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FRIEDEN/1052: Biden lenkt ein ... noch engerer Schulterschluß zwischen Israel und USA (SB)



So plötzlich, wie der Sturm im Wasserglas ausbrach, so schnell legte er sich wieder. Nachdem die israelische Regierung die von Washington eingefädelten indirekten Gespräche zwischen Israel und den Palästinensern dadurch torpedierte, daß sie am Montag den Bau von 112 Wohnungen in der jüdischen Siedlung Beitar Ilit im Westjordanland und am Dienstag den Bau von 1600 Siedlerwohnungen in Ostjerusalem genehmigte, zeigte man sich im Weißen Haus zuerst schockiert. Daß letzteres nur kurz nach Eintreffen des US-Vizepräsidenten Joe Biden in Israel bekanntgegeben worden war, wurde in aller Welt als Ohrfeige für die US-Regierung bewertet. Dementsprechend verurteilte Biden diese Entscheidung als "Schritt, der das Vertrauen unterminiert, das wir gerade jetzt brauchen" und kritisierte sie als "kontraproduktiv für die konstruktiven Gespräche, die ich hier in Israel geführt habe".

Nur zwei Tage später sind die diplomatischen Verstimmungen überwunden. Biden erklärte an der Universität in Tel Aviv, daß die USA keinen besseren Freund in der Völkergemeinschaft als Israel hätten, daß Präsident Barack Obama und er eine tiefe Freundschaft und Seelenverwandtschaft zu Israel verspürten und er sich im Land wie zu Hause fühle. Man hat sich in Washington offensichtlich entschlossen, keinen Konflikt mit der israelischen Regierung in der Ostjerusalemfrage zu riskieren und dabei womöglich zu einem Rückzieher genötigt zu sein, der einen noch größeren Gesichtsverlust mit sich brächte als der bereits angerichtete. Diese Entscheidung torpediert nicht nur die noch gar nicht begonnenen Gespräche zwischen der israelischen Regierung und der palästinensische Regierung in Ramallah. Sie läuft auf die faktische Anerkennung Ostjerusalems als ungeteilte Hauptstadt Israels und damit die Nötigung der Palästinenser, auf eine Haupstadt Ostjerusalem zu verzichten, hinaus.

Die israelische Siedlungspolitik in Ostjerusalem verfolgt das langfristige Ziel, die territoriale Verbindung zwischen dem Westjordanland und der geplanten Hauptstadt eines Palästinenserstaates zu kappen. Die jüngste Entscheidung der israelischen Regierung zum Ausbau jüdischer Siedlungen in Ostjerusalem verletzt wie andere zuvor praktisch alle Abkommen, die in Aussicht auf die Zweistaatlichkeit geschlossen wurden. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu läßt keinen Zweifel daran, daß er mit dem Status quo der Besatzungspolitik gut leben kann, und genießt gerade hinsichtlich des Status Jerusalem als ungeteilte Hauptstadt breite Unterstützung in der jüdischen Bevölkerung Israels.

Für die Palästinenser bedeutet diese Mitteilung, das Projekt des eigenen Staates, das durch die israelische Politik fortwährender Versprechungen bei gleichzeitiger faktischer Widerlegung derselben zu einer Art diplomatischem Fußabtreter geworden ist, aufgeben und sich anderen Möglichkeiten zuwenden zu können. Der fast utopisch zu nennenden Bildung eines gemeinsamen Staates, in dem alle Bewohner Palästinas rechtlich und politisch gleichgestellt zusammenleben, steht die Möglichkeit eines weiteren Aufstands gegen die Besatzer gegenüber. Eine dritte Intifada wird mit der jüngsten Entwicklung jedenfalls nicht unwahrscheinlicher, bleiben den Palästinensern in ihrer desolaten Situation bis auf die inakzeptable Möglichkeit, sich dauerhafter Unterdrückung und Entrechtung zu fügen, doch keine weiteren Optionen.

Diese in der arabischen Welt als Affront gegen die eigenen Friedensangebotene verstandene Entwicklung führt zu einer weiteren Polarisierung im Nahen und Mittleren Osten. Wenn die US-Regierung den Fehdehandschuh Netanjahus nicht aufgreift, sondern sich entschließt, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, dann unterstreicht sie damit die bedingungslose Unterstützung Israels. Den US-Vizepräsidenten derart zu düpieren, daß das Ansehen Washingtons in aller Welt beschädigt wird, um anschließend von ihm eine Ergebenheitsadresse zu erhalten, hat notgedrungen zur Folge, daß die USA die eigene Politik im Nahen und Mittleren Osten noch konsequenter an die strategischen Entscheidungen Israels bindet. Eine solche Machtprobe nicht nur unbeschadet, sondern als Sieger zu bestehen wäre normalerweise nur aus einer Position unbestreitbarer Stärke möglich. Israels Stärke ist mithin nicht auf den eigenen Staat und seine von den USA maßgeblich finanzierte militärische Schlagkraft beschränkt, sondern zu einem Gutteil in der US-amerikanischen wie, in etwas geringerem Ausmaß, der europäischen Innenpolitik angesiedelt.

Da der auf dem Rücken der Palästinenser erfolgte demonstrative Schulterschluß Israels und der USA auch die Position der mit Israel und den USA verbündeten arabischen Regierungen schwächt, treibt die Situation auf eine militärische Belastungsprobe hin, anhand derer die US-amerikanische und israelische Hegemonie über die Region bestätigt werden soll. Während Biden Israel umfassende Sicherheitsgarantien gegenüber dem Iran zusagt, wirbt US-Verteidigungsminister Robert Gates in Riadh um die Unterstützung scharfer Sanktionen gegen den Iran durch Saudi-Arabien. Den arabischen Potentaten in Kairo, Amman und Riadh bietet Washington die Möglichkeit an, sich in eine Front gegen den Iran einzureihen und sich so der Unterstützung der USA gegen mögliche Aufstände im eigenen Land zu versichern. Der Iran wird schon deshalb zu einem die prowestlichen Kräfte der Region einigenden Feind aufgebaut, weil die arabischen Regierungen in Anbetracht der israelischen und US-amerikanischen Politik gegenüber den Palästinensern ansonsten vor den eigenen Bürgern praktisch nackt daständen.

Da im Zweifelsfall nicht nur den arabischen Oligarchien, sondern auch den europäischen Eliten das eigene Hemd näher ist als der Anspruch unterdrückter Bevölkerungen auf Gerechtigkeit, wird die Verschärfung des Nahostkonflikts auch hierzulande die Bereitschaft vergrößern, auf der Seite Israels und der USA in eine Auseinandersetzung zu treten, die mit großer Wahrscheinlichkeit auf einen für alle Seiten verlustreichen Krieg hinausläuft. Sich dem einmal eingeschlagenen Weg einer Konfrontation mit dem Iran zu verweigern erforderte ansonsten, die guten Beziehungen zu Israel zu kappen und entschieden gegen die israelische Besatzungspolitik Front zu machen. Dazu reicht der Einfluß derjenigen politischen Kräfte in der EU, die an einer solchen Entwicklung interessiert sind, bei weitem nicht aus. Desto entschiedener wird die Solidarität mit den Palästinensern und die Proteste gegen die militärische Bedrohung des Irans als Gesinnungsverbrechen diffamiert werden.

11. März 2010