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FRIEDEN/1006: Netanyahus kreativer Umgang mit Friedensverpflichtungen (SB)



Eins muß man der neuen israelischen Regierung lassen - sie legt viel Kreativität an den Tag, um zu vermeiden, den Palästinensern irgendwelche Zugeständnisse machen zu müssen. Während der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu den Eindruck erweckt, er überlege noch, ob er einer Zweistaatenlösung zustimmen solle oder nicht, spricht er über einen "ökonomischen Frieden" als Voraussetzung für eine weitergehende Friedenslösung. Daß seine Regierung jede ökonomische Entwicklung im Westjordanland wie im Gazastreifen tatkräftig verhindert, indem sie das Credo kapitalistischer Freiheiten, demzufolge sich Kapital, Waren, Dienstleistungen und Arbeitskräfte frei zu bewegen hätten, unter Terrorverdacht stellt, ändert am Wohlklang seiner Worte nichts. Im Zweifelsfall gilt die Devise, daß alle verbal getroffenen Offerten Makulatur sind, bevor kein rechtskräftige Vertragsabschluß existiert, dessen Zustandekommen wiederum nach allen Regeln obstruktiver Kunst sabotiert wird.

Auch die jüngste Wendung seiner Politik der Ankündigungen, vor weiteren Fortschritten im Friedensprozeß erst die angebliche Bedrohung Israels durch iranische Atomwaffen aus der Welt zu haben, ist ein cleverer Winkelzug. Indem er diese Bedingung an den USA festmacht, reicht er den Stab der Verantwortung an die Regierung in Washington weiter. Indem er den Stellvertretenden Außenminister Daniel Ayalon erklären läßt, daß Frieden mit den Palästinensern nur möglich wäre, wenn der Iran daran gehindert wird, den Friedensproeß "zu unterminieren und zu sabotieren", schiebt er Teheran die Schuld dafür zu, selbst keinerlei ernsthafte Bemühungen um eine palästinensische Eigenstaatlichkeit an den Tag zu legen.

Den Klartext in dieser Angelegenheit überläßt er seinem Außenminister Avigdor Lieberman, der den Annapolis-Friedensprozeß kurzerhand für beendet erklärt, die arabische Friedensinitiative rundheraus als Gefahr für Israel verworfen und einer Rückgabe der Golanhöhen an Syrien eine kategorische Absage erteilt hat. Auch er zeigt, daß er sich im Bezichtigungsspiel auskennt. Allerdings bedient sich Lieberman mit der Aussage, ein Entgegenkommen gegenüber den Palästinensern erhöhe den politischen Druck auf Israel und führe zu neuen Kriegen, einer so unverhohlenen Drohung, daß die Behauptung Netanyahus, der Iran verhalte sich gegenüber seinen Nachbarn wie Deutschland 1938, und die Kritik seines Nationalen Sicherheitsberaters Uzi Arad, diplomatische Schritten in Richtung Teheran liefen auf dementsprechendes "Appeasement" hinaus, auf gegenteilige Weise plausibel wird.

Man darf gespannt darauf sein, wie Netanyahu darauf reagiert, daß eine zentrale Forderung seiner Regierung möglicherweise nicht von der US-Regierung geteilt werden könnte. Nachdem er dem US-Emissär George Mitchell eröffnete, daß als Vorbedingung für jegliche Form von Verhandlungen mit den Palästinensern die ungeteilte Anerkennung Israels als jüdischer Staat zu erfolgen habe, war aus dem US-Außenministerium zu vernehmen, daß man diese Forderung für inakzeptabel hält. Von der Taktik, jeden gangbaren Schritt durch Maximalforderungen zunichte zu machen, versteht man auch in Washington etwas, daher dürfte man dort nicht eben erpicht darauf sein, sich mehr noch als bisher vor den Karren einer Partei in diesem zentralen Konflikt spannen zu lassen, was zur Folge hätte, daß der Umgang mit allen anderen darin involvierten Akteuren um so schwieriger würde. Zweifellos hat die US-Regierung schon zu viel Probleme in der Region, als daß sie sich für die Interessen einer israelischen Regierung verwenden wollte, deren politischer Kurs von Hasardeuren wie Lieberman bestimmt wird.

Ob dies dazu führen wird, daß der Schwanz, um im Bild einer populären Metapher zu bleiben, dieses Mal nicht mit dem Hund wedelt, bleibt abzuwarten. Israels Außenminister jedenfalls ist überzeugt davon, daß die US-Regierung "all unsere Entscheidungen akzeptieren" und keinerlei Friedensinitiative unternehmen wird, der seine Regierung nicht zuvor zugestimmt hätte. Dies erklärte Lieberman gegenüber der russischen Tageszeitung Moskovskiy Komosolets vor dem Hintergrund seiner Aussage, daß Israels Aufgabe darin bestehe, "die USA und Rußland stärker zusammenzubringen". Damit einhergehend behauptete er, nicht mehr der Iran, sondern Afghanistan und Pakistan stellten die größten strategischen Bedrohungen Israels wie der "ganzen Weltordnung" dar.

Der politische Nutzen für die Regierung Israels, sich nicht mehr nur auf den Iran einzuschießen, sondern auch jenes Kriegsszenario zum eigenen Problem zu erklären, das die NATO-Staaten im allgemeinen und die US-Regierung im besonderen im Visier haben, besteht in einer Aufwertung seiner Rolle als strategischer Partner der NATO. Indem die Regierung Netanyahu hier aufschließt, versucht sie die Bedeutung des Nahostkonflikts an den Rand zu drängen und die desolate Lage der Palästinenser langfristig festzuschreiben. Was man der Regierung in Tel Aviv jedenfalls nicht nachsagen kann, ist Einfallslosigkeit oder mangelnde Flexibilität im politischen Manövrieren auf der Weltbühne.

27. April 2009