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REDE/782: Zu Guttenberg - Aussprache zur Regierungserklärung der der Kanzlerin, 10.11.09 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, im Rahmen der Aussprache zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin vor dem Deutschen Bundestag am 10. November 2009 in Berlin:


Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Es ist erfreulich und gut, dass der 20. Jahrestag des Mauerfalls Gelegenheit gibt, den Blick auch auf die außen- und sicherheitspolitische Dimension dieses großen Ereignisses zu richten. Herr Kollege Westerwelle, Sie haben den Bezug bereits hergestellt, der gestern Anlass gegeben hat, vielen zu Recht zu danken: vielen Partnern und jenen unserer Landsleute, die größten Mut und Zivilcourage an den Tag gelegt haben, jenen, die damals im unfreien Teil Deutschlands die Ketten der Diktatur gesprengt haben. Herr Vaatz, ich darf auch von meiner Seite in diesem Zusammenhang noch einmal sagen: Das war heute eine bemerkenswerte Rede von Ihnen.

Es ist aber auch ein Grund, noch einmal an dieser Stelle Dank zu sagen an die Partner und Freunde der atlantischen Allianz, und zwar nicht nur für deren diplomatische Klugheit. Die Partner haben durch ihr Vertrauen - ich unterstreiche das Wort Vertrauen zweimal - das Geschenk der Einheit in Freiheit erst möglich gemacht.

Gerade das gemahnt uns an einen Grundpfeiler, an ein Grundverständnis des Bündnisses als solches, nämlich dass Solidarität und Vertrauen niemals nur in eine Richtung weisen dürfen. Manche, die heute die NATO bereits in ihrer Begründung lautstark infrage stellen - die soll es ja geben -, und auch manche, die sie beerdigen wollen, können sich in diesem Zusammenhang bestenfalls auf Vergessen berufen. Allzu oft sind es genügsam zelebrierte Undankbarkeit und Ignoranz gegenüber erfahrenem Vertrauen. In dieser Hinsicht ist Vertrauen niemals Nostalgie, sondern weiterhin das Fundament jeder Bündnisstruktur, jeder erneuerten Bündnisstruktur, aber auch jeder zu erneuernden Bündnisstruktur.

Die Bundeswehr hat vor 1989 im Kalten Krieg den Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik Deutschland möglich gemacht. Sie hat unsere Bereitschaft dokumentiert, die Freiheit, wenn es darauf ankommt, zu verteidigen, wobei Freiheit nicht alleine an nationalen Grenzen zu bemessen ist und weiterhin auch nicht allein daran bemessen werden kann.

Die Bundeswehr hat ihren Anteil am Gelingen der Wiedervereinigung. Schon bald nach dem 3. Oktober 1990 hat sie bewiesen, dass auch sie ihren Teil zur inneren Einheit unseres Vaterlandes beitragen konnte. Die Bundeswehr hat seitdem in vielen internationalen Einsätzen gezeigt, dass sie bereit ist, sich der durch die Wiedervereinigung gewachsenen internationalen Verantwortung unseres Landes zu stellen; das ist kein Widerspruch, sondern durchaus eine innere Bedingung. Die Bundeswehr leistet den Beitrag, den unsere Verbündeten und Partner zu Recht von uns erwarten. Manche, die ihr dies heute absprechen, haben offenbar vergessen, welchen auch militärischen Beitrag wir von unseren Partnern genau zu dem Zeitpunkt, als es darauf ankam, erwarten konnten.

Dieses Grundverständnis ist eine wesentliche Voraussetzung, um unserem eigenen Anspruch gerecht zu werden, ein gestaltendes und solidarisches Mitglied in der internationalen Staatengemeinschaft zu sein und damit dem Frieden in der Welt zu dienen; ja, dem Frieden, nicht dem Schüren und der Aufrechterhaltung von Konflikten und auch nicht der Billigung solcher Konflikte dadurch, dass man sich genügsam zurücklehnt, in ferne Regionen dieser Welt blickt und einfach sagt: Was geht uns all das dort eigentlich an? - In der Regel geht es uns mittlerweile viel an.

Nur ein Staat, der über die Fähigkeit verfügt, sich zu wehren, ist in der Lage, seine Bürger zu schützen und seinen Bündnisverpflichtungen nachzukommen. In diesem Zusammenhang sage ich aber auch: Ein Schutzverständnis, das nur die eigenen Landesgrenzen kennt, würde jene verhöhnen, auf deren Schutz wir in Zeiten, als es nicht leicht war, bauen durften.

Unsere Partner wissen - das dürfen sie auch weiterhin wissen -: Wir stehen zu unseren Verpflichtungen. Diese Verpflichtungen - auch die Basis des Grundgesetzes, die ihnen zugrunde liegt - haben Ergebnisse gezeitigt, über die man nicht schweigen muss. Auf dem Balkan haben auch wir unseren Beitrag dazu geleistet, dass der grauenvolle und blutige Bürgerkrieg der 90er-Jahre beendet werden konnte. In Bosnien-Herzegowina herrschen zumindest Frieden und eine gewisse Stabilität, auch wenn wir mit dem Erreichten noch nicht in jeder Hinsicht zufrieden sein können. Einige nicht erfolgte Entwicklungen geben gelegentlich auch Anlass zu Sorgenfalten, gerade wenn man in diese Region blickt.

Im Kosovo haben wir es gemeinsam mit unseren Verbündeten geschafft, dass letztendlich auf friedlichem Wege ein unabhängiger Staat geschaffen werden konnte. Er bleibt noch auf Hilfe angewiesen - das ist richtig - und hat noch einen harten Weg vor sich. Aber aufgrund unserer Erfolge im Rahmen der NATO haben wir unsere militärische Präsenz dort deutlich verringern können. Auch die Verringerung militärischer Präsenz ist letztendlich eine Zielsetzung, wenn man sie an solche Erfolge knüpfen kann.

Auch UNIFIL ist eine Erfolgsgeschichte.

Es schadet nicht, am Tag nach dem anderen 9. November daran zu erinnern, dass wir im Hinblick auf den Schutz und die Sicherheit Israels auf ganz besondere Weise in der Pflicht stehen.

In Afghanistan sind wir noch nicht am Ziel. Eigentlich wäre und ist dieses Ziel klar formuliert: Wir wollen, dass die Afghanen eines nicht allzu fernen Tages - ja, eines nicht allzu fernen Tages - in der Lage sind, selbst für ihre Sicherheit zu sorgen.

Auf diesem Wege - das ist unbestreitbar - gab und gibt es Enttäuschungen. Gemeinsam mit unseren Verbündeten wollen wir - die Frau Bundeskanzlerin hat darauf hingewiesen - auf einer baldmöglichst stattfindenden Konferenz unsere Strategie zusammen mit den Vertretern Afghanistans, aber auch - das ist zwingend - in Abstimmung mit Vertretern der Nachbarstaaten auf eine neue Grundlage stellen. Es geht darum, die Zuständigkeiten schrittweise von der internationalen Gemeinschaft auf die afghanische Regierung zu übertragen, sobald diese dazu in der Lage ist. Gerade deshalb drängen wir darauf, dass die Regierung von Präsident Karzai schon bald und mit mehr Nachdruck die Voraussetzungen dafür schafft, dass dies erfolgen kann. In diesem Gesamtkontext wollen wir in ausgewählten Distrikten im Norden des Landes die Verantwortung für die Sicherheit baldmöglichst der afghanischen Regierung übergeben.

Die Frage der Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte - ich denke dabei an die Ausbildung der Polizei wie der Armee - bleibt eine Schlüsselfrage. Deshalb dürfen wir jetzt bei der Ausbildung nicht nachlassen. Wir befinden uns bereits in einem Übergabeprozess. Mit unserer Strategie der Übergabe in Verantwortung nehmen wir die afghanische Regierung in die Pflicht, und wir werden nicht aufhören, die afghanische Regierung an diese ihre Pflicht zu erinnern.

Am 19. November 2009 wird Präsident Karzai erneut in sein Amt eingeführt werden. Das ist eine gute Gelegenheit für ihn, zu verdeutlichen, wie er seiner Verpflichtung zu guter Regierungsführung und zum Schutz der Menschenrechte nachkommen sowie wie er Drogenkriminalität und Korruption erfolgreich bekämpfen will.

Man muss nicht alles auf die internationale Gemeinschaft übertragen. Wir rufen den afghanischen Partnern freundschaftlich, aber mit aller Klarheit zu: Worte genügen nicht zur Verdeutlichung; den Worten müssen Taten folgen. Wir können unser Ziel in Afghanistan gerade mit Blick auf Übergabe in Verantwortung, so glaube ich, durchaus erreichen. Dies erfordert jedoch, dass wir alle Instrumente, die uns zur Verfügung stehen, auf dieses Ziel ausrichten und sie erfolgreich zum Einsatz bringen. Auch hier haben wir noch Nachbesserungsbedarf. Dabei denke ich nicht nur an den Einsatz der Streitkräfte.

Es bleibt richtig, die ressortübergreifenden Anstrengungen zu bündeln, und es ist nach meiner Überzeugung richtig, ein internationales Afghanistankonzept mit konkreten Zeit- und Zielvorgaben umzusetzen. Der im Koalitionsvertrag vereinbarte Kabinettsausschuss der für Afghanistan verantwortlichen Bundesminister und die entsprechend ausgestaltete Position des Sonderbotschafters für Afghanistan sind wichtige Schritte.

Unsere Soldaten und die Soldaten unserer Partner - vergessen wir nicht: 43 Nationen stellen Truppen für die ISAF -, genauso aber die afghanischen Sicherheitskräfte nehmen ein hohes Risiko auf sich, und sie zahlen einen hohen Preis. Sie stehen häufig in zum Teil intensiven Gefechten. Gefahr, Verwundung und auch Tod sind allgegenwärtig. Das dürfen wir nicht mit bürokratischen Formeln weichzeichnen. Ich plädiere dafür, zu sagen, was ist, schlicht und einfach. Die Menschen in unserem Lande können mehr Wahrheit vertragen, als wir uns bisweilen trauen, ihnen zuzutrauen. Mehr noch sind es unsere Soldatinnen und Soldaten, die zu Recht verlangen, dass ihr Einsatz realistisch beschrieben wird, ohne jede Beschönigung, aber auch ohne jede Übertreibung. Ich kann gut verstehen, dass unsere Soldaten - aber es sind ja nicht nur unsere Soldaten - angesichts der kriegsähnlichen Situation etwa in Kunduz von Krieg sprechen. Ein klassischer Krieg ist es nicht. Das Völkerrecht ist hier glasklar: Kriege können nur zwischen Staaten geführt werden. In Teilen von Afghanistan herrscht für mich aber ohne Zweifel ein Zustand, um vielleicht auch einmal diesen Zwischenruf aufzugreifen, der in der Sprache des Völkerrechts durchaus als ein nicht internationaler bewaffneter Konflikt beschrieben werden könnte.

Im Einsatz werden unsere Soldaten immer wieder unter extremem Zeitdruck und enorm belastenden Umständen vor schwierigste Entscheidungen gestellt. Das war auch am 4. September dieses Jahres in Kunduz der Fall, als in kurzer Zeit eine Entscheidung von enormer Tragweite getroffen werden musste. Wie leicht doch heute manches Urteil von den Lippen geht, das ohne jeglichen Zeitdruck bequem aus der wohligen Entfernung gebildet werden kann. Ich habe vor Kurzem eine Einschätzung dieses Vorfalls abgegeben, und ich bleibe bei dieser Einschätzung.

Die Koalitionspartner haben sich für die nächsten Jahre viel vorgenommen, gerade auch hinsichtlich der Strukturen der Bundeswehr. Wir haben uns ein ehrgeiziges, ja, ein ambitioniertes Programm gegeben, damit die Bundeswehr die herausfordernden Aufgaben annehmen und ihnen gerecht werden kann.

Wir wollen, dass das Denken vom Einsatz her die Organisations- und auch die Führungsstrukturen der Bundeswehr künftig noch stärker durchdringt, ein Denken, das dann realitätsgebunden ist. Die Bundeswehr befindet sich in Einsätzen, und es werden nicht ihre letzten sein. Ob sie nun gewünscht oder gelegentlich zu Recht auch unerwünscht sind: Auch das gilt es offen anzusprechen.

Auch deshalb und gerade, weil dieses Denken vom Einsatz her sich in den Organisationsstrukturen widerzuspiegeln hat, werde ich eine Kommission einsetzen, die bis Ende 2010 Vorschläge zu Eckpunkten einer neuen Organisationsstruktur der Bundeswehr inklusive der Straffung der Führungs- und Verwaltungsstrukturen zu erarbeiten hat. Es geht dabei nicht um eine Neuauflage der Kommission "Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr" aus dem Jahre 2000.

Wir wollen dort Anpassungen vornehmen, wo die Bundeswehr noch schlanker, noch effizienter, noch einsatzorientierter werden kann, und wir wollen - auch das ist ehrgeizig; ich weiß das - auch Abläufe von bürokratischen Fesseln befreien. Dazu wird die dann sicherlich geplagte Kommission Vorschläge ausarbeiten, und auf dieser Grundlage werde ich entscheiden.

Die Stärke der Bundeswehr bemisst sich nicht lediglich an der Zahl der Schiffe, der Panzer oder der Flugzeuge. Es sind die Soldatinnen und Soldaten und die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die Bundeswehr so leistungsfähig machen und die, ebenso ihre Familien, unseren Dank verdient haben.

Nicht zuletzt wollen wir, dass der Dienst in der Bundeswehr im Wettbewerb um die besten Köpfe - auch hier findet er ja statt - noch attraktiver wird. Es ist mein Ziel, dass die Gesellschaft diesen Dienst auf angemessene Weise würdigt. Das Verhältnis zwischen Bundeswehr und Gesellschaft ist und kann keines der Ausgrenzung sein, es muss eines des Miteinanders sein. In diesem Zusammenhang will ich meinem Vorgänger Franz Josef Jung gerade für seine großen Leistungen in diesem Bereich auch einmal an dieser Stelle herzlich danken.

In diesem Sinne verstehe ich die mittlerweile doch intensiv debattierte Kürzung des Wehrdienstes auf sechs Monate, die in dem auch in diesem Sinne ehrgeizigen Koalitionsvertrag vorgesehen ist, trotzdem auch als Chance. Wir werden den Grundwehrdienst so zu gestalten haben, dass die Soldaten spüren, dass sie gebraucht werden und nicht im Praktikum stehen und noch dazu einen attraktiven und sinnvollen Dienst für sich und ihre Mitbürger leisten. Das ist eine enorme Aufgabe, die wir in einem entsprechenden Zeitrahmen in Angriff nehmen müssen. Ich glaube aber, dass sie darstellbar ist.

Es gehört zu unserer gemeinsamen Verantwortung für die Bundeswehr, ihren Angehörigen einen attraktiven Arbeitsplatz zu bieten. So sichern wir nachhaltig die personelle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. Dabei spielt die Frage der Versetzungshäufigkeit ebenso wie ein neues Laufbahnrecht eine wesentliche Rolle. Darüber hinaus sollen die Angehörigen der Angehörigen der Bundeswehr, die Familien, davon profitieren, dass wir die Vereinbarkeit von Familie und Dienst noch stärker in den Blick nehmen und zeitgemäße Kinderbetreuungsmöglichkeiten schaffen.

Die Soldaten der Bundeswehr haben geschworen, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Mit diesem Eid muten wir ihnen viel, sehr viel zu. Wir muten ihnen zu, sich der Gefahr zu stellen. Wir muten ihnen im äußersten Fall sogar zu, ihr Leben für uns zu opfern. Dieser Eid verpflichtet aber auch uns, die Bundesregierung und den Bundestag. Er verpflichtet uns, das zu tun, was in unserer Macht steht, um das Risiko, das unsere Soldaten tragen, so gering wie nur irgend möglich zu halten. Auch in Zeiten knapper Kassen übernehmen wir, wenn wir die Bundeswehr in ihre bisweilen gefährlichen Einsätze entsenden, die Verpflichtung, ihr das zur Verfügung zu stellen, was sie für die Ausfüllung ihres Auftrages und für einen größtmöglichen Schutz der Soldaten benötigt. Das ist unsere Pflicht und unsere Schuldigkeit.

Für ein Bekenntnis zu unserer Bundeswehr, auch und gerade zu einer solchen im Einsatz, muss man sich in diesem Lande nun wirklich nicht schämen.


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Quelle:
Bulletin Nr. 112-4 vom 10.11.2009
Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg,
im Rahmen der Aussprache zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin vor dem
Deutschen Bundestag am 10. November 2009 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. November 2009