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INTERNATIONAL/085: Wie wird die Wall Street auf den Papstbesuch in New York reagieren? (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 31. August 2015

Entwicklung:
Wie wird die Wall Street auf den Papstbesuch in New York reagieren?

von Hazel Henderson



Hazel Henderson - Bild: © privat

Hazel Henderson
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ST. AUGUSTINE, FLORIDA (IPS) - Millionen Menschen im Großraum New York sehen dem Besuch von Papst Franziskus am 25. September erwartungsvoll entgegen. Das Oberhaupt der katholischen Kirche wird vor der UN-Vollversammlung über die Notwendigkeit sprechen, globale Investitionen von fossilen Brennstoffen zu sauberen, effizienten und erneuerbaren Energien umzuleiten, wie in den UN-Nachhaltigkeitszielen (SDG) vorgesehen, die die Millenniumsentwicklungsziele ersetzen sollen.

Die privaten Investitionen, mit deren Hilfe der Übergang zu sauberen Energien vollzogen werden soll, belaufen sich weltweit auf etwa 6,22 Billionen US-Dollar. Inzwischen ist es studentischen Deinvestitionsnetzwerken gelungen, mehr als 30 College-Fonds dazu zu bewegen, ihre Mittel aus klimaschädlichen Finanzgeschäften abzuziehen. Mehr als 200 Institutionen und Städte wie Minneapolis und Seattle (USA), Oxford (Großbritannien) und Dunedin (Neuseeland) haben weltweit deinvestiert.

Die Episkopalkirche und die 'Church of England' haben sich zusammengetan und den Papst aufgerufen, alle religiösen und gesellschaftlichen Gruppen zu solchen Deinvestitionen zu drängen. Führende Vertreter des Islamischen Symposiums für den Klimawandel beriefen sich Anfang August auf den Koran, als sie 1,6 Millionen Muslime dazu ermahnten, bis zum Jahr 2050 die Nutzung fossiler Energieträger schrittweise auf null zu bringen.


Katholische Organisationen in den USA investieren Millionen in Erdöl und Kohle

Mehrere katholische Organisationen in den USA besitzen Aktienanteile an Unternehmen, die fossile Brennstoffe, Schiefergas und Ölsand produzieren, im Wert von Millionen Dollar. Die Katholische Bischofskonferenz der USA (USCCB) hat zwar Richtlinien für den Umgang mit Abtreibungen, Schwangerschaftsverhütung, Pornografie, Tabak und Krieg ausgegeben, schweigt sich jedoch bisher über die Energievorräte aus.

Die Nachrichtenagentur Reuters hat berichtet, dass katholische Diözesen in Boston, Baltimore, Toledo und in weiten Teilen von Minnesota Millionen Dollar in Erdöl- und Erdgasvorkommen angelegt haben. Diese Investitionen machen demnach zwischen fünf und zehn Prozent ihres Aktienbesitzes aus.

Berichten zufolge wird der von Papst Franziskus eingesetzte Erzbischof von Chicago, Blasé Cupich, Investitionen im Umfang von mehr als 100 Millionen Dollar in den fossilen Energiesektor überprüfen.

Auch die Wall Street unterzieht ihre Standpunkte zu fossilen Brennstoffen einer Revision. Laut einer Umfrage unter Vermögensverwaltern, die im Juli im 'Institutional Investor' erschienen ist, gaben 77 Prozent der Interviewten an, dass sie die Abkehr von Investitionen in den Erdöl- und Kohlesektor erwarteten. Der Geschäftsführer von 'Exxon Mobil', Rex Tillerson, räumte zwar ein, dass die Klimamodelle "nicht so gut" seien. Dennoch gebe es keine Pläne für Investitionen in erneuerbare Energien.

Seit Kurzem fordern viele Großunternehmen eine CO2-Bepreisung zur Emissionsverringerung, wie sie von den meisten Wirtschaftsexperten befürwortet wird. BG und BP (Großbritannien), ENI (Italien), Shell, Statoil (Norwegen) und Total (Frankreich) adressierten im Juni einen offenen Brief an die Staatengemeinschaft und die Vereinten Nationen, in dem sie baten, die Preisbelastung für Kohlenstoff beschleunigt voranzubringen.

Anhänger der Bewegung für ethisch korrekte Investitionen halten inzwischen ein Sechstel aller Beteiligungen an den an der US-Aktienbörse notierten Unternehmen. Die UN-Grundsätze für verantwortungsbewusste Investitionen wurden bereits von Institutionen unterzeichnet, die Anlagevermögen in Höhe von 59 Billionen Dollar verwalten.

Eine kürzlich durchgeführte Umfrage des Instituts CFA kam zu dem Ergebnis, dass fast drei Viertel aller professionellen Anleger sich bei ihren Entscheidungen von ökologischen und sozialen Erwägungen leiten lassen.

Vor diesem Hintergrund sieht Timothy Smith, Gründer des Interreligiösen Rats über Firmenverantwortung (ICCR) und derzeit Vizepräsident von 'Walden Asset Management', den Papstbesuch kurz nach Franziskus' prophetischer Klima-Enzyklika als "Signalruf". Das Kirchenoberhaupt wolle die Welt dazu bewegen, mit konkreten Maßnahmen gegen den Klimawandel anzugehen, sagte er.

Mit Hilfe des ICCR befassen sich Investoren mit religiösem Hintergrund seit zwei Jahrzehnten mit diesen Fragestellungen. Firmen wie Walden und Ceres haben sich dem Kampf gegen den Klimawandel angeschlossen und setzen sich für die Förderung erneuerbaren Energien ein. Diese neuen Aktivitäten innerhalb der Klimadebatte sind die größte Herausforderung für den althergebrachten Kapitalismus. Viele Finanziers betrachten sich nach wie vor als die "Herren des Universums", da sie Kapitalflüsse, den Großteil der Investitionen und Pensionsfonds kontrollieren, Einfluss auf die Geldpolitik nehmen und befreundete Think Tanks finanziell unterstützen. Die jüngsten Turbulenzen an den Börsen haben erneut gezeigt, wie fragil die Aktienmärkte sind.

Derweil haben Crowdfunding, Peer-to-Peer-Kredite, lokale und Kryptowährungen sowie Kreditgenossenschaften in der 'Shareconomy' Hochkonjunktur. Websites für den Tausch von Kleidung und anderen Waren florieren.

Viele Reformer des Kapitalismus wollen die Abkehr von kurzfristigen Gewinnen und Spekulationsgeschäften vollziehen. Die UN-Stelle, die ein nachhaltiges Finanzierungssystem entwerfen soll, wird der UN-Vollversammlung am 25. September einen Bericht vorlegen, in dem gegenwärtige Praktiken und potenzielle Reformen untersucht werden.

Während Finanziers stillschweigend über Reformen nachdenken und meinen, die Lage im Griff zu haben, bleibt die Fragilität der globalen Marktstrukturen durch Automatisierungen, Algorithmen und künstliche Intelligenz die größte Gefahr. Computer können Märkte effizienter als Menschen in Bewegung halten. Das größte Problem des Kapitalismus ist seine Abhängigkeit von achterbahnähnlichen nationalen Währungssystemen. Die Instrumente von Zentralbanken und Regierungen ebenso wie Wirtschaftstheorien erweisen sich als wirkungslos. (Ende/IPS/ck/01.09.2015)


Hazel Henderson ist Autorin von Büchern wie 'Mapping the Global Transition to the Solar Age' und Vorsitzende der Organisation 'Ethical Markets Media' in USA und Brasilien.


Link:
http://www.ipsnews.net/2015/08/opinion-how-will-wall-street-greet-the-pope/

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IPS-Tagesdienst vom 31. August 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. September 2015

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