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FRIEDEN/1029: Der israelische Historiker Ilan Pappe in München nicht willkommen (SB)



Die Debatte um die sozialrassistischen Äußerungen Thilo Sarrazins wird von seinen Parteigängern mit dem Vorwurf betrieben, man dürfe in der Bundesrepublik keine unbequemen Wahrheiten aussprechen, wenn man nicht der Zensur einer "politisch korrekten" Linken zum Opfer fallen wolle. Gesellschaftliche Verhältnisse, in denen man mit dem Eintreten für die Opfer kapitalistischer und imperialistischer Politik stets gegen Wände anrennt, werden auf den Kopf gestellt und in ein Lamento über die Leiden der vom quasi sozialistischen Steuerstaat und unproduktiven Mitessern gebeutelten "Leistungsträger" umgewandelt. Der Kampf um die Meinungshegemonie wird jedoch nicht nur an dieser Front mit Hilfe der Taktik geführt, die Stärkeren zu den Opfern der Schwächeren zu erklären.

Dies ist, wie etwa die angestrengten Bemühungen der israelischen Regierung zeigen, den sie schwerer Vergehen an der Bevölkerung Gazas bezichtigenden Goldstone-Bericht in eine zu Lasten israelischer Opfer palästinensischer Terroristen gehende Parteinahme umzuwidmen, auch ein beliebtes Kampfmittel des israelischen Siedlerkolonialismus. Während die den Besatzern in jeder Beziehung unterlegenen Palästinenser dazu genötigt werden, für mögliche Friedensverhandlungen Vorleistungen zu erbringen, die ein ihre Interessen negierendes Ergebnis von vornherein festschreibt, wird jeder Versuch ihrerseits, dem sie eklatant benachteiligenden Gewaltverhältnis etwas entgegenzusetzen, mit zigfacher Brutalität vergolten und zudem zur Legitimation ihrer Entrechtung verwendet. Was auch immer die beiden Konfliktparteien miteinander zu regeln haben, stets operiert die israelische Seite aus einer Position der Stärke heraus, die nicht nur aus ihrer unbezwingbaren militärischen Überlegenheit resultiert, sondern auch der fast vorbehaltlosen politischen Unterstützung durch die USA und EU geschuldet ist.

Dieses Gewaltverhältnis spiegelt sich auch in Entscheidungen wie derjenigen wieder, den Veranstaltern eines Wochenendes mit dem israelischen Historiker Ilan Pappe kurzfristig die bereits zugesagten und angemieteten Räumlichkeiten zu entziehen. Der zu den Neuen Historikern Israels zählende Wissenschaftler lebt und lehrt in England, wo er sich praktisch im Exil befindet, nachdem ihm seine Lehrtätigkeit und Forschungsarbeit an der Universität Haifa aus politischen Gründen unmöglich gemacht wurde. Unbeliebt machte er sich nicht nur mit der von ihm betriebenen Widerlegung der zionistischen Mythen um die Gründung des Staates Israel und dem von ihm erbrachten Nachweis, daß die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung 1948 auf einer Strategie der systematischen Landnahme beruhte. Pappe hatte sich für seinen Kollegen Teddy Katz eingesetzt, der im Rahmen der Erforschung der Geschichte der drei palästinensischen Dörfer Um Zeinat, Ein Ghazal und Tantura ein 1948 von der israelischen Armee begangenes Massaker aufdeckte. Da die von Teddy Katz erbrachten Erkenntnisse in einen öffentlichen Eklat mündeten, der vor Gericht ausgetragen wurde, geriet auch Pappe, der die Arbeit zum Tantura-Massaker in ihrer wissenschaftlichen Korrektheit bestätigt und scharfe Kritik an der Universitätsleitung geübt hatte, ins Visier zionistischer Apologeten. Nachdem Pappe jahrelang in der israelischen Öffentlichkeit als Parteigänger der Palästinenser diffamiert worden war und zahlreiche telefonische Morddrohungen erhalten hatte, folgte er 2007 dem Ruf an die Universität Exeter.

Nun hat der Historiker nicht nur in Israel negative Erfahrungen mit der Freiheit von Forschung und Lehre gemacht. Daß die Stadt München die Genehmigung, das Wochenende mit Illan Pappe in den Räumen des Pädagogischen Zentrums des Schul- und Kulturreferats der bayrischen Landeshauptstadt stattfinden zu lassen, nur einen Tag vor dessen Beginn widerrufen hat, kann man durchaus als Versuch werten, die gesamte Veranstaltung zu torpedieren. Zwar haben es die Organisatoren vom Arbeitskreis Palästina/Israel Salam Shalom geschafft, innerhalb kürzester Zeit neue Räumlichkeiten zu organisieren, doch wenn ihnen dies nicht möglich gewesen wäre, dann hätte der seit Wochen annoncierte Termin ausfallen müssen. Zudem stellt eine so kurzfristige Änderung Veranstalter wie Teilnehmer vor Probleme, die der Sache, um die es eigentlich geht, keinesfalls förderlich sind.

Allem Anschein nach ist die Kündigung der Räumlichkeiten auf Intervention der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) in München erfolgt. Sie warf dem Veranstalter Christoph Steinbrink in einem Schreiben an Oberbürgermeister Christian Ude vor, nicht objektiv zu sein, und verlieh ihrer Sorge Ausdruck, daß der Ort der Veranstaltung suggerieren könne, "es handle sich um ein Fortbildungsangebot der Stadt und nicht um eine antiisraelische Propagandaveranstaltung". Hätten die Veranstalter tatsächlich vorgehabt, eine, wie sie ankündigten, Debatte "jenseits von Polemik und Rechthaberei" zu führen, dann hätten sie doch einen Vertreter der Gegenseite wie den an der Bundeswehrhochschule in München lehrenden Professor Michael Wolffsohn einladen sollen, so die Forderung des stellvertretenden DIG-Vorsitzenden Stefan Stautner. Allem Anschein nach hat diese Argumentation dazu ausgereicht, Ude dazu zu bringen, die Räume ohne Angabe von Gründen für den Vortrag und Workshop Pappes zu sperren.

Eine Veranstaltung, die unter der Überschrift "Israel - Mythos und Wirklichkeit" steht, aus mit öffentlichen Mitteln unterhaltenen Räumen zu drängen, weil kein Verfechter der zionistischen Ideologie eingeladen wurde, ist in jedem Fall Ausdruck mangelnder demokratischer Gesinnung. Das gilt um so mehr, als man die Dominanz, die diese Sichtweise im öffentlichen Diskurs zum Thema des Nahostkonflikts besitzt, bedenkt. Das zu Lasten der Palästinenser gehende Gewaltverhältnis soll unter allen Umständen durchgesetzt werden, so daß eine Veranstaltung mit einem israelischen Historiker, der zusammen mit anderen Geschichtswissenschaftlern die Gründungsmythen des Staates Israel erschüttert hat, als Propaganda diffamiert wird. Mit Professor Wolffsohn, der für die Aufweichung des Folterverbots plädiert und sich für die Elitenideologie Thilo Sarrazins verwendet, hätte man auf jeden Fall dafür gesorgt, daß die mit Hilfe eines Workshops umfassende Aufklärung über das Schicksal der Palästinenser hintertrieben worden wäre.

Wie relevant die Analysen des Verfassers des 2007 auf deutsch erschienen Buches "Die ethnische Säuberung Palästinas" sind, zeigt auch sein zusammen mit den israelischen Friedensaktivisten Uri Davis und Tamar Yaron verfaßter Warnruf vom Juli 2005. Sie mutmaßten, daß "ein primäres, unausgesprochenes Motiv der Entschlossenheit der Regierung des Staates Israel, die jüdischen Siedler des Siedlungsblocks Katif aus dem Gazastreifen herauszubekommen, darin bestehen könnte, sie aus der Gefahrenzone zu bringen, wenn die israelische Regierung und das Militär eventuell einen größeren Massenangriff auf die annähernd anderthalb Millionen Palästinenser des Gazastreifens, bei denen es sich zur Hälfte um Flüchtlinge des Jahres 1948 handelt, auslöst". Wer ein Verständnis für die Beweggründe israelischer Besatzungspolitik noch dazu auf der Grundlage profunder historischer Analysen entwickelt, ist in München offensichtlich nicht willkommen.

(Siehe auch unter BUCH/SACHBUCH-REZENSION/442: Ilan Pappe - Die ethnische Säuberung Palästinas)

25. Oktober 2009