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SICHERHEIT/166: Somalia - Piratenangriffe rückläufig, doch kein Grund zur Entwarnung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Juli 2015

Somalia: Piratenangriffe rückläufig - Doch kein Grund zur Entwarnung

von Nora Happel


Bild: © Indische Marine

Eine Übung der indischen Marine im Jahr 2014
Bild: © Indische Marine

NEW YORK (IPS) - Während die von somalischen Piraten verursachten wirtschaftlichen Kosten und durchgeführten Angriffe rückläufig sind, besteht einem Bericht zufolge kein Grund zu einer Entwarnung. So deuteten die letzten Angriffe auf iranische Fischereiflotten im Indischen Ozean darauf hin, dass eine Verringerung der internationalen Anti-Piraterie-Bemühungen verfrüht sein könnte.

Die Non-Profit-Organisation 'Oceans Beyond Piracy' (OBP) hat in ihrem neuen Bericht über den Stand der Piraterie 2014 darauf hingewiesen, dass oftmals kleinere Attacken auf Dhaus und Schiffe nicht in den offiziellen Statistiken zur Piraterie ausgewiesen seien. Dadurch könnten die Mittel und Fähigkeiten der somalischen Piraten, im richtigen Augenblick wieder zuschlagen zu können, nicht korrekt eingeschätzt werden.

Es gibt viele Faktoren, die Piraterie begünstigen. Dazu gehören illegale Fischerei, Armut, politische Instabilität und das Fehlen wirtschaftlicher Perspektiven. Der Analyse zufolge wurden sie bisher nicht adäquat angegangen.

Wie das Internationale Meeresbüro (IMB), eine Sonderabteilung der Internationalen Handelskammer (ICC), herausgefunden hatte, ist die Zahl der Piratenanschläge seit 2011, dem Höhepunkt der somalischen Piraterieaktivitäten mit 237 Anschlägen, in den darauffolgenden Jahren drastisch zurückgegangen. 2012 verbuchte das IMP 75 Angriffe, 2013 nur noch 15 und 2014 sogar nur noch zwölf.


Alternative Antworten auf nicht-traditionelle Bedrohungen

Dies führt der Leiter des 'Oceans Beyond Piracy Program', Jon Huggins, insbesondere auf die Entwicklung praktischer Lösungen durch die Kontaktgruppe für Piraterie vor der Küste Somalias (CGPCS) zurück. Die Gruppe war 2009 im Anschluss an eine entsprechende Resolution des UN-Sicherheitsrats (Resolution 1851) eingerichtet worden. Ihr gehören Vertreter von Staaten, Organisationen und Industrieverbänden an.

Wie das EU-Institut für Sicherheitsstudien (EUISS) in einem Report erklärte, hat sich die CGPCS als unkonventionelles und einzigartiges internationales Steuerungsinstrument bewährt. Sie fungiert außerhalb des UN-Systems, um möglichst inklusiv, unpolitisch, ergebnisorientiert, erfolgreich und flexibel arbeiten zu können.

"Der Aufbau der Kontaktgruppe verdeutlicht die Grenzen der existierenden Sicherheitsinstitutionen im Umgang mit nicht-traditionellen Bedrohungslagen, die weder staatlicher noch strikt militärischer Natur sind", heißt es in der Studie. "Es bedarf neuer Formen der politischen Reaktion."

Mit Blick auf die praktischen Lösungen, die von der Kontaktgruppe erarbeitet wurden, erklärte Jon Huggins, dass man eine Kombination aus vier Hauptmechanismen identifiziert habe, die erforderlich seien, um die Piraterie wirksam zu bekämpfen. Allein genommen hätten diese Mechanismen keine Erfolgsaussichten.

Allerdings schreibt Huggins die Erfolge im Kampf gegen die Piraterie vor Somalia vor allem den internationalen Militäroperationen und insbesondere der 2008 gestarteten maritimen Mission der Europäischen Union (EU NAVFOR / Operation Atalanta) sowie der im darauffolgenden Jahr gestarteten Operation 'Ocean Shield' der NATO zu.

Als die Zahl der Piratenangriffe zunahm, wurden diese Operationen von weitreichenden Schutz- und Selbstverteidigungsmaßnahmen flankiert. Außerdem verschärfte die Schiffsindustrie ihre Schutzvorkehrungen und investierte in Frühwarnsysteme.

Wie aus dem OBP-Bericht über die wirtschaftlichen Kosten der Piraterie hervorgeht, schlugen diese Maßnahmen 2012 mit etwa fünf Milliarden US-Dollar zu Buche. Das entsprach 85 Prozent des Gesamtbetrags, den die internationale Gemeinschaft für den Kampf gegen die Piraterie aufbrachte. Die eingeführten Maßnahmen waren Teil der von der Schiffsindustrie eingeführten 'Besten Managementpraktiken' zum Schutz vor in Somalia stationierten Piraten.

Ein weiterer Grund für den Rückgang der Piraterie war Huggins zufolge die 'private Meeressicherheit', die Standards und Verfahren zur Anwendung von Gewalt durch die privat in Seegebieten angeheuerten bewaffneten Sicherheitskräfte entwickelt hat.

Des Weiteren nannte er die schnelle Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit durch den Ausbau des Gefängnissystems einschließlich regionaler Strafverfolgungszentren auf den Seychellen und in Kenia und vier neu gebauter Gefängnisse in Somalia im Rahmen des Programms für Meereskriminalität des UN-Programms für Drogen- und Verbrechensbekämpfung.

In der zweiten Juliwoche hatte die CGPCS ihre 18. Jahresversammlung bei den Vereinten Nationen in New York abgehalten. Die Teilnehmer würdigten die immensen Fortschritte bei der Bekämpfung der Piraterie der letzten vier Jahre. Gleichzeitig betonten sie die Notwendigkeit, die Bemühungen fortzusetzen, da die Piratennetzwerke nach wie vor intakt seien und sich 26 Personen immer noch in der Hand somalischer Piraten befänden.


"Piraterie eingedämmt, nicht aber besiegt"

"Die Piraterie konnte eingedämmt, nicht aber besiegt werden", warnte Maciej Popowski, Stellvertretender Generalsekretär des Europäischen Auswärtigen Dienstes auf einer UN-Pressekonferenz anlässlich der CGPCS-Versammlung. Deshalb müsse es Ziel des CGPCS-Treffens sein, sich genauer mit dem Problem der Piraterie zu befassen. Es gelte eine Vielzahl wichtiger Fragen im Zusammenhang mit der marinen Sicherheit wie illegale Fischerei, Migration und Menschenhandel zu klären. Somalia sieht sich mit weitreichenden wirtschaftlichen, politischen und sozialen Herausforderungen konfrontiert, die Rückschläge verursachen und einen Nährboden für Piraterie schaffen könnten.

Nach Aussagen von Jon Huggins wäre es für die internationale Gemeinschaft äußerst wichtig, ein Mindestmaß an Aktivitäten aufrechtzuerhalten, um die Übergriffe von Piraten zu begrenzen, auch wenn dies mit größerem finanziellen Aufwand verbunden sei.

"Auf dem Höhepunkt der Piraterie in Somalia im Jahr 2010 hatte die internationale Gemeinschaft sieben Milliarden US-Dollar für die Bekämpfung der Piraterie ausgegeben. Im letzten Jahr haben wir 2,3 Milliarden Dollar einkalkuliert. Weniger ist nicht drin", so Huggins. "Denn noch haben wir die Ursachen der Piraterie nicht wirksam bekämpft. Es gibt immer noch unkontrollierbare Küstengebiete. Und für junge Arbeitslose könnte Piraterie eine Alternative sein."

Nach Angaben des Somalia-Büros des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP Somalia) sind 67 Prozent der Somalier im Alter von 14 bis 29 Jahren arbeitslos. Das ist nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass über 70 Prozent der somalischen Bevölkerung unter 30 Jahre alt sind, besorgniserregend. Die Einschulungsrate liegt bei 42 Prozent. Nur ein Drittel der Schüler sind Mädchen.


Idealer Nährboden für Radikalisierung junger Leute

Die extreme Armut und die schlechten Zukunftsaussichten einer großen Mehrheit von Somaliern in Verbindung mit der instabilen politischen Lage und der Schwäche der staatlichen Institutionen stellen das Land vor riesige Sicherheitsprobleme.

Eine weitere Gefahr geht von einer möglichen Zusammenarbeit der Piraten mit Dschihadisten-Netzwerken aus. Wie das US-Magazin 'Foreign Policy' berichtete, sind junge somalische Piraten in Hargeisa und Bosaso in den gleichen Gefängnissen interniert wie Mitglieder der Al-Shabaab-Miliz. "Die Gefahr einer Radikalisierung leichtgläubiger und desillusionierter junger Männer ist somit groß." (Ende/IPS/kb/21.07.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/07/somali-based-pirates-down-but-not-out/

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IPS-Tagesdienst vom 21. Juli 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2015

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