschritten: Bomben auf eindeutig zivile Ziele in Serbien.«(6) Die NATO hat durch diese Art der Kriegführung zweifellos gegen die Regeln des Kriegsvölkerrechts verstoßen.

Auch die Auswahl der eingesetzten Munition, wie Streubomben und DU-Geschosse(7), gibt unter kriegsvölkerrechtlichen Aspekten zu erheblichen Zweifeln Anlaß.

Dem autoritär herrschenden Präsidenten Slobodan Milosevic gelang es, sich noch nahezu zwei Jahre im Sattel zu halten, bevor er schlußendlich abgewählt wurde, da die ohnehin zersplitterte serbische Opposition in ihrer mißlichen Lage durch den Krieg der NATO eher geschwächt denn gestärkt worden war.

Unter den Augen der auf Grundlage der UN-Resolution 1244 unter NATO-Kommando zur Stabilisierung der Lage im Kosovo einmarschierten internationalen »Schutztruppe« KFOR führten die in ihre Heimat zurückgekehrten Albaner eine ethnische Säuberung unter umgekehrten Vorzeichen durch: Vertrieben wurden nun rund 23.5000 Serben (rund 20.4000 nach Serbien, knapp 31.000 nach Montenegro) sowie 120.000 Roma und Ashkali, wobei viele von ihnen ermordet wurden. Ihre Häuser und Kirchen wurden massenweise gebrandschatzt. Im Ergebnis bedeutet dies, daß die nichtalbanischen Minderheiten mit etwa 80 Prozent noch stärker dezimiert worden sind als zuvor die Albaner durch die serbische Vertreibungswut. Der vormalige Chef der UN-Verwaltung UNMIK, Bernard Kouchner, bezeichnete dies als erschütternde Bilanz.

Das entgegen jeglicher empirischen Evidenz immer wieder beschworene Ziel, ein friedliches, multiethnisches Zusammenleben im Kosovo als integralem Bestandteil der Republik Jugoslawien zu gewährleisten, ist mit der im letzten Jahr unter Mißachtung völkerrechtlicher Regularien erklärten »Unabhängigkeit« endgültig gescheitert; ohne die stabilisierende Präsenz der KFOR wäre die Gefahr, daß die Kräfte der Gewalt auf albanischer wie auf serbischer Seite die bewaffnete Konfrontation umgehend wieder aufnähmen, extrem hoch. Schon im Jahr 2000 hatte selbst die UNO in Person von Bernard Kouchner konstatiert: »Es wird keine Rückkehr und Wiedereingliederung (des Kosovo - J. R.) in die Republik Jugoslawien geben« - quod erat demonstrandum.

Ebenfalls ungehindert durch die KFOR breiteten sich Korruption, Schmuggel, Drogen- und Waffenhandel sowie alle Arten organisierter Kriminalität wie eine Seuche im Kosovo aus.

Sowohl führende europäische Politiker als auch militärische Befehlshaber hielten von Anfang an ein dauerhaftes Engagement der Europäischen Union über viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte für erforderlich, um Frieden und Ordnung im Kosovo zu gewährleisten.

Summa summarum manifestiert der von der NATO vor zehn Jahren unter gröblichster Mißachtung des Völkerrechts vom Zaun gebrochene Luftkrieg gegen Jugoslawien im wahrsten Sinne des Wortes »bombensicher«, daß das militärische Instrumentarium zur Lösung politischer Probleme in der Regel das untauglichste Mittel von allen darstellt.


Anmerkungen

(1) Warden, John A.: »Air Theory for the Twenty-first Century«, Maxwell Air University, 1995 (im Internet unter
www.airpower.maxwell.af.mil/airchronicles/battle/chp4.html); ders.: The Enemy as a System, 1998 (im Internet unter
www.airpower.maxwell.af.mil/airchronicles/apj/apj95/spr95_files/warde n.htm)

(2) Im Zuge der Weiterentwicklung seines Ansatzes modifizierte Warden diese ursprünglich mit dem Terminus »key production« bezeichnete Kategorie mittlerweile zu »organic essentials«, um den Unterschied zu »normal production« und »infrastructure« deutlicher herauszuarbeiten. Unter die Kategorie der »organic essentials« fallen primär die Stromerzeugung und die petrochemische Industrie

(3) Gustenau, Gustav E.: »Politisch-strategische Überlegungen zur Operation >Allied Force<«, in: Reiter, Erich (Hrsg.): Der Krieg um das Kosovo 1998/99, Mainz 2000, S. 86

(4) Vgl. Department of Defense (ed.): Kosovo/Operation Allied Force After-Action Report, Report to Congress, Washington, 31 January, 2000, p. 80 - 88 (im Internet unter www.dod.mil/pubs/kaar02072000.pdf)

(5) Human Rights Watch (ed.): Civilian Deaths in the NATO Air Campaign (im Internet unter
www.hrw.org/en/reports/2000/02/01/civilian-deaths-nato-air-campaign-0)

(6) Die Welt vom 22. März 2000

(7) DU-Munition enthält abgereichertes Uran (depleted uranium), um mit Hilfe des Schwermetalls deren panzerbrechende Wirkung zu erhöhen


Diplompädagoge Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.


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Quelle:
junge Welt vom 03.04.2009
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. April 2009