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REDE/813: Laudatio auf Felicia Langer am 3. Februar 2010 in Osnabrück (Ellen Rohlfs)


Felicia Langer - Laudatio 3. Februar 2010 in Osnabrück

Von Ellen Rohlfs


Liebe Felicia, lieber Mosh
und liebe, verehrte Freunde der Erich-Maria Remarque-Gesellschaft

wir sind heute hier - im historischen Friedenssaal in Osnabrück - versammelt, um dich Felicia als Ehrenmitglied in die Remarque-Gesellschaft aufzunehmen, und die Freunde der Remarque-Gesellschaft baten mich, die Laudatio zu halten, weil ich dich am längsten kenne. Zunächst möchte ich sagen, dass es nicht die 1. Ehrung ist: du bekamst 1990 den Alternativen Friedensnobelpreis in Stockholm, und vorher den Hans Litten-Preis in Berlin, danach den Kreiski-Menschenrechtspreis in Wien und vor zwei Jahren den Erich-Mühsam-Preis, - und nun ist es schön, dich hier als Ehrenmitglied der Remarque-Gesellschaft begrüßen zu dürfen.

Es sind tatsächlich fast 25 Jahre, dass ich dich kenne - deshalb möchte ich zunächst etwas Persönliches sagen. Durch einen kleinen Artikel in einer kirchlichen Zeitschrift erfuhr ich das erste Mal etwas von dir und deinem ungewöhnlichen Engagement: Eine jüdisch-israelische Anwältin setzt sich für die Palästinenser ein. Das ließ mich aufhorchen: Hier scheint ein Mensch zu sein, der spürt und weiß, was es bedeutet, wenn man unter einer unterdrückerischen Besatzung lebt. Ich nahm mir vor, diese Anwältin bei meiner nächsten Reise nach Israel-Palästina aufzusuchen.

Es ist das palästinensische Volk, das unter israelischer Besatzung lebt und leidet; denn die israelische Gesellschaft ist die eine Seite und die palästinensische Gesellschaft ist die andere. Beide Gesellschaften lebten damals schon getrennt - und nun durch die 8m hohe Mauer erst recht - und wissen kaum etwas von ein einander. Es ist Apartheid sogar eine noch schlimmere als die in SA, sagte Bischof Tutu.

Als palästinensische Arbeiter irgendwo auf dem Bau, auf der Straße, in einem Restaurant arbeiteten, hat man sie nicht nur wie Billiglohnarbeiter, sondern wie Luft behandelt. Die Photographin Rachel Avnery hat dies einmal in einer Photoausstellung deutlich gemacht. Sie nannte die Ausstellung "Die Unsichtbaren".

Wie ist es nun möglich, dass es da eine israelische Anwältin gibt, die sich genau um diese "Unsichtbaren" bzw. um die in israelischen Gefängnissen sitzenden Palästinenser kümmert? Die Antwort fand ich in deinem Buch: "Zorn und Hoffnung". In den ersten Kapiteln erzählst du von deiner Kindheit und Jugend: Du musstest 1939 neun jährig mit Deinen Eltern vor den Nazis aus der polnischen Stadt Tarnow nach Russland fliehen und dort hast mit den Eltern 6 lange Jahre eine unglaublich harte Zeit als Flüchtling erlebt: gehungert, gefroren, im Winter ohne Schuhe und schließlich dann noch den geliebten Vater verloren, der von Zwangsarbeit, Krankheit und Hunger geschwächt dort starb; er war bis zuletzt noch Dein Lehrer; denn ohne Schuhe konntest du ja keine Schule besuchen.

Doch was das Kind Felicia an sich und seinen Eltern an Ungerechtigkeit, Diskriminierung, und Verfolgung erlebte, prägte sich tief in seine Seele ein. - Felicia, du weißt also sehr wohl, was Entmenschlichung, Ungerechtigkeit und Armut heißt und wie man als mittelloser Flüchtling lebt - obwohl deine Familie vor der Flucht eine gut betuchte Familie war.

Nach dem Krieg hast du in Breslau nicht nur die Schule mit Abitur abgeschlossen, sondern auch Mosche Langer geheiratet, der 5 KZs durchlitten und wie ein Wunder sie überlebt hat. Seit 60 Jahren ist er Deine psychische und physische Stütze. 1950 seid Ihr Deiner Mutter nach Israel gefolgt. Nachdem Michael Euer Sohn zur Schule ging, konntest du es dir endlich leisten, den lang gehegten Wunsch zu erfüllen, nämlich mit dem Jura-Studium beginnen.

Viele Jahre später hatte ich die Möglichkeit, Dich in deiner Anwaltspraxis in Jerusalem zu erleben. 1992 durfte ich dich ins Flüchtlingslager Deheishe bei Bethlehem begleiten und danach machten wir noch einen Kondolenzbesuch in Jebel el-Mukabr (Vorort von Jerusalem), wo eine Familie gerade 2 ihrer Söhne durch das israelische Militär verloren hatte. Was mir am meisten bei diesen Besuchen auffiel, war, dass Du wie eine Schwester von den palästinensischen Familien aufgenommen wurdest - offiziell waren sie doch Deine Feinde. Und hier erlebten wir eine solche Herzlichkeit - trotz der Trauer, die auf der Familie lag.

Hier sah ich mit eigenen Augen, was du an vielen Beispielen in deinen Büchern beschreibst - du wurdest vielen Palästinensern, die du vor Gericht vertreten durftest, wie eine Schwester

Und nun möchte ich ein wenig von dem wiederholen, was ich 1990 schon in Stockholm sagte, als sie den Alternativen Nobelpreis erhielt - denn was ich damals über zu Felicia auf englisch sagte, ist noch immer gültig - auch wenn sich vieles an der Situation in Israel und Palästina leider zum Schlimmeren, zum viel Schlimmeren hin verändert hat:

Im Gazakrieg hat sich z.B. vor einem Jahr ein Wort Erich-Maria Remarques ("Wann wird zum Mord, was man sonst Heldentum nennt") realisiert: der tausendfache Mord an Zivilisten wurde - unbegreiflich - von israelischen Soldaten tatsächlich als Heldentum gefeiert - wie später bekannt wurde.

Quasi als Gegenwort möchte ich nun - wie in Stockholm - das Wort eines jüdischen Weisen, (von Rabbi Nathan) aus dem 4. Jhdt stellen:


"Wer ist ein Held? Der aus Feinden Freunde macht."


Liebe Felicia heute ist eine der seltenen, erfreulichen Gelegenheiten, und für mich eine große Ehre an diesem besonderen Ort Worte der Achtung und des Lobes an dich zu richten.

Und ich denke, es ist mir nicht nur erlaubt, sondern ich bin dazu verpflichtet, diese Laudatio auch im Namen Unzähliger anderer innerhalb und außerhalb Israel/Palästinas zu tun: es sind die, denen du 23 Jahre deines Lebens, deiner Kraft, mit deinem juristischen Wissen und deinem Mitgefühl gewidmet hast, um ihr Leben unter israelischer Besatzung zu erleichtern. Und es sind viele - hier von den ca 2000 nur ein paar Namen -, Hamsi Tukan, Nabil, Ahmed, Qasim, Fahmi, Subhi, Naziha, Hanna, Yussuf, Muhammad, Abdallah, Bashir, Khaled, Walid El-Arda, Fuad al-Atrash, Abu Taher und viele andere - wenn diese Namen auch uns nichts sagen. So bist du mit jedem durch besondere, meist unerfreuliche äußere Umstände im Gefängnis und vor Gericht verbunden, und mit dem einen oder anderen hast du noch heute Kontakt.

Ich hatte oft Gelegenheit, mit jüdischen, israelischen und palästinensischen Freunden, zu sprechen. Als ich ihnen sagte, dass du in Stockholm eine besondere Ehrung erhältst, sagten alle: "sie hat es verdient." Inzwischen bist du nicht nur Ehrenbürgerin von Nazareth, sondern gehörst auch zu den 50 wichtigsten Frauen Israels, wie eine Umfrage vor ein paar Jahren ergab.

Vor 25 Jahren las ich Dein 1.und 2. Buch "Mit eigenen Augen" und "Dies sind meine Brüder" und war sehr beeindruckt, auch von deiner Ehrlichkeit. Dann bekam ich durch Zufall die Gelegenheit, Dein Buch: "Die Zeit der Steine" zum Übersetzen. Und - ich lernte dich durch deine israelischen und arabischen Kollegen/Kolleginnen wie Lea Tzemel, durch Linda Brayer, den palästinensische Anwalt Na'amni in Arrabe kennen und durch einige, die du vor Gericht vertreten hast. Schließlich sah ich dich auch in deiner Anwaltspraxis in Jerusalem mit einigen Deiner Klientel und Deiner palästinensischen Sekretärin zusammen arbeiten. Ich erlebte dich in Nazareth im Zusammenhang mit der internationalen Tagung: "Time vor Peace 1989/90".

An Deinem letzten Tag in Büro fühlte ich - wenn auch wieder weit entfernt, wie schwer es für dich ist, diese große, verantwortliche und schwere Aufgabe, Menschen, die ihr Vertrauen in dich setzten, nicht mehr vor Gericht vertreten zu können, weil die israelische Militärjustiz immer mehr ihren legalen Status verloren hatte und die sogar noch stärker strafte, die dich als Anwältin aussuchten. In Nazareth sagtest du im Rahmen der Konferenz - "Die Militärjustiz ist nur mehr eine Farce" ja, eine Farce!! - wie solltest du, wie kann man mit solch einer Justiz weiterarbeiten? Also hast du dein Anwaltsbüro in Jerusalem aufgegeben - um auf andere Weise der Welt zu sagen, was in Israel tatsächlich geschieht, dass z.B. in den Gefängnissen gefoltert wird - und das seit Anfang an bis heute. Ja du wolltest mit deinen Büchern das Gewissen der Menschen aufrütteln und Aufmerksamkeit wecken gegenüber der brutalen Ungerechtigkeit, die - für dich völlig unverständlich - von deinem eigenen gequälten Volk einem anderen Volk angetan wird.

Deshalb hast du viele Freunde - aber auch viele Feinde. In der Öffentlichkeit wurdest du schon in Israel als "Verräterin" oder als "Terroristen-Anwältin" denunziert. (und wir haben dies in diesem Sommer sogar hier in Deutschland erlebt, als einige arrogante und fiese Leute dich fertig machen wollten, weil sie dir das Bundesverdienstkreuz nicht gönnten - es ist ihnen zum Glück nicht gelungen!) - (Erich Fried hat es auf den Punkt gebracht; denn er hatte anscheinend Ähnliches erlebt und darum folgendes geschrieben:

Sie nennen mich Verräter am eigenen Volk
Sie nennen mich jüdischer Antisemit
Weil ich spreche von dem
Was sie tun in Israels Namen gegen Palästinenser.


Später einmal, wenn Juden, die übrigbleiben
Wenn dieser Wahnsinn vorbei ist,
zu suchen beginnen
nach Spuren von Juden
die nicht mittaten, sondern warnten.
- dann werden sie auch auf dich stoßen

Ich bin davon überzeugt und hoffe es sehr - dass eines Tages Dein Volk Dir für alles, was du getan hast, dankbar sein wird, dass es erkennen wird, wie du versucht hast, zwischen beiden Völkern Brücken zu schlagen, ja dass du eines Tages als "Heldin" angesehen wirst, weil du Feinde in Freunde verwandelt hast, wie es Rabbi Nathan gesagt hat: "Wer ist ein Held? Der aus Feinden Freunde macht." Und in dir begegnete ich das erste Mal einer Jüdin, die dieses Wort konkret in die Tat umsetzte: "Wer ist ein Held? Der aus Feinden Freunde macht."

Um dir eine Plattform für weltweite Öffentlichkeit zu geben, haben Freunde die Nominierung für den Alternativen Nobelpreis unterstützt, und so bekamst du ihn 1990 auch - und nun bin ich sehr glücklich, dass du nicht nur diesen und das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse erhalten hast, sondern auch noch Ehrenmitglied der Remarque-Gesellschaft der Friedensstadt Osnabrück geworden bist.

Wir wünschen und hoffen, dass du mit Deinen Büchern immer mehr Herzen gewinnst, - dass verantwortliche Persönlichkeiten mit Gewissen und Rückgrat, die bis jetzt die Realität im israelisch-palästinensischen Konflikt noch immer nicht erkannt haben, aufgerüttelt werden und bereit sind, aktiv und konkret Frieden zwischen beiden Völkern mit aufzubauen. Hier in Deutschland hast du inzwischen einen größer werdenden Kreis geschaffen, der begreift, wie gefährlich die Situation nicht nur für die Palästinenser, sondern gerade auch für die Israelis selbst ist. Immer mehr sagen: Israel zerstört sich mit dieser Politik selbst - und wer ein Freund Israels ist, wird deshalb diese aggressive Politik nicht gut heißen können, sondern muss die Menschenrechte anmahnen und nach Wegen des Vertrauens und der Versöhnung suchen.

"Wer ist ein Held? Der aus Feinden Freunde macht" - das wäre ganz gewiss auch im Sinne von Erich-Maria Remarque.

Danke!


*


Quelle:
© 2010 Ellen Rohlfs
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2010