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REDE/846: Merkel vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York, 21.09.10 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 21. September 2010 in New York:


Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,

Die Millenniumserklärung der Vereinten Nationen im Jahre 2000 hat der internationalen Entwicklungspolitik eine qualitativ völlig neue Grundlage und Legitimation verliehen. Das war eine wegweisende Richtungsentscheidung und hat die globale Entwicklungspartnerschaft auf ein neues gemeinsames Fundament gestellt. Diese Entscheidung hat deutlich gemacht: Nur durch ein neues Miteinander von Geber- und Nehmerländern und nur durch eine klare Definition der Ziele können wir Armut, Krankheiten und Hunger weltweit erfolgreich bekämpfen.

Die Millenniumserklärung ist Handlungsrahmen für eine gerechte Gestaltung der Globalisierung - gestützt auf universale Prinzipien, im Geiste der Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen. Sie steckt vier programmatische Handlungsfelder ab: Frieden und Sicherheit, Minderung der Armut, Schutz der Umwelt sowie Förderung der Menschenrechte, der Demokratie und der guten Regierungsführung. Diese vier Handlungsfelder werden konkretisiert durch die Millenniumsentwicklungsziele und stellen damit den internationalen Bezugsrahmen für unsere Entwicklungspolitik dar. Auch die deutsche Bundesregierung gründet auf diese Prinzipien ihre Entwicklungspolitik und stärkt damit die Gemeinschaftsanstrengungen aller.

Nachhaltige Entwicklungsfortschritte verlangen, dass alle vier genannten Herausforderungen gemeinsam angegangen werden, denn sie bedingen sich gegenseitig. Deshalb dürfen nach meiner festen Überzeugung die Millenniumserklärung und die Entwicklungsziele nicht als eine Art Wahlmenü interpretiert werden. Denn wir wissen - und das gilt weltweit: Es gibt keine Entwicklung ohne Sicherheit und keine Sicherheit ohne Entwicklung. Entwicklungspolitische Maßnahmen bleiben wirkungslos, wenn es keine Sicherheit gibt. Umgekehrt verpuffen Anstrengungen zur Friedenssicherung, wenn es nicht auch eine entwicklungspolitische Perspektive gibt. Hier zeigt sich, dass der frühere VN-Generalsekretär Kofi Annan es genau auf den Punkt brachte, als er sagte: "Entwicklungspolitik ist eine Investition in eine sichere Zukunft."

Hinzu kommt: Nachhaltige Entwicklung sowie wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt sind ohne gute Regierungsführung und Achtung der Menschenrechte undenkbar. Aber seien wir ehrlich: So einfach sich dieser Befund in der Theorie auch anhört, so schwierig ist es doch immer wieder, praktisch die Konsequenzen daraus zu ziehen. Die Weltgemeinschaft hat sich vor zehn Jahren richtige Ziele gesetzt. Leider müssen wir aber heute sagen, dass wir wahrscheinlich nicht alle Ziele bis 2015 erreichen werden. Dennoch - das ist meine Überzeugung - bleiben die Ziele gültig und müssen konsequent durchgesetzt werden. Ich werbe dafür, dass dies die zentrale Botschaft dieses Gipfels zehn Jahre nach Verabschiedung der Millenniumserklärung wird.

Es gibt bemerkenswerte Fortschritte bei einigen Zielen. So sind wir bei der Schulbildung, der Gleichstellung der Geschlechter und auch bei der Bekämpfung von Hunger und Armut vorangekommen. Doch Hunger und Unterernährung bewegen sich noch immer auf einem unerträglich hohen Niveau. Selbst wenn im letzten Jahr 100 Millionen Menschen weniger dem Hunger ausgesetzt waren, so ist die Zahl von über 900 Millionen Menschen auf der Welt, die unter Hunger und Armut leiden, nicht akzeptabel. Wir sehen uns auch insgesamt beträchtlichen Unterschieden gegenüber - sowohl beim Erreichen einzelner Ziele als auch beim Erreichen der Ziele in den verschiedenen Weltregionen. Insbesondere in Teilen Sub-Sahara-Afrikas gibt es nach wie vor sehr große Defizite. Die internationale Wirtschafts- und Finanzkrise hat die Aussichten für diese gefährdeten Regionen noch weiter verschlechtert.

Deshalb stellt sich die Frage: Was können, ja, was müssen wir tun, um mehr und schneller Fortschritte zu erzielen? Ich glaube, in diesem Zusammenhang ist klar: Wir müssen die Wirksamkeit der Instrumente der Entwicklungspolitik weiter verbessern. Der Schlüssel dazu liegt für mich auf der Hand. Wir brauchen mehr Ergebnisorientierung. Dabei ist aus meiner Sicht die ergebnisbasierte Finanzierung ein viel versprechender Ansatz. Ich habe das am Rande dieser Veranstaltung mit vielen Partnern sehr oft besprochen und bin auf viel Zustimmung gestoßen. Es ist klar, dass eine eindeutige Ergebnisorientierung mit größeren Freiräumen für nationale Politiken verbunden werden kann. So kann den Besonderheiten des jeweiligen Landes besser entsprochen werden.

Dabei ist wichtig, dass wir alle akzeptieren: Der Entwicklungsprozess liegt in erster Linie in der Verantwortung der Regierungen der Entwicklungsländer. Sie haben es in der Hand, ob Hilfe effizient erfolgen kann. Deshalb ist die Unterstützung guter Regierungsführung genauso wichtig wie die Hilfe selbst. An den heutigen Schwellenländern sehen wir: Entwicklungspolitik kann letztlich nur erfolgreich sein, wenn der Prozess national gesteuert und umgesetzt wird. Das gilt auch für die Mobilisierung der notwendigen Finanzmittel. Die ODA-Mittel, die Entwicklungshilfe-Mittel können - von Nothilfesituationen abgesehen - immer nur ein Beitrag zu nationalen Finanzmitteln sein, nie ein Ersatz. Entwicklungshilfe kann auch nicht zeitlich unbegrenzt sein.

Es kommt also darauf an, begrenzte Hilfsgelder so nutzbringend wie möglich einzusetzen. Das funktioniert eben nur über eine gute Regierungsführung, die die wirtschaftlichen Fähigkeiten des jeweiligen Landes fördert. In Eigenregie müssen markt-wirtschaftliche Entwicklungen, der Auf- und Ausbau von kleinen und mittleren Unternehmen und die Stärkung des ländlichen Raums vorangetrieben werden. Es gibt viele gute Projekte, die uns dabei Mut machen. Ohne eigenes, sich selbst tragendes Wirtschaftswachstum wird für die Entwicklungsländer jedenfalls der Weg aus Armut und Hunger viel zu steil bleiben. Ohne nachhaltiges Wirtschaftswachstum können die Entwicklungsziele nicht erreicht werden oder nicht einmal bisher erreichte Entwicklungsniveaus gehalten werden.

Deshalb sieht Deutschland seine Rolle in der Entwicklungszusammenarbeit als verantwortungsbewusster Unterstützer von Eigenanstrengungen - und dies auch in einer breit angelegten Partnerschaft. Wir kennen unsere Stärken in Deutschland. Wir wissen aber auch um unsere Grenzen. Natürlich erfordert die Lösung globaler Aufgaben globale Anstrengungen. Ein gelungenes Beispiel ist der Globale Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria - ein multilaterales Instrument, das sich bewährt hat. Die Hilfe des Fonds kommt direkt bei den Menschen an. Deutschland ist drittgrößter Geber. Ich werde mich dafür einsetzen, dass Deutschland den Fonds und die Bemühungen um eine Verbesserung der Gesundheitssituation insgesamt auch weiterhin auf hohem Niveau unterstützt.

Bei der Umsetzung der Millenniumserklärung und zum Erreichen der Millenniumsentwicklungsziele ist die Welt auf handlungsfähige internationale Organisationen angewiesen. So ist die Handlungsfähigkeit auch das, woran die Menschen in der Welt die Vereinten Nationen, dieses Gremium, in dem wir heute sprechen, messen. Wir, die Mitgliedstaaten, haben es in der Hand, die Vereinten Nationen für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu wappnen. Deshalb wird sich Deutschland auch weiterhin nachdrücklich für die Reform der Vereinten Nationen einsetzen.

Für uns, die Bundesrepublik Deutschland, sind die Vereinten Nationen wegen ihrer Universalität und ihrer daraus entspringenden Legitimität das zentrale Forum der internationalen Zusammenarbeit. Deutschland ist drittgrößter Beitragszahler in den Vereinten Nationen. Auch in der Entwicklungspolitik stehen wir unter den Geberländern an dritter Stelle. Selbst in der Finanzkrise haben wir unsere Mittel nicht zurückgefahren. Wir streben weiterhin an, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe aufzuwenden. Wir nehmen unsere Rolle als verlässlicher Partner der Vereinten Nationen in der Überzeugung wahr, dass Völkerverständigung nur gelingen kann, wenn die Zusammenarbeit auf der Grundlage von Gleichberechtigung und Ebenbürtigkeit aller Staaten erfolgt.

In diesem Sinne bekräftige ich hier noch einmal das deutsche Engagement und unsere Verantwortung als Teil der gemeinsamen Verantwortung der internationalen Staatengemeinschaft.


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Quelle:
Bulletin Nr. 91-1 vom 21.09.2010
Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel vor der Generalversammlung
der Vereinten Nationen am 21. September 2010 in New York
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. September 2010