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FRIEDEN/1002: Bundesmarine "entsorgt" Piraten in Kenia (SB)



Die Bundesmarine hat vor der Küste Somalias sieben mutmaßliche Piraten verhaftet und wußte eine Zeitlang nicht, was sie mit ihnen machen soll. Die Staatsanwaltschaft Kiel hatte vorsorglich einen Haftbefehl ausgestellt - falls man die Verdachtspersonen nicht in Kenia "entsorgen" kann -, doch dann hat die erhoffte Übergabe an die kenianischen Behörden geklappt. Die im Vorfeld dieser Entscheidung zutage getretenen rechtlichen Unsicherheiten der deutschen Behörden verweisen nicht etwa auf einen Mangel innerhalb des deutschen Rechtssystems, sondern grundsätzlich auf die anzuzweifelnde Legitimität der militärischen Operation am Horn von Afrika. Immerhin könnte man das Vorgehen der Bundesmarine, ob sie im Rahmen der NATO oder der EU-Mission Atalanta vor Somalia aufgetreten ist, ebenfalls als Piraterie bezeichnen. Da wurden schon mal die Schiffe bzw. Boote anderer Nationen angehalten und die Besatzungen zur Auskunft genötigt. Und wenn die deutschen Marinesoldaten Waffen an Bord eines dieser Schiffe entdeckt hätten, wäre es in der Folge voraussichtlich zur Beschlagnahme der Ware und damit zu einem Akt der Piraterie in die Gegenrichtung gekommen.

Die sieben Verdächtigen, die an die kenianischen Behörden übergeben wurden und denen nun ein Aufenthalt in einem berüchtigten kenianischen Gefängnis droht, hatten angeblich den deutschen Marinetanker "Spessart" angegriffen - die Rede ist von drei auf das Tankschiff abgefeuerten Schüssen aus einer Pistole, die jedoch das Ziel verfehlten -, waren dann ebenfalls beschossen worden und geflüchtet. Stunden später, am 30. März, wurden die mutmaßlichen Seeräuber im Golf von Aden festgesetzt und an die deutsche Fregatte "Rheinland-Pfalz" übergeben.

Die Küstengewässer Somalias und der Golf von Aden haben sich zu einem geopolitischen Brennpunkt entwickelt. Vordergründig wird der internationale Handelsverkehr am Horn von Afrika militärisch geschützt. Gleichzeitig sind dort jedoch Kriegsschiffe nicht nur der NATO und der EU, sondern unter anderem auch aus Rußland, China, Indien, Malaysia und Japan aufgekreuzt. Dabei handelt es sich um ein Aufgebot, das den somalischen Piraten zwar zur Ehre gereicht, aber es geht um mehr als um deren Bekämpfung.

Vor der Küste Somalias wird die nächst höhere Stufe der Weltordnung vorexerziert. In Zeiten wachsenden Ressourcenmangels und eines sich verändernden globalen Klimas kommt der militärischen Präsenz auf Seehandelsrouten eine strategische Bedeutung zur Sicherung der Nachschub- und Verteilungswege zu. Hier wird das Fundament für künftige Verfügungsansprüche gelegt; kein Staat, der er sich leisten könnte, bei diesem Großen Spiel nicht mitzumischen. Die EU- und die NATO-Missionen in den Golf von Aden sind Vorstufen auf dem Weg in eine Weltgesellschaft, in der die frühere Abgrenzung der Nationen aufgelöst wird. Dabei stellt die Globalisierung keinen Gegenentwurf zur Nationalitätengesellschaft dar, sondern bildet ihre konsequente, auf Erweiterung und Sicherung von Herrschaftsstrukturen zielende Fortsetzung. Die Aussetzung der nationalen Souveränität Somalias durch den UN-Sicherheitsrat, der die internationale Gemeinschaft zum Kampf gegen Piraterie aufgerufen und ihr, zunächst zeitlich und allein auf Somalia beschränkt, erlaubt hat, mutmaßliche Seeräuber auch in die territorialen Gewässer Somalias und selbst an Land zu verfolgen, stellt einen Testballon dar, ob und wenn ja, von wem Widerstand gegen diese Form der Ermächtigung aufkommt.

Rechtsfragen erhalten in der angestrebten neuen Weltordnung eine noch größere Bedeutung als in der alten. Wenn Deutschland "seine" Piraten an ein kenianisches Gericht übergibt, wird dieses zwar zu einer weltrechtlichen Instanz aufgewertet, bleibt aber dem deutschen Ansinnen unterworfen. Die Nord-Süd-Ordnung bleibt auch in dieser Hinsicht gewahrt.

8. April 2009