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MILITÄR/825: Asymmetrische Kriege, asymmetrische Rechtsstandards? (Haus Rissen)


HAUS RISSEN
Internationales Institut für Politik und Wirtschaft

Asymmetrische Kriege, asymmetrische Rechtsstandards?
Zum Umgang des Westens mit irregulären Kämpfern

Aktuelle Analyse Nr. 190 vom 24. Juli 2009
Von Tobias Bock und Thomas Rausch


In Afghanistan werden die Kasernen langsam voller. Jeden Monat beenden etwa 3.000 einheimische Rekruten ihre Ausbildung. Auch die Alliierten schicken deutlich mehr Truppen an den Hindukusch. Um Taliban und Al-Qaida in Afghanistan und Pakistan zu bekämpfen, hat Barack Obama bereits 17.000 zusätzliche Soldaten und 4.000 neue Ausbilder bewilligt, so dass die amerikanische Truppenstärke auf fast 60.000 angewachsen ist. Die Bundesregierung verstärkt das Bundeswehr-Kontingent für die Präsidentschaftswahl im August um immerhin 600 Soldaten. Zudem erhielt sie vom Bundestag ein weiteres Mandat für 300 Soldaten, die sich an Einsätzen des Airborne Warning and Control System (AWACS) zur Luftraumüberwachung beteiligen. Wie die jüngsten Offensiven der afghanischen Armee gemeinsam mit den US-Marines in der Taliban-Hochburg Helmand sowie mit der Bundeswehr in Kunduz belegen, geht mit der Truppenaufstockung auch eine Intensivierung der Kämpfe einher. Dies bedeutet neben mehr gefallenen Soldaten auch mehr Gefangene. In Afghanistan handelt es sich hierbei gewöhnlich um Kämpfer, die keiner regulären staatlichen Streitkraft angehören. Aber welchen rechtlichen Status und welche Verfahrensrechte haben diese Kämpfer? Die Bundesregierung hat bisher genau wie ihre Alliierten eine grundsätzliche Antwort auf diese wichtige Frage vermieden und sich mit einer zweifelhaften Praxis begnügt: Bis 2007 wurden Gefangene von deutschen Truppen nur festgehalten und dann von der eintreffenden amerikanischen Verstärkung festgenommen. Seither werden Gefangene direkt an die afghanischen Behörden überstellt. Dieses "Outsourcing" wird von Menschenrechtsorganisationen kritisiert, die die Zustände in afghanischen Gefängnissen als unvertretbar brandmarken.

Von der räumlichen zur rechtlichen Entgrenzung des Kampfgeschehens?

Die Frage nach dem Umgang mit irregulären Kämpfern stellt sich vor allem in asymmetrischen Konflikten, in denen Staaten nicht auf Staaten, sondern auf Terroristen, Aufständische oder Piraten treffen. Solche Konflikte beschäftigen die Bundesrepublik und ihre Verbündeten derzeit im Kampf gegen moderne Seeräuber vor dem Horn von Afrika ebenso wie gegen vormodern anmutende Stammeskrieger am Hindukusch. Die Zahl und der Umfang dieser Einsätze werden langfristig zunehmen, da asymmetrische Kriegsführung auch in Zukunft die Erfolg versprechende Strategie gegen technologische übermächtige Gegner sein wird. Nicht umsonst hat das USVerteidigungsministerium für das Finanzjahr 2010 deutlich höhere Ausgaben für Aufklärungskapazitäten, unbemannte Drohnen und weitere Gegenmaßnahmen beantragt. Im Rahmen des globalen Kriegs gegen den Terror hat die Regierung des ehemaligen amerikanischen Präsidenten George W. Bush den asymmetrischen Kampf gegen Al-Qaida und ihre Unterstützer nicht nur räumlich, sondern auch rechtlich entgrenzt: Anstatt gefangene Kämpfer wie Kriegsgefangene auf völkerrechtlicher Grundlage zu behandeln oder sie wie "gewöhnliche" Verbrecher strafrechtlich abzuurteilen, entschied sich die US-Regierung, eine eigene Rechtskategorie zu schaffen: den feindlichen Kombattanten (enemy combatant). Die Idee, einen solchen Sonderstatus einzuführen, ist auf den ersten Blick nachvollziehbar, da es sich meist um als Zivilisten getarnte Kämpfer handelt, die sich mit traditionellen Rechtsbegriffen nur schwer fassen lassen. Aus rechtsstaatlicher Sicht jedoch höchst fragwürdig ist die fehlende oder bewusst vage Ausgestaltung dieser Kategorie. Sie räumt der Regierung ein maximales Maß an Handlungsspielraum ein, verweigert den Gefangenen aber ein Mindestmaß an Rechtssicherheit. Eine Reihe von Bezirks- und sogar Bundesgerichten erklärte diese Schieflage für unvereinbar mit der amerikanischen Bill of Rights und übte damit Druck auf die Bush-Regierung aus. Schon zu Beginn seiner Zeit im Oval Office verkündete Präsident Obama, das Gefangenenlager Guantanamo Bay zu schließen und die kontroversen Begriffe enemy combatant und war on terror im offiziellen Sprachgebrauch nicht mehr zu verwenden. Dies sorgte weltweit für Erleichterung, ist aber bestenfalls ein symbolischer, kein inhaltlicher Schritt. Das Problem der irregulären Kämpfer geht weit über Guantanamo hinaus und lässt sich nicht wegdefinieren. Allein auf dem amerikanischen Luftwaffenstützpunkt Bagram nördlich von Kabul sollen etwa 600 Gefangene unter zweifelhaften Bedingungen und ohne klar definierten Rechtsanspruch festgehalten werden. Einigen der Häftlinge hat ein US-Bezirksgericht im April nun das Recht auf Haftprüfungsverfahren (habeas corpus) zugestanden. Gegen dieses Urteil legte die Obama-Regierung mit der Begründung, an einem unmittelbaren Kriegsschauplatz nationale Standards nicht aufrechterhalten zu müssen, Berufung ein.

Asymmetrische Kriege dürfen nicht zu asymmetrischen Rechtsstandards führen

Die neue US-Regierung muss ein umfassendes juristisches Gesamtkonzept zum Umgang mit irregulären Kämpfern erarbeiten. Sie muss es aber auch der skeptischen Bevölkerung, dem widerspenstigen Kongress und den Verbündeten, die möglicherweise zur Aufnahme ehemaliger Häftlinge aus Guantanamo bereit sind, vermitteln. An Verfahrensvorschlägen mangelt es nicht: Während die beiden republikanischen US-Senatoren John McCain und Lindsey Graham irreguläre Kämpfer von regulären Kriegsgerichten aburteilen lassen wollen, fordert William J. Haynes II, ehemaliger oberster Rechtsberater im Pentagon, die dauerhafte Einrichtung von Sondertribunalen. Human Rights Watch hingegen befürwortet ein Verfahren vor nationalen Strafgerichten. Diese rechtliche wie politische Debatte darf keinesfalls auf die USA beschränkt bleiben. Sie betrifft alle Staaten, die sich in asymmetrischen Konflikten engagieren. Wie auch immer eine konkrete Antwort im Detail aussehen mag: Der Westen muss bei seinen militärischen Einsätzen transparente, kohärente und am besten auch länderübergreifend einheitliche rechtliche Regeln anwenden. Dies muss auch für Behörden aus Drittstaaten gelten, an die Gefangene überstellt werden. Nur so kann sich der Westen gegenüber der eigenen Bevölkerung und den Menschen in den Einsatzgebieten gegen den Vorwurf der Willkür und der Doppelstandards glaubhaft verteidigen. Nur so können deutschen Soldaten in Afghanistan oder am Horn von Afrika irregulären Kämpfern ohne juristische und moralische Bedenken entgegentreten.


Tobias Bock und Thomas Rausch sind seit Mai 2009 Associates am HAUS RISSEN HAMBURG und dort unter anderem mit verschiedenen Themen der transatlantischen Beziehungen und der amerikanischen Innen- und Außenpolitik befasst.

HAUS RISSEN HAMBURG vereint seit seiner Gründung 1954 die Arbeit eines Bildungsinstituts mit der einer überparteilichen Denkfabrik. Es widmet sich sicherheits- und geopolitischen Themen und war unter anderem Gründungssitz des deutschen Club of Rome. Heute bietet HAUS RISSEN HAMBURG maßgeschneiderte Fortbildungen für Militär, Unternehmen, Verwaltung und Schulen - in über 100 Seminaren, Briefings, Vorträgen und Veranstaltungen jährlich.


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Quelle:
Aktuelle Analyse Nr. 190 vom 24.07.2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2009