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PARTEIEN/084: Koalitionsoptionen und -aussagen vor der Bundestagswahl (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 7-8/2009

Wer mit wem?
Koalitionsoptionen und -aussagen vor der Bundestagswahl

Von Frank Decker


Die Spekulationen über die künftige Regierungskoalition schießen ins Kraut. Schwarz-Gelb, Jamaika, Linksbündnis, Ampel und Fortsetzung der Großen Koalition lauten die Optionen. Nimmt man die bisher von den Parteien ausgesandten Signale unter die Lupe, kann der Kreis zu erwartender Bündnisse eingegrenzt werden.


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Die Bundesrepublik steht vor einer der spannendsten Wahlauseinandersetzungen ihrer 60-jährigen Geschichte. Noch nie war die Ungewissheit so groß, welche politische Formation das Land nach der Wahl regieren wird. Die Gründe dafür liegen zum einen in abnehmenden Parteibindungen und der gestiegenen Sprunghaftigkeit des Wählerverhaltens, zum anderen - damit verbunden - in der Pluralisierung der Parteienlandschaft. Im Zweieinhalb-Parteien-System der 60er und 70er und im bipolaren Vier-Parteien-System der 80er Jahre sorgte die Verbindung von klaren Koalitionsaussagen mit der Arithmetik der Wahlergebnisse für einen Automatismus der Mehrheitsbildung. Zum Standardmodell der Regierung avancierte dabei die kleine Zweier-Koalition. Die Erweiterung des Systems zu einer Viereinhalb-Parteienstruktur, die durch das Überleben der PDS als ostdeutsche Regionalpartei im Zuge der deutschen Einheit herbeigeführt wurde, konnte die Regierungsbildung nach diesem Muster zunächst noch nicht gefährden. Durchbrochen wurde es erst, nachdem die Postkommunisten mit der westdeutschen SPD-Abspaltung WASG zu einer neuen gesamtdeutschen Linkspartei fusioniert waren. Weil diese mit einem etwa doppelt so hohen Stimmenanteil rechnen kann wie die alte PDS, sind Mehrheiten für eine kleine Zweier-Koalition seither sehr viel unwahrscheinlicher geworden.

Obwohl am Wahlabend des 18. September 2005 auch über andere Farbenkonstellationen munter spekuliert wurde, gab es in der damaligen Situation zur Bildung der Großen Koalition keine Alternative. Allerdings war von Beginn an klar, dass Union und SPD nun verstärkt nach Wegen suchen würden, um durch eine Entkrampfung ihres Verhältnisses zu den Grünen bzw. zur FDP den Weg für eine andere, lagerübergreifende Dreier-Koalition zu ebnen. Trotz der erstmaligen Bildung einer schwarz-grünen Koalition auf Länderebene (in Hamburg) wird man nicht behaupten können, dass sie dabei sonderlich weit vorangekommen wären. Das hängt einerseits mit der Befürchtung zusammen, dass eine zu starke Annäherung an den prospektiven Partner zur Abwendung der eigenen Klientel führen könnte. Zum anderen sind die Parteiensystemstrukturen in den westdeutschen und ostdeutschen Bundesländern so beschaffen, dass in beiden Fällen Dreier-Koalitionen im Zweifel gar nicht notwendig sind. Wenn solche Bündnisse eine Alternative zur jetzigen Großen Koalition bereithalten sollen, müssten sie von den Parteien also ohne vorherigen Probelauf in den Ländern in Angriff genommen werden.


Signaldeutung

Legt man die von den Parteien bisher ausgesendeten - positiven wie negativen - Koalitionssignale zugrunde (zu denen auch nicht ausdrücklich ausgeschlossene Koalitionen zählen), dann lässt sich der Kreis der nach der Bundestagswahl zu erwartenden Bündnisse verlässlich eingrenzen. Für die Koalitionsbildung sind dabei folgende Faktoren maßgebend, die in den entsprechenden Signalen zum Ausdruck kommen: Das Streben nach Ämtern und Regierungsmacht, die inhaltlich-programmatische Nähe, die historische und personelle Verträglichkeit und die interne Geschlossenheit. Keine Rolle dürfte dagegen im Kalkül der Akteure die Regierungstauglichkeit spielen, also die Frage, ob die anzubahnende Koalition eine Mehrheit im Bundesrat hat.

Aus der Betrachtung ausgeschlossen werden künnen diejenigen Zweier-Koalitionen, deren Zustandekommen schon aus arithmetischen Gründen (der zu erwartenden Stimmanteile) äußerst unwahrscheinlich scheint: Rot-Grün, aber auch Rot-Gelb und Schwarz-Grün. Darüber hinaus erübrigt sich die Überprüfung für ein Zusammengehen der bürgerlichen Parteien mit der Linken. Als denkbare Konstellationen verbleiben mithin: Schwarz-Gelb, Jamaika, Linksbündnis, Ampel oder die Fortsetzung der bestehenden Großen Koalition.

Schwarz-Gelb: Am eindeutigsten erfüllt werden die Kriterien von der bürgerlichen Zweier-Koalition aus Union und FDP. Erreichen beide Parteien zusammen die Mehrheit, künnen wir ziemlich sicher davon ausgehen, dass sie auch die Regierung bilden werden. Zur Zeit verfügen Union und FDP noch über eine knappe Mehrheit im Bundesrat, die aber schon vor der Bundestagswahl verloren gehen könnte, wenn es in Thüringen und im Saarland zu Regierungswechseln kommt. Selbst dann wäre ihre Position in der Länderkammer aber immer noch komfortabler als die einer SPD-geführten Bundesregierung oder einer Großen Koalition.

Jamaika: So sicher die bürgerliche Koalition zustande kommt, wenn es das Wahlergebnis erlaubt, so verlässlich kann man ein Jamaika-Bündnis ausschließen. Die Grünen haben einer solchen Formation, die sie selbst in die Funktion eines "Mehrheitsbeschaffers" für Union und FDP hineinbringen würde, auf ihrem Wahlparteitag definitiv eine Absage erteilt. Damit tragen sie nicht nur den - immer noch geringen - politikinhaltlichen Schnittmengen mit den bürgerlichen Parteien Rechnung, sondern auch den massiven Vorbehalten, die bei einem Großteil ihrer Funktionäre gegen eine Zusammenarbeit mit Union und FDP bestehen. Diese werden von den Wählern der Partei wie auch von ihrer Führung nicht im selben Maße geteilt. Die Absage an Jamaika macht zugleich deutlich, dass ein Dreierbündnis koalitionspolitisch anders betrachtet werden muss als das Zusammengehen mit nur einer der beiden bürgerlichen Parteien in einer schwarz-grünen oder Ampelkoalition: Letztere würden den Grünen einen größeren Spielraum geben, ihre eigenen politikinhaltlichen Positionen im Regierungsprozess zu behaupten. Deshalb werden sie von der Parteiführung nicht so kategorisch abgelehnt wie Jamaika. Auf der anderen Seite hätte ein Jamaika-Bündnis den Vorteil, dass es unter allen hier diskutierten Formationen über die beste Position im Bundesrat verfügen würde.

Linksbündnis: Genauso sicher wie die Jamaika-Koalition lässt sich ein rot-rot-grünes Linksbündnis ausschließen. Mag ein solches Bündnis für die Linke selbst und für Teile der Grünen eine durchaus gangbare Möglichkeit darstellen, würde es die SPD zum jetzigen Zeitpunkt schier zerreißen. Ursächlich dafür sind zum einen die historischen und personellen Unverträglichkeiten mit der Linken, für die symbolhaft der Name Oskar Lafontaines steht, zum anderen die programmatischen Differenzen. Mit Blick auf den Mindestlohn und andere Themen der Sozial- und Wirtschaftspolitik findet man gelegentlich die Behauptung, letztere seien gar nicht so groß oder jedenfalls kleiner als die Differenzen der SPD mit Union oder FDP. Dabei wird jedoch übersehen, dass die Themen nicht alle über einen Kamm geschoren oder nur an ihrer elektoralen Bedeutung gemessen werden dürfen. Diese mag z.B. für die Außenpolitik eher gering zu veranschlagen sein, die sich jedoch koalitionspolitisch als unüberwindbarer Stolperstein entpuppen kann (und mit Blick auf die Positionen der Linken in diesem Feld heute tatsächlich entpuppt). Aus Sicht der SPD ist es daher folgerichtig, wenn sie eine Zusammenarbeit mit der Linken auf Bundesebene anders betrachtet als in den Ländern. Allerdings dürfte dieser Unterschied den Wählern nur schwer zu vermitteln sein, weshalb die Partei mit einer gewaltigen Gegenmobilisierung in der Koalitionsfrage rechnen muss. Dies gilt umso mehr, als die Landtagswahlen im Saarland und in Thüringen, wo es zu rot-roten oder rot-rot-grünen Koalitionen kommen könnte, mitten in den Bundestagswahlkampf hineinplatzen.

Ampel: Das Koalitionsmodell, das die Fantasie zur Zeit am meisten beflügelt, ist die Ampel. Wenn Schwarz-Gelb die angestrebte Mehrheit erneut verfehlt und Jamaika aus den oben dargelegten Gründen ausscheidet, wäre ein Bündnis mit Rot-Grün für die FDP die einzige Chance, nach elf Jahren Abstinenz wieder an die Regierung zurückzukehren. Aus Sicht der Sozialdemokratie versteht sich die Präferenz für ein solches Bündnis fast von selbst. Da sie davon ausgehen muss, bei der Wahl hinter der Union zu liegen, könnte die SPD nur so die Führung der Regierung übernehmen und ihren Anspruch auf das Kanzleramt durchsetzen. Aus demselben Grund halten sich auch die Grünen den Weg in eine Ampelkoalition offen, selbst wenn sie dies weniger offensiv erklären als die SPD. Der Schlüssel für das Zustandekommen der Ampel liegt von daher bei den Freidemokraten oder genauer: bei deren Vorsitzendem Guido Westerwelle. Nimmt dieser die hohen Risiken, die sich für die FDP aus einer solchen Konstellation ergäben, in Kauf, um sein politisches Lebensziel zu erreichen, Außenminister zu werden? Oder entscheidet er sich für die aus elektoraler Sicht bequemere Option, die Partei in der Opposition zu halten? Westerwelles Position in der FDP ist inzwischen so unangefochten, dass er beides durchsetzen könnte. Wohin die Reise am Ende geht, weiß er vielleicht im Moment noch nicht einmal selbst.

Große Koalition: Gegen die Ampel als Regierungsmodell sprechen übergeordnete Gründe. SPD, FDP und Grüne wären in allen wichtigen Fragen auf die Unterstützung der Opposition angewiesen, denn nach jetzigem Stand hätte ein solches Dreierbündnis im Bundesrat gerade mal sieben (!) Stimmen. Ob eine aus der Regierung hinauskatapultierte Union diese Unterstützung leisten würde, darf bezweifelt werden. Unter Regierungsgesichtspunkten (nicht unbedingt unter Demokratiegesichtspunkten) wäre es deshalb vermutlich besser, die SPD würde als Juniorpartner in der Großen Koalition verbleiben (obwohl selbst diese in der Länderkammer mittlerweile über keine Mehrheit mehr verfügt). Die Union dürfte ohnehin kein großes Interesse verspüren, die Unwägbarkeiten einer anderen (Jamaika-)Koalition gegen die relative Verlässlichkeit der bestehenden Regierung einzutauschen, in der sie ja als wahrscheinlich stärkerer Partner auch fortan die Kanzlerin stellen könnte. Insofern gibt es mit Blick auf die Koalitionsbildung im September eigentlich nur zwei offene Fragen: Erreichen Union und FDP eine gemeinsame Mehrheit? Und: Würde Westerwelles FDP das Wagnis einer Ampelkoalition eingehen? Tritt beides nicht ein, können Union und SPD sich auf eine weitere Amtszeit der Großen Koalition einrichten.


Frank Decker (* 1964) ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bonn. 2007 erschien im VS Verlag das Handbuch der deutschen Parteien (Hg. zus. mit Viola Neu).
frank.decker@uni-bonn.de


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 7-8/2009, S. 52-55
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Anke Fuchs,
Siegmar Gabriel, Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka und Thomas Meyer
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. August 2009