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PARTEIEN/163: Wie Koalitionssignale die Wahl beeinflussen (idw)


Universität Mannheim - 14.06.2017

Wie Koalitionssignale die Wahl beeinflussen


Mannheimer Politikwissenschaftler: Wer vor der Stimmabgabe an mögliche Koalitionen erinnert wird, entscheidet sich unter Umständen für eine andere Partei.

Bei ihrer Entscheidung für eine Partei haben Wählerinnen und Wähler mögliche Koalitionen meist im Hinterkopf - das scheint naheliegend und gilt in der Politikwissenschaft als unstrittig. Wie sich aber Koalitionssignale auf das Wahlverhalten auswirken wurde bislang eher spekuliert als erforscht. Ein Projekt des Mannheimer Zentrums für Europäische Sozialforschung (MZES) der Universität Mannheim befasst sich daher mit "Koalitionspolitik vor der Wahl", also wie sich Parteien vor Wahlen zu möglichen Regierungsbündnissen positionieren und welche Auswirkungen dies haben kann.

Der Mannheimer Politikwissenschaftler Professor Thomas Gschwend führt das Projekt zusammen mit seinem Kollegen Dr. Lukas Stoetzer von der Universität Zürich durch. Gemeinsam haben sie ein mathematisches Modell entwickelt, um den Effekt von Koalitionsaussagen messbar zu machen. Das Ergebnis: Ruft man Wählern kurz vor der Stimmabgabe mögliche Koalitionen ins Bewusstsein, so entscheidet sich so mancher Wähler um.

Koalitionsaussagen helfen dem Wähler, die für ihn beste Wahl zu treffen

"Wir erbringen mit unserem Modell den Nachweis, dass Koalitionssaussagen, die beim Wähler präsent sind, die Bedeutung von Koalitionen für die Wahlentscheidung erhöhen und die Bedeutung der Parteipräferenz abschwächen. Das kann dazu führen, dass sich Wähler für eine andere Partei entscheiden", erklärt Thomas Gschwend. Insbesondere die Anhänger kleinerer Parteien seien sich der Notwendigkeit von Koalitionen bewusst und unter Umständen bereit, ihr Kreuz an anderer Stelle zu machen, um eine Regierungskonstellation zu ermöglichen oder zu verhindern. Aber auch Anhänger größerer Parteien schwenkten manchmal um, wenn eine Koalition verlockend oder abschreckend erscheine, betont Gschwend. Voraussetzung sei, dass dem Wähler bei der Stimmabgabe die wahrscheinlichen Regierungskonstellationen präsent sind. Mit klaren Koalitionsaussagen können Parteien also dazu beitragen, dass Wähler die aus ihrer Sicht besten Entscheidungen treffen: "Wer beispielsweise gegen Bundeskanzlerin Merkel ist und mit den Grünen sympathisiert wüsste natürlich gerne, ob beide Seiten nach der Wahl nicht eventuell zusammenarbeiten. Dass Parteien oftmals ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf ziehen, kann man daher durchaus kritisch sehen", gibt Gschwend zu bedenken.

Experimente in Deutschland und Österreich

Doch wie gelangen Gschwend und Stoetzer zu ihren Erkenntnissen? Um die Auswirkungen von Koalitionsaussagen zu messen, haben die Forscher das Verhalten von Wählern in Situationen mit und ohne Koalitionssignal verglichen. Dazu bedienten sie sich zweier Experimente, von denen eines in Österreich und eines in Deutschland durchgeführt wurde. Dies dient der Überprüfung der Ergebnisse in unterschiedlichen Kontexten.

Das deutsche Experiment fand im Rahmen der größten deutschen Wahlstudie, der German Longitudinal Election Study (GLES) statt, das andere im Rahmen einer österreichischen Vorwahlstudie. Zuerst wurden die Teilnehmenden jeweils nach ihrer Wahlabsicht befragt. Anschließend wurden die selben Personen mit verschiedenen hypothetischen Informationen zu den Koalitionsplänen der Parteien konfrontiert - und daraufhin erneut nach ihrer Wahlabsicht gefragt. Die Frage lautete dann beispielsweise im deutschen Experiment: "Für welche Partei würden Sie stimmen, wenn die Grünen ausdrücklich eine Koalition mit CDU und CSU anstrebten?" Bei den Befragungen mit Koalitionssignal ergaben sich deutliche Abweichungen von den ursprünglich angegebenen Wahlabsichten.

Mit Hilfe ihres mathematischen Modells konnten Gschwend und Stoetzer die Entscheidungsprozesse der Wählerinnen und Wähler nachvollziehen und die unterschiedlichen Wahlabsichten mit und ohne Koalitionssignal abbilden. Ihre wichtigste Erkenntnis: Jede einzelne angenommene Koalitionsabsicht führte zu messbaren Veränderungen im Wahlverhalten der Teilnehmer. Wähler neigen also offenbar dazu, ihr Wahlverhalten zu überdenken, wenn ihnen unmittelbar vor der Befragung die möglichen Folgen ihrer Wahl für eine Regierungsbildung vor Augen geführt werden. "Und da beide Experimente im Wesentlichen zu den gleichen Ergebnissen kommen, können wir davon ausgehen, dass die Ergebnisse unabhängig vom jeweiligen Parteiensystem oder vom Umfeld der Wahlentscheidung gültig sind", fasst Lukas Stoetzer zusammen.

Auch Parteien können von Koalitionsaussagen profitieren

Den Wählerinnen und Wählern rät er daher stets zu beobachten, welche Koalitionen ihre Lieblingspartei eventuell eingehen wird. Und auch für die Parteien haben die Wissenschaftler einen Rat: "Wenn eine bestimmte Koalition in Umfragen mehr Zustimmung erfährt als eine Partei für sich oder wenn die Koalition für Positionen steht, die vielen Menschen wichtig sind, so scheint es ratsam, eine entsprechende Koalitionsaussage zu treffen", so Stoetzer.

Unter welchen Bedingungen Parteien zu Koalitionsaussagen bereit sind wollen die Politikwissenschaftler in ihrem Projekt weiter untersuchen. Dazu werden sie weitere experimentelle Studien durchführen und Daten aus zwanzig Ländern mit Mehrparteiensystem analysieren. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt das MZES-Forschungsprojekt "Koalitionspolitik vor der Wahl" mit insgesamt rund 400.000 Euro.


Literatur:
Gschwend, Thomas, Michael F. Meffert und Lukas Stötzer (2017): Weighting Parties and Coalitions: How Coalition Signals Influence Voting Behavior. Journal of Politics, 79, Heft 2, S. 642-655.

Website des Projekts "Koalitionspolitik vor der Wahl":
http://www.mzes.uni-mannheim.de/d7/de/projects/koalitionspolitik-vor-der-wahl

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution61

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Mannheim, Katja Bär, 14.06.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juni 2017

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