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SICHERHEIT/119: Abrüstung - Von der nuklearen Nichtverbreitung zum kompletten Atomwaffenverbot (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. April 2013

Abrüstung: Von der nuklearen Nichtverbreitung zum kompletten Atomwaffenverbot

ein Gastbeitrag von Tim Wright, Leiter der Australien-Sektion der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen



Melbourne, 22. April (IPS/IDN*) - Anfang März organisierte die norwegische Regierung die denkwürdige Konferenz in Oslo über die Auswirkungen von Atomwaffen auf die Menschheit und über das Unvermögen der Hilfsorganisationen, im Fall eines Atomangriffs angemessen zu reagieren. Mehr als 120 Regierungen, das Rote Kreuz und etliche UN-Organisationen nahmen daran teil. Ihre Botschaft war klar und deutlich: Um einen erneuten Einsatz von Kernwaffen zu verhindern, müssen sie verboten und sofort zerstört werden.

Das bahnbrechende Treffen von Diplomaten, Experten und zivilgesellschaftlichen Akteuren gehört zu den Bemühungen jüngeren Datums, die menschlichen Aspekte der nuklearen Abrüstung zu betonen, deren Keim bereits im Abschlussdokument von 2010 der Konferenz zur Revision des Atomwaffensperrvertrags (NPT) gelegt worden war. In jenem Jahr hatten die 189 NPT-Vertragsstaaten einschließlich die Atomwaffenstaaten Russland, USA, Großbritannien, China und Frankreich ihre "tiefe Sorge über die katastrophalen Auswirkungen auf die Menschen im Fall eines Atomwaffeneinsatzes" zum Ausdruck gebracht.

Die NPT-Vertragsstaaten werden vom 22. April bis 3. Mai in Genf zusammenkommen, um sich auf die Grundlagen für die Revisionskonferenz 2015 zu verständigen. Diejenigen, die daran interessiert sind, die Agenda der atomaren Abrüstung voranzubringen, werden dieses Treffen als eine Gelegenheit ergreifen, um auf die in Oslo erzielten Impulse aufzubauen und Unterstützung für die in diesem Jahr oder Anfang 2014 geplante Nachfolgekonferenz in Mexiko zu mobilisieren. Viele Regierungen werden darüber hinaus zu Verhandlungen über ein universelles Abkommen zur Ächtung von Atomwaffen aufrufen.


Der humanitäre Ansatz

Länder wie Norwegen, die Schweiz, Südafrika und Mexiko haben bereits angekündigt, dass sie den Aspekt der durch Atomwaffen verursachten menschlichen Katastrophe unterstützen und auf die gesundheitlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Folgen von Atomwaffeneinsätzen abheben werden. Die internationale Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung sowie die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) wollen sich ebenfalls auf die Auswirkungen der Atombombe auf die Menschheit konzentrieren.

Auf der Konferenz in Oslo haben sich zum ersten Mal in der 68-jährigen Geschichte des atomaren Zeitalters Regierungen eingefunden, um das Problem mit Atomwaffen aus einer rein menschlichen Sichtweise zu betrachten. Abrüstung und Nichtverbreitung waren bis dahin ausschließlich in einen geo- und sicherheitspolitischen Kontext gestellt worden. Doch wie die Prozesse zur Ächtung von Landminen und Streubomben schon gezeigt haben, kann die Berücksichtigung der menschlichen Dimension eines Atomkriegs ein erster wichtiger Schritt sein, um neue politische Bündnisse zu bilden und den Weg aus der langjährigen politischen Sackgasse zu finden.


Abrüstungsdiplomatie

Von den neun Atomwaffenstaaten hatten nur zwei - Indien und Pakistan - an der Oslo-Konferenz teilgenommen. Die ständigen fünf Mitglieder des UN-Sicherheitsrates (P5) boykottierten das Treffen mit der Begründung, dass die Ausrichtung auf die menschliche Dimension eines Atomkriegs die existierenden Bemühungen, die nukleare Nichtverbreitung und Abrüstung schrittweise zu erreichen, unterlaufen könnte. Doch die multilateralen Verhandlungen für eine atomwaffenfreie Welt stecken seit mehr als 15 Jahren in der Sackgasse. Die letzte Errungenschaft war das Umfassende Atomtestabkommen von 1996, das bis heute nicht in Kraft ist.

Die Priorität der in Genf ansässigen Abrüstungskonferenz - die oft als das einzige multilaterale Forum für Verhandlungen über multilaterale Abrüstung bezeichnet wird - gilt einem Abkommen, das die Produktion von spaltbarem Material für Waffen verbieten soll. (Eigentlich ist dies eine Maßnahme der Nichtverbreitung und nicht der Abrüstung). Generell zeigen die Atomwaffenstaaten keine Bereitschaft, rechtlich verbindliche Zugeständnisse zu machen, um ihre Atomwaffenarsenale zu verkleinern. Wohl aber haben sich Russland und die USA darauf geeinigt, nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit die Zahl ihrer atomaren Sprengköpfe zu beschränken.

Die NPT-Revisionstreffen sind auch weiterhin die wichtigsten diplomatischen Diskussionsforen für atomare Abrüstung und Nichtverbreitung, obwohl vier der neun Atomwaffenstaaten - Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea - nicht involviert sind. Die anderen fünf Kernwaffenstaaten scheinen nicht bereit, sich auf einen Fahrplan zur Umsetzung ihrer in Artikel VI festgeschriebenen Abrüstungsverpflichtungen festzulegen. Denn bisher sind Beteuerungen im Sinne einer atomwaffenfreien Welt reine Lippenbekenntnisse. So investieren sie zweistellige Milliardenbeträge, um ihre atomare Streitmacht in den kommenden Jahrzehnten aufrechtzuerhalten.


Universelles Verbot

Der Atomwaffensperrvertrag verbietet den 184 Vertragsstaaten, die über keine Atomwaffen verfügen, den Erwerb der 'Bombe'. In diesem Sinne dient das Abkommen als ein teilweises Verbot von Atomwaffen, das durch etliche regionale atomwaffenfreie Zonen ergänzt wird. Jedoch verbietet das NPT nicht explizit den Einsatz von Kernwaffen, ebenso wenig den Besitz durch die P5-Atomwaffenstaaten. Wohl aber sind die Vertragsstaaten verpflichtet, in Treu und Glauben Abrüstungsverhandlungen zu führen.

Trotz dieser Abrüstungsauflage halten die Atomwaffenstaaten an der Ansicht fest, dass Erhalt und Modernisierung ihrer Atomwaffenarsenale rechtlich korrekt sind. Sie betrachten die Verwirklichung einer atomwaffenfreien Welt als ein Unterfangen, das Jahrzehnte in Anspruch nehmen darf. Ein Atomwaffenverbotsabkommen, das von den Staaten vorangebracht wird, die keine Atomwaffen besitzen, würde den Status quo anfechten. Es würde ein Atomwaffenverbot für alle Länder der Welt bedeuten und den Abrüstungsprozess beschleunigen.

Selbst ohne die Unterstützung der Atomwaffenstaaten wären die positiven Auswirkungen eines solchen Atomwaffenverbots gravierend. So würde es beispielsweise den Widerstand gegen die britischen Atom-U-Boot-Pläne erhöhen. Es würde den Druck auf die fünf NATO-Staaten Belgien, Deutschland, Italien, die Niederlande und die Türkei, in denen US-Atomwaffen lagern, erhöhen, sich dafür nicht weiter herzugeben. Es würde Länder wie Japan und Österreich dazu zwingen, ihre Teilnahme an der Politik der nuklearen Abschreckung zu überdenken. Und es würde Banken in aller Welt dazu ermutigen, mit der Finanzierung von Rüstungsfirmen aufzuhören.

Es gibt bereits Abkommen, die chemische und biologische Waffen, Anti-Personenminen und Streumunition verbieten. Alle diese Abkommen haben dazu beigetragen, die Arsenale dieser Waffen zu verkleinern. Es wird jetzt Zeit für ein Atomwaffenverbot. Und wie der Nobelpreisträger Desmond Tutu auf der Oslo-Konferenz gesagt hat, "sind Atomwaffen abscheulich und egal, wer sie besitzt, eine große Gefahr. (...) Einer Stadt, unabhängig welcher Nationalität oder Religion die Bewohner angehören, mit radioaktiver Verseuchung zu drohen, ist unannehmbar." (Ende/IPS/kb/2013)

* Der von 'Global Cooperation Council' und 'Globalom Media' erstellte Informations- und Analysendienst IDN-InDepthNews ist Partner von IPS-Deutschland


Links:

www.icanw.org
http://www.indepthnews.info/index.php/armaments/1545-from-non-proliferation-to-a-total-ban-on-nukes

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 22. April 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. April 2013