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FRIEDEN/1056: EU-Außenbeauftragte Ashton in Gaza ... ein beschämender Auftritt (SB)



Sie wolle so viele Informationen sammeln wie möglich, erklärte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton bei ihrer Stippvisite im Gazastreifen. In Anbetracht dessen, daß es an Daten und Angaben aller Art zur humanitären Situation der Bevölkerung, zum Ausmaß der bei dem Überfall der israelischen Streitkräfte angerichteten Zerstörungen und zu den Auswirkungen der Totalblockade des kleinen Gebiets nicht mangelt, hätte dies erfordert, daß die EU-Außenbeauftragte das persönliche Gespräch mit den palästinensischen Bewohnern und ihren politischen Repräsentanten sucht.

Gerade dies wurde nach Kräften vermieden. Die Vertreterin des nach den USA zweitwichtigsten politischen Akteurs im Nahostkonflikt ging jeglichem Aufeinandertreffen mit der Bevölkerung, das nicht im Rahmen ihres Besuchs von Einrichtungen der Vereinten Nationen eingeplant war, aus dem Weg. Die zerstörten Gebiete im Norden des Gazastreifens passierte ihr Fahrzeugkonvoi ohne anzuhalten. Ihre Abneigung gegen Begegnungen der unkalkulierbaren Art war so groß, daß sie den palästinensischen Fotografen untersagte, Bilder von ihr zu machen. Was diese mit einem spontanen Sitzstreik quittierten, ist symptomatisch für den Umgang der Europäischen Union mit einem Konflikt, der bei ihren Mitgliedstaaten erklärtermaßen ganz oben auf der außenpolitischen Agenda steht.

Die Berührungsängste Ashtons mit der den Gazastreifen regierenden Hamas entsprechen der offiziellen Linie der EU. Sie hat zur Folge, daß nicht nur die gewählte Regierungspartei, sondern auch die Bevölkerung des Gebiets abgestraft wird. Es wäre für Ashton sehr unangenehm gewesen, sich dafür rechtfertigen zu müssen, daß die Menschen in Gaza bittere Not aufgrund der eigenen Außenpolitik erleiden müssen. Also beschränkte die europäische Chefdiplomatin alle Kontakte im Krisengebiet auf offizielle Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft, also diejenigen Kräfte und Institutionen, die zumindest auf indirekte Weise, wie etwa die Vereinten Nationen im Rahmen des Nahostquartetts, mitverantwortlich für die Aushungerung der Palästinenser sind.

Selbst von deren Funktionären muß Ashton erfahren, daß es hinsichtlich des politischen Handlungsbedarfs, den umzusetzen eigentlich ihre höchsteigene Sache sein sollte, für die Bevölkerung Gazas nur ein Thema gibt. Der Chef des UN-Hilfswerks im Gazastreifen (UNRWA), John Ging, erklärte gegenüber Baroness Ashton, daß die Palästinenser ihre ganze Hoffnung in die Aufhebung der Blockade setzten. Es sei "ungeheuer wichtig, daß die Personen auf der politischen Handlungsebene dies aus erster Hand erfahren, um die Komplexität der Situation zu entwirren und dabei den simplen Sachverhalt des Leidens der Menschen und der Dringlichkeit einer Veränderung zu erkennen", so Ging, der "eintausend Tage und eintausend Nächte einer mittelalterlichen Belagerung als viel zu viel" (BBC, 18.03.2010) rügt. Dies sei "beschämend und eine Schande", so der Mahnruf dieses beherzten, mit den täglichen Überlebensproblemen der Palästinenser innigst vertrauten UN-Funktionärs, an die Adresse des hohen Besuchs.

Allzuoft hat Ging keine Gelegenheit dazu, einflußreichen Politikern persönlich ins Gewissen zu reden. Nur zwei Außenminister aus EU-Staaten reisten seit dem Überfall auf Gaza in das Gebiet, alle anderen hielten sich an die von ihren Regierungen mitgetragene Isolation der regierenden Hamas. Noch im Dezember 2009 ließ der Sprecher des israelischen Außenministeriums, Jigal Palmor, verlauten, daß seine Regierung keine Besuche hochrangiger Diplomaten im Gazastreifen wünsche. Dieser werde von Terroristen kontrolliert, die dadurch Legitimität erhielten (merkur-online.de, 08.12.2009). Er erklärte jedoch gleichzeitig, daß es sich um kein Verbot handle und es Regierungsbeamten anderer Länder frei stände, über Ägypten in den Gazastreifen einzureisen.

Indem die EU-Außenbeauftragte sich an die von Israel vorgegebene Sprachregelung hält, laut der die legal gewählte Hamas eine terroristische Organisation sei, mit der man nicht sprechen dürfe, ist ihr Kurzbesuch einer Annäherung zwischen den Konfliktparteien eher abträglich. Mit dem Verzicht auf die Forderung einer Beendigung der Blockade Gazas demonstriert Ashton, daß es realpolitischer Konsens unter den Staaten, die sie vertritt, ist, die Politik der Isolation nicht nur der Hamas, sondern aller in dem Gebiet lebenden Menschen fortzusetzen. Eine Anerkennung des an den Palästinensern verübten Unrechts liegt ihr fern. Ihre Forderung, daß man die humanitäre Lage der Bevölkerung Gazas verbessern müsse, wirkt vor diesem Hintergrund nur noch zynisch.

Das gilt um so mehr, als die EU durch die politische und materielle Unterstützung der Regierung in Ramallah mitverantwortlich ist für die Folterung von Gefangenen durch die Sicherheitsdienste der Palästinensischen Autonomiebehörde. Wie die palästinensische Journalistin Kawther Salam unter Berufung auf die Arabische Menschenrechtsorganisation (AOHR) berichtet (14.03.2010, http://palestinethinktank.com/), werden politische Oppositionelle im Westjordanland widerrechtlich verhaftet und systematisch Folterverhören unterzogen. Dies ist zwar keine neue Erkenntnis, doch die von den EU-Staaten vollzogene Unterscheidung in eine politisch akzeptable und unterstützenswerte Regierung in Ramallah und eine verwerfliche Administration sogenannter Radikalislamisten in Gaza wird dadurch nicht eben glaubwürdiger.

Wie kontraproduktiv die Politik der Blockade und Isolation ist, belegt auch der erste aus dem Gazastreifen auf israelisches Gebiet erfolgte Raketenangriff seit rund 15 Monaten, bei dem ein Mensch ums Leben kam. Zu dem Angriff bekannte sich eine militante Splittergruppe namens Ansar al-Sunna, die allgemein dem radikalen Spektrum jener Kräfte zugeordnet wird, die sich unter dem Titel Al Qaida im Gazastreifen formieren. Indem sie die Regierungshoheit der Hamas mißachten und sich der von ihr angeordneten Waffenruhe widersetzen, versuchen sie, verbliebene Möglichkeiten einer friedlichen Einigung zwischen allen palästinensischen Fraktionen und Israel zu torpedieren.

De facto ist das Aufkommen militanter jihadistischer Gruppen im Gazastreifen Ergebnis der von außen betriebenen Delegitimierung der Hamas. Würde man der Regierung in Gaza Erfolge bei der Verbesserung der materiellen Situation der Bevölkerung ermöglichen oder hinsichtlich einer Konfliktlösung entgegenkommen, dann fänden diese Gruppen keinerlei Unterstützung unter der palästinensischer Bevölkerung. Die als terroristisch gebrandmarkte Hamas hat stets Wert darauf gelegt, nicht mit Al Qaida assoziiert zu werden und keinerlei militärische Aktionen gegen andere Staaten als den der Besatzer durchzuführen. Sie mit dem internationalen Terrorismus Al Qaidas zu identifizieren liegt vor allem im Interesse der israelischen Regierung, läßt sich die Isolation der Hamas und die Blockade Gazas doch nur unter der Prämisse einer angeblich antiterroristischen Strategie aufrechterhalten.

19. März 2010