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REDE/944: Dr. Thomas de Maizière zum Haushaltsgesetz 2015, 09.09.2014 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Rede des Bundesministers des Innern, Dr. Thomas de Maizière, zum Haushaltsgesetz 2015 vor dem Deutschen Bundestag am 9. September 2014 in Berlin:



Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren!

Die Bundesregierung bringt heute den Haushalt 2015 ein. Erst vor wenigen Wochen haben wir den Haushalt für das Jahr 2014 beschlossen. Wir haben über viele innenpolitische Themen diskutiert, zum Beispiel über die IT. Mittlerweile ist die Digitale Agenda beschlossen. Mittlerweile habe ich den Entwurf eines IT-Sicherheitsgesetzes vorgelegt.

Viele andere Themen sind wichtig und beschäftigen uns. Ich nenne sie stichwortartig: der NSU und dessen weitere Aufarbeitung, die NSA und die Spionageabwehr in Verbindung mit den wichtigen Beziehungen zwischen uns und den Vereinigten Staaten von Amerika, die digitale Verwaltung und die Investitionen in Netze des Bundes, der Datenschutz, insbesondere die EU-Datenschutzverordnung, die Tarifeinheit, die Frage, ob wir Olympische Spiele in Deutschland wollen und welche Rolle wir dabei einnehmen, die Sportförderung und vieles andere mehr. All das haben wir diskutiert und werden es auch weiterhin diskutieren.

Ich möchte mich heute in meiner Rede auf zwei Themen konzentrieren, die uns in diesen Tagen besonders beschäftigen und in den nächsten Jahren weiterhin besonders beschäftigen werden. Das ist einmal das Thema Sicherheit und einmal das Thema Asyl und Migration.

Zunächst zum Thema Sicherheit. Deutschland ist eines der sichersten Länder in der Welt. Die Zahl der polizeilich registrierten Straftaten liegt seit Jahren unter sechs Millionen. Wir haben sogar eine geringfügige Senkung beobachten können. Dennoch haben heute mehr Menschen als früher das Gefühl, dass die Zahl der Straftaten in Deutschland zunimmt. Das liegt möglicherweise darin begründet, dass die Zahl der unmittelbar persönlich wahrnehmbaren Straftaten gestiegen ist. So belegen die aktuellen Zahlen, dass die Zahl der Wohnungseinbrüche im letzten Jahr um 3,7 Prozent gestiegen ist. Dies geschieht nicht zum ersten Mal. Wir sind zwar noch nicht so weit wie Anfang der 90er-Jahre, aber seit zwei oder drei Jahren steigt die Zahl der Einbruchdiebstähle.

Im Bereich des Kfz-Diebstahls haben wir zwar nur einen geringfügigen Anstieg um 0,5 Prozent. Regional ist das aber sehr unterschiedlich. In bestimmten Ballungszentren und bestimmten Grenzregionen im Osten und Norden haben wir es mit besorgniserregenden Fallzahlen zu tun. Darauf müssen wir reagieren, und darauf haben Bund und Länder reagiert. Bund und Länder haben auf der letzten Innenministerkonferenz den Einbrechern in diesem Land gemeinsam den Kampf angesagt. Wir müssen regional ermitteln. Die Länder müssen gut zusammenarbeiten. Die Länder müssen gut mit dem Bund zusammenarbeiten. Wir müssen international besser zusammenarbeiten; denn wir haben es mit international organisierter Bandenkriminalität zu tun.

Wir haben auch ein Maßnahmenpaket gegen die grenzüberschreitende Kfz-Kriminalität erarbeitet. Wir haben den deutsch-polnischen Polizeivertrag zu Ende verhandelt. Wir sind in Schlussverhandlungen mit der Tschechischen Republik über einen entsprechenden Vertrag. Mit meinen französischen und niederländischen Kollegen arbeite ich bei der Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität mit Hochdruck zusammen.

In vielen dieser Fälle - ich sagte es - stellen wir verstärkt Bezüge zur Organisierten Kriminalität, zur Bandenkriminalität fest. Wir nennen es Vorfeld-OK - der Begriff der Organisierten Kriminalität ist in der Kriminalistik eng definiert -; faktisch ist es Organisierte Kriminalität. Rund 78 Prozent der 2013 in Deutschland geführten Ermittlungsverfahren im OK-Bereich hatten internationale Bezüge - in 128 Staaten. Die Zentralen dieser international agierenden Banden liegen in Italien, in den Balkanstaaten, in Georgien, in Russland; und immer sind deutsche Staatsbürger dabei.

Auf diese Entwicklungen müssen unsere Ermittlungsbehörden antworten. Um Schritt zu halten, entwickeln Polizei und Staatsanwaltschaften neue Bekämpfungsstrategien. Das BKA, Europol und Interpol arbeiten international mit Partnern zusammen. Wir werden demnächst, noch im November, einen Deutschen, nämlich den Vizepräsidenten des BKA, als Präsidenten von Interpol haben - ein schöner Erfolg für Deutschland.

Wir arbeiten, wo es eben geht - um es mal so zu formulieren -, mit den Regierungen vor Ort zusammen. Es ist jedoch auch die Aufgabe des Gesetzgebers, dafür Sorge zu tragen, dass unseren Ermittlern im Kampf gegen das international organisierte Verbrechen die nötigen Instrumente zur Verfügung stehen. Dafür haben wir uns in der Koalition auf Ziele geeinigt: Wir haben vereinbart, die Geldwäschebekämpfung zu intensivieren. Wir müssen endlich den Rahmenbeschluss der Europäischen Union zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität in deutsches Recht umsetzen. Wir werden die Abschöpfung von Vermögen aus Straftaten vereinfachen. Denn es trifft die OK und vor allem die Führer der OK am allermeisten, wenn das, worum es geht, nämlich das Geld aus Verbrechen, eingezogen wird.

Bei all diesen Vorhaben haben wir keine Zeit zu verlieren. Mein Kollege Maas und ich arbeiten deshalb mit Hochdruck daran, diese Vorhaben zügig umzusetzen.

Eine größer werdende Bedrohung für die öffentliche Sicherheit in Deutschland stellt weiterhin der islamistische Extremismus dar. Ich bin von Herzen froh, dass sich die ganz überwiegende, große Mehrheit der Moslems gerade in den letzten Tagen über ihre Verbände öffentlich davon distanziert hat.

Das ist ein großer Beitrag zur Stärkung des inneren Zusammenhalts und isoliert diejenigen, die sich für ihre politischen Zwecke fälschlicherweise auf den Islam berufen.

Wir haben in den vergangenen Jahren im Bereich des Salafismus eine steigende Anhängerzahl festgestellt; wir schätzen die Zahl auf rund 6.000. Derzeit bereiten uns vor allem die Reisebewegungen radikalisierter deutscher Islamisten oder von Islamisten anderer Staatsangehörigkeit aus Deutschland große Sorge. Seit 2012 wissen wir von mehr als 400 Ausreisen aus Deutschland in syrische Kampfgebiete und vermehrt auch in den Irak. Es gibt Hinweise, dass dabei mehr als 40 Personen ums Leben gekommen sind, einige davon als Selbstmordattentäter im Irak. Über 100 Islamisten sind bisher zurückgekehrt, viele frustriert, aber andere mit Kampferfahrungen; sie haben gelernt, zu hassen und zu töten, sie sind vernetzt, sie sind ausgebildet und möglicherweise bereit zum Wissenstransfer zu anderen. In manchen Szenen gelten sie als Helden. Wir wollen verhindern, dass diese radikalisierten Kämpfer ihren Dschihad in unsere deutschen Städte tragen.

Ich will es noch einmal ernster sagen: Wenn wir nicht wollen, dass deutsche Soldaten an der Seite von Kurden gegen IS beziehungsweise ISIS kämpfen, dann müssen wir wenigstens dafür sorgen, dass nicht Männer und Frauen aus Deutschland an der Seite von IS gegen Kurden, gegen Jesiden und gegen Christen kämpfen.

Wir setzen dabei auf die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden; sie arbeiten gut. Am vergangenen Wochenende sind vier Rückkehrer - es handelt sich in diesem Fall um Personen aus dem Bereich der al-Schabab - auch dank der Zusammenarbeit mit dem kenianischen Dienst auf ihrem Weg nach Deutschland verhaftet worden. Drei von ihnen sitzen in Haft. Wir denken darüber hinaus intensiv darüber nach und prüfen, welche neuen Maßnahmen wir in Deutschland kurzfristig ergreifen können, um gegen die Aktivitäten des IS in Deutschland vorzugehen. Sehr schnell werden dazu Entscheidungen fallen.

Ich möchte noch etwas zum Thema Asyl sagen. Ich denke, das erwarten Sie von mir, und das ist angesichts der Lage auch angemessen. Deutschland ist ein Einwanderungsland geworden, und die meisten Menschen in unserem Land stehen der Zuwanderung inzwischen positiv gegenüber. Das ist ein großer Fortschritt gegenüber den 70er- und 80er-Jahren.

Angesichts der Tatsache, dass wir wegen des demografischen Wandels künftig dringend auf mehr Zuwanderung angewiesen sein werden, ist das eine gute Nachricht. Es gibt kein einziges Handwerkerforum, in dem ich nicht auf das Thema Zuwanderung und Fachkräftemangel angesprochen werde. Das ist auch angesichts der Tatsache, dass gerade jetzt die Zahl der Menschen, die als Asylbewerber Schutz in unserem Lande suchen, massiv ansteigt, eine gute Nachricht. Der UN-Flüchtlingskommissar Guterres, der eine klare Aussprache normalerweise nicht scheut, hat in den letzten Tagen gesagt:

"Deutschland spielt eine führende Rolle beim Flüchtlingsschutz und dient als positives Beispiel ..."

Im Jahr 2013 wurden in der Europäischen Union 435.000 Asylanträge registriert. Allein auf Deutschland entfielen davon 30 Prozent. Für das laufende Jahr zeichnet sich ein Anstieg ab. Ich rechne für dieses Jahr mit 200.000 oder vielleicht sogar etwas mehr Asylanträgen in Deutschland. Angesichts der Lage in den Ländern und Kommunen, die an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit gelangen, müssen wir nach Lösungen suchen. 2014 haben wir das entsprechende Bundesamt mit zusätzlichen Stellen und Sachmitteln für die schnellere Bearbeitung der Verfahren gestärkt. Für 2015 sprechen wir noch über die entsprechenden Haushaltsauswirkungen.

Da mit einer kurzfristigen Umkehr dieses Trends angesichts der geopolitischen Lage leider nicht gerechnet werden kann, müssen wir alles dafür tun, die tatsächliche Aufnahmebereitschaft in Europa für die wirklich schutzbedürftigen Flüchtlinge, für die schutzbedürftigen Asylanten längerfristig zu erhalten. Ein dringend notwendiger Schritt - damit spreche ich die Grünen noch einmal an - ist deshalb der Gesetzentwurf zu den sicheren Herkunftsstaaten, mit dem wir die faktische Armutsmigration, zum Teil aus Ländern, die einen EU-Beitrittskandidatenstatus haben, reduzieren wollen. Ich werbe an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich um die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf im Bundesrat.

Wir brauchen aber auch dringend eine gemeinsame europäische Antwort auf die steigenden Flüchtlingszahlen und die verheerende Situation im Mittelmeerraum. Deshalb haben mein französischer Freund und Kollege Bernard Cazeneuve und ich eine Initiative gestartet, die wir heute in Form eines Briefes an die EU-Kommission senden - gemeinsam mit unseren polnischen und spanischen Kollegen sowie mit unserer britischen Kollegin. Wir wollen eine gemeinsame europäische Antwort auf diese Herausforderung.

Diese Initiative umfasst sieben Punkte:

Erstens. Wir wollen mit Blick auf die Zuwanderung in die Europäische Union eine bessere Kontrolle der externen Grenzen der Europäischen Union. "Mare Nostrum" war als Nothilfe gedacht und hat sich als Brücke nach Europa herausgestellt. Das kann nicht auf Dauer so sein. Deswegen soll "Mare Nostrum" im Herbst durch ein anderes Mandat abgelöst werden, durch eine Operation, die etwas weiter gefasst ist als laufende Frontex-Operationen.

Zweitens. Wir müssen darauf bestehen, dass alle Länder, egal ob sie im Norden, in der Mitte oder im Süden Europas liegen, sich an die Regeln halten, die sie selber unterschrieben haben.

Das heißt, alle Flüchtlinge, alle Asylbewerber, die ankommen, müssen registriert werden. Es müssen ihre Fingerabdrücke genommen werden, und sie müssen in den Ländern, in denen sie ankommen, menschenwürdig und anständig aufgenommen werden.

Die Tatsache, dass wir das als Punkt einer Initiative hervorheben, zeigt, dass wir dort Mängel haben.

Drittens. Wir sind auch in der Europäischen Union bereit zu einer koordinierten gemeinsamen Politik der Rückführung in Länder, in die sie unter humanitären Gesichtspunkten möglich ist.

Viertens. Wir wollen überlegen, ob wir für die Länder, bei denen das Bestehen eines Rechtes auf Asyl ziemlich klar ist, zu einem schnelleren Asylverfahren - auch in Europa - kommen, damit schneller klar ist, wer bleiben darf.

Fünftens. Das ist ein wichtiger und neuer Punkt. Wir sind sogar bereit, darüber zu sprechen, ob wir auf freiwilliger Basis zeitlich befristet die Länder entlasten, die überproportional viele Flüchtlinge aufnehmen. Natürlich muss sich jedes Land an seine Verpflichtungen halten. Dies geschieht zwingend unter Anrechnung der Lasten, die die Länder bereits schultern, die besonders viele Flüchtlinge aufgenommen haben. Faktisch haben wir nämlich in nur zehn von 28 europäischen Ländern eine Aufnahme von Flüchtlingen in nennenswertem Umfang. Eine solche Verteilung - manche fordern sie seit langem - ist nicht einfach zu organisieren. Wir werden viele Debatten darüber führen müssen. Aber wenn bestimmte Länder an der Grenze ihrer Aufnahmekapazität sind, dann müssen wir über eine zeitlich befristete, auf freiwilliger Basis erfolgende Veränderung sprechen, natürlich unter Anerkennung des geltenden Regelwerks.

Sechstens. Wir wollen in Europa verstärkt gegen den Menschenhandel kämpfen. Denn alles, was wir hier an Folgen bei den Menschen erleben, hat mit der verbrecherischen Aktivität von Menschenhändlern in Afrika und in Europa, auch unter Beteiligung von Deutschen, zu tun. Gegen diese müssen wir viel entschlossener als bisher vorgehen.

Siebtens. Wir brauchen einen viel koordinierteren, gemeinsamen, kohärenten - so nennt man das - Ansatz gegenüber den Transitstaaten und gegenüber den Herkunftsstaaten. Wir alle wissen, wie schwierig es in Libyen ist. In Libyen ist es schwieriger als in Marokko. Wir wissen, dass Eritrea und Somalia komplizierte Strukturen haben. Wir können dies nicht einfach nur tatenlos hinnehmen, sondern wir müssen mit gemeinsamer europäischer Außenpolitik, mit Flüchtlingspolitik, mit Entwicklungspolitik und mit der Innenpolitik ganz anders auf diese Länder zugehen und mit ihnen arbeiten.

Ich hoffe, dass mit diesen sieben Punkten etwas in Bewegung kommt, was auch Deutschland hilft. Wir erwarten, dass wir am 9. und 10. Oktober, wenn sich die europäischen Innenminister treffen, ein entsprechendes Maßnahmenpaket beschließen können.

Wir brauchen einen klugen Umgang mit Zuwanderern. Dafür brauchen wir einen Kompass. Mein Kompass ist ganz einfach: Ja zur Aufnahme politisch Verfolgter. Ja zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Krisengebieten. Nein zur Fehlleitung von Menschen in wirtschaftlicher Not ins Asylsystem. - Wir stehen in Deutschland vor großen Herausforderungen. Gerade in den Bereichen Sicherheit und Migration ist es unsere gemeinsame Verantwortung, die Weichen gegebenenfalls neu zu stellen. Wir wollen hier die Gemeinsamkeit der Demokraten und nicht eine Belastung des Zusammenhalts unserer Gesellschaft. Wir wollen nicht, dass manche politisch davon Nutzen haben. Eine Grundlage dafür legt auch der Haushalt des Jahres 2015.

In diesem Sinne freue ich mich auf die anstehenden Beratungen und viel Unterstützung.

*

Quelle:
Bulletin Nr. 94-2 vom 9. September 2014
Rede des Bundesministers des Innern, Dr. Thomas de Maizière,
zum Haushaltsgesetz 2015 vor dem Deutschen Bundestag am 9. September 2014 in Berlin
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Bulletin/2014/09/94-2-bmi-bt.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. September 2014