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REDE/854: Westerwelle - Fortsetzung der Beteiligung an der Operation "Atalanta", 24.11.10 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle, zur Fortsetzung der Beteiligung der Bundeswehr an der EU-geführten Operation "Atalanta" zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias vor dem Deutschen Bundestag am 24. November 2010 in Berlin:


Herr Präsident.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Seit diesem Montag stehen in Hamburg zehn somalische Staatsbürger vor Gericht. Ihnen wird vorgeworfen, vor der somalischen Küste ein deutsches Schiff entführt zu haben. Dies zeigt in großer Klarheit, wie sehr uns die Probleme in Somalia in Deutschland angehen.

Geografisch mag das Horn von Afrika vielen weit weg und entfernt erscheinen, aber wir erkennen an den regelmäßigen Meldungen, dass es in Wahrheit auch uns betrifft. Mit der EU-geführten Operation Atalanta sichern wir die Lieferung von humanitären Hilfsgütern an die notleidenden Menschen in Somalia, und wir sichern den zivilen Schiffsverkehr.

Insoweit will ich, was die Interessenwahrnehmung angeht, noch einmal unterstreichen: Das Ganze hatte seinen Ausgang darin, zu gewährleisten, dass Lieferungen humanitärer Hilfsgüter die Häfen von Afrika erreichen konnten. Dass in den letzten Jahren eine erneute humanitäre Katastrophe in Somalia verhindert werden konnte, ist auch ein Erfolg dieser Operation.

Atalanta kommt Millionen Menschen zugute, die diese Hilfe bitter nötig haben. Noch immer sind über 3,5 Millionen Somalier auf humanitäre Hilfe angewiesen. Allein im laufenden Jahr hat Atalanta über 30 Schiffe des Welternährungsprogramms sicher in die somalischen Häfen eskortiert. Wer also diese Operation ablehnt, muss dann auch erklären, wie er sicherstellen will, dass diese Hilfslieferungen die hungernden Menschen tatsächlich erreichen. Da Sie das nicht können, werden Sie alle in diesem Hause, denke ich, Ihrer Verantwortung gerecht werden.

Mehr als 90.000 Tonnen Lebensmittel erreichten 1,8 Millionen Menschen. Das ist es, worum es in entscheidendem Umfang geht.

Auf diese humanitären Leistungen der Europäischen Union, an den auch die deutsche Marine einen erheblichen Anteil hat, können wir stolz sein. Ich möchte allen Fraktionen, die das Engagement der Bundeswehr unterstützen, herzlich danken. Aber ich danke insbesondere auch den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr für ihren Einsatz. Es ist ein schwieriger und entbehrungsreicher Einsatz. Ich bitte Sie, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, dies der Truppe noch einmal zu übermitteln. Ich bin sicher, dass wir alle in diesem Deutschen Bundestag wissen, was für eine wichtige Arbeit unsere Frauen und Männer der Bundeswehr dort leisten.

Das zweite Ziel der Mission ist es, den internationalen Schiffsverkehr zu schützen. Eine Außenpolitik, die humanitären Werten verpflichtet ist, muss auch die Interessen im Blick behalten. Bewegungsfreiheit im offenen Meer ist ein gemeinsames Interesse der internationalen Gemeinschaft. Wir handeln dabei unter dem Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Auch das ist von großer Bedeutung: Es handelt sich hierbei um ein Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen.

Wenn Sie, Herr Kollege, durch Zwischenrufe oder auch durch öffentliche Wortmeldungen den Eindruck erwecken, das sei gewissermaßen eine kriegerische Mission, dann disqualifizieren Sie sich in einem wirklich bemerkenswerten Umfang.

Die Reeder können zur Verbesserung der Sicherheit der Schiffe und vor allem auch der Besatzungen beitragen. Ich bin zuversichtlich, dass die Schiffseigner ihre Verantwortung ernst nehmen und entsprechend vorsorgen. Aufgrund der Zusammenarbeit zwischen Reedereien und Sicherheitskräften ist die Zahl der Überfälle und Entführungsversuche im Golf von Aden zurückgegangen. Aber wir müssen feststellen: Noch immer befinden sich Hunderte von Menschen in der Gewalt der Piraten.

Zugleich hat die Bedrohung eine neue Qualität, weil diese Piraten ihr Tätigkeitsfeld mittlerweile sogar bis vor der indischen Küste und bis vor der Küste von Mosambik ausgeweitet haben. Das ursprüngliche Operationsgebiet reicht nicht mehr aus. Es ist daher erweitert worden, zum Teil mit einer bemerkenswerten Logistik. Die Europäische Union hat auf die veränderte Lage reagiert und das Operationsgebiet von Atalanta ausgeweitet. Deshalb ist es notwendig, dass auch das Bundeswehrmandat an diese neue Realität angepasst wird. Darum bitten wir als Bundesregierung dieses Hohe Haus.

Internationale Einsätze können die Folgen eines Staatsverfalls nicht im Alleingang lösen. Wir müssen die Lösung da suchen, wo auch das Problem seine Wurzeln hat, und das ist in Somalia selbst. Der Einsatz gegen die Piraterie wird nicht auf der Hohen See gewonnen, sondern nur an Land. Deswegen ist es richtig, dass wir die humanitäre Hilfe für Somalia um die Hilfe zum politischen Wiederaufbau ergänzen. Es ist eben falsch, die Behauptung aufzustellen, dass wir lediglich militärisches Engagement zeigen und nicht auch wüssten, dass wir uns bei der Ursachenbekämpfung an Land kräftig zu engagieren haben. Das tun wir.

Am Dienstag der kommenden Woche werden wir in Tripolis beim Gipfeltreffen der Europäischen Union mit den Staaten Afrikas weiter an einer gemeinsamen Ordnung, an einer gemeinsamen entsprechenden Perspektive arbeiten. Aber natürlich reicht das allein nicht aus. Es geht um die EU-Trainingsmissionen zur Ausbildung somalischer Sicherheitskräfte. Auch dies tun wir. Es geht um internationale Projekte zur Unterstützung beim Aufbau der Justizsysteme. Das ist unser Anliegen. Es geht aber auch darum, dass wir erkennen: In rechtsfreien Räumen entstehen Instabilität und Gewalt. Deswegen müssen wir diesen vernetzten Ansatz weiterverfolgen. Wir bitten um Zustimmung für dieses wichtige Mandat.

Herr Kollege Ströbele, ich will zuerst etwas zum Grundgesetz sagen. Sie sind genauso Rechtsanwalt wie ich. Wir beide haben Jura studiert. Ich sage Ihnen daher: Nicht Sie entscheiden, was mit der Verfassung vereinbar ist, sondern das Bundesverfassungsgericht. Dieses hat seit der Adria-Entscheidung in den 90er Jahren den Kompass glasklar ausgerichtet. Sie können doch nicht behaupten, etwas sei von der Verfassung nicht gedeckt, nur weil Sie selbst dieser originellen Auffassung sind. Das ist absurd. Was Sie erzählen, ist völliger Humbug. Es handelt sich nur um Ihre persönlichen Interpretationen. Ich bewundere Ihre Hochseilakrobatik in Jura. Aber ehrlich gesagt, so könnten Sie als Jurist nicht davon leben.

Zu den Ursachen. Es ist richtig - das habe ich bereits gesagt -, dass man die Ursachen sehen muss. Das habe ich Ihnen in meinen Antworten auf Ihre vielen Fragen bestätigt. Aber bei allem Respekt bitte ich Sie, auch mit Amtsträgern zu Zeiten Ihrer Regierungsverantwortung zu erörtern, welche Versäumnisse es in früheren Jahren bei der Regierung möglicherweise gegeben hat. Die Lage ist für die jetzige Bundesregierung so, wie sie ist. Wir haben mit dieser Lage umzugehen.

Deswegen sorgen wir erstens für die Sicherheit unserer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Es ist nicht nur das Recht, sondern nach unserer Auffassung auch die Pflicht der Bundesregierung, deutsche Staatsangehörige auf den Schiffen zu schützen. Sie sind anderer Auffassung; das muss ich zur Kenntnis nehmen. Aber wir werden es anders machen.

Das Zweite ist: Wir leisten humanitäre Hilfe in Somalia; das habe ich deutlich gemacht.

Das Dritte ist: Wir arbeiten am Wiederaufbau in Somalia und halten dies für unbedingt notwendig.

Das Vierte ist: Den Eindruck zu erwecken, dass diese Piraterie ausschließlich aus der Not geboren ist - das ist der Eindruck, den Sie hier erwecken -, weil die armen Fischer keine Fischgründe mehr haben und sich deshalb als Piraten organisieren, ist, ehrlich gesagt, ziemlich naiv. Es handelt sich zum Teil um organisiertes Verbrechen und um Menschen mit hoher krimineller Energie und von größter Gefährlichkeit, Menschen, die nicht davor zurückschrecken, andere zu foltern, mit dem Tode zu bedrohen und sie gegebenenfalls umzubringen. Das hat nichts mit Ihrer naiven Auffassung zu tun. Es ist unsere Verpflichtung, gegen diese organisierte Kriminalität vorzugehen. Sie wollen das nicht. Wir werden es trotzdem machen. Ich glaube, dass wir unserer Verantwortung gerecht werden. Sie tun es leider nicht.


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Quelle:
Bulletin Nr. 122-4 vom 24.11.2010
Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle,
zur Fortsetzung der Beteiligung der Bundeswehr an der EU-geführten
Operation "Atalanta" zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste
Somalias vor dem Deutschen Bundestag am 24. November 2010 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. November 2010