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FRIEDEN/1075: Von Sharon bis Netanjahu ... zehn Jahre erfolgreiche Obstruktionstrategie (SB)



Eine datumstechnische Koinzidenz aussagekräftiger Art lenkt den Blick auf die jüngere Geschichte des Nahostkonflikts. Am 28. September 2000 besuchte der damalige israelische Oppositionsführer Ariel Sharon den Jerusalemer Tempelberg und löste damit die zweite Intifada aus. Zehn Jahre später demonstriert die israelische Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit der Wiederaufnahme des Ausbaus israelischer Siedlungen im Westjordanland, daß, wenn überhaupt, bestenfalls ein Diktatfrieden akzeptiert wird. Ariel Sharon betrat den Tempelberg unter dem Schutz von über tausend Soldaten mit einer "Botschaft des Friedens". Benjamin Netanjahu läßt keine Gelegenheit aus, seinen Friedenswillen zu bekunden. Warum also nimmt die Entwicklung einen gegensätzlichen Verlauf in Richtung eines zusehends prekärer werdenden Mißverhältnisses zwischen den Lebensansprüchen der Palästinenser und Israelis?

In Zeiten des Krieges einen Friedenswunsch zu artikulieren ist so selbstverständlich, wie dessen Realisierung unwahrscheinlich ist, wenn ihm realpolitisch zuwidergehandelt wird. Aufzuklären wäre an erster Stelle über das Gewaltverhältnis, das zwischen den beiden Konfliktparteien herrscht. Dem israelischen Siedlerkolonialismus stehen völkerrechtliche Forderungen der Palästinenser gegenüber, die so legitim, wie machtpolitisch ungedeckt sind. Unter den die Weltpolitik maßgeblich bestimmenden Akteuren findet sich niemand, der die Ohnmacht der Palästinenser durch das Gewicht seines politischen Willens in eine wirksame Verhandlungsposition verwandelte. Der allgemein erzeugte Eindruck, das Zusammentreffen beider Seiten erfolge auf Augenhöhe, wäre daher durch die Anerkennung der Bringschuld Israels zu korrigieren.

Daß dies nicht erfolgt, ist nicht nur ein Versäumnis der als Vermittlerin auftretenden US-Regierung. Die Äquidistanz, mit der die sogenannte internationale Gemeinschaft zu den israelisch-palästinensischen Verhandlungen steht, läuft de facto auf die Unterstützung Israels hinaus. Ungeachtet der dafür vorhandenen Gründe stehen die Palästinenser vor dem Problem, zu einem Quid pro quo aufgefordert zu sein, in das sie nichts einzubringen haben als die Inkaufnahme weiterer Verluste dessen, was ihnen bereits genommen wurde. Ihnen wird im Grunde genommen die Unterwerfung unter das erreichte Ausmaß israelischer Expansion abverlangt, was ihnen bestenfalls mit einigen symbolischen, weit hinter ihren völkerrechtlichen Ansprüchen zurückbleibenden Zugeständnissen vergolten werden soll.

An dieser unausgesprochenen Forderung scheiterten bereits die Verhandlungen in Camp David, die der zweiten Intifada unmittelbar vorausgingen. In der heutigen Berichterstattung über den Friedensprozeß in Nahost hat sich die Sprachregelung etabliert, daß es "umstritten" sei, ob der damalige Palästinenserführer Jassir Arafat oder der damalige israelische Premierminister und heutige Verteidigungsminister Israels, Ehud Barak, für das Verspielen dieser Friedenschance verantwortlich waren.

Was damals zugunsten nämlicher Äquidistanz im Dunkeln blieb, wirkt sich heute noch erschwerend auf die Möglichkeit einer Einigung aus, die der israelischen Seite schmerzhafte Zugeständnisse abverlangte. Die Vorleistung Arafats, 1988 das Existenzrechts Israels vor den Vereinten Nation anzuerkennen und 1993 in Zusammenarbeit mit dem israelischen Premierminister Jitzchak Rabin das Oslo-Abkommen zu schließen, soll in Camp David mit dem Angebot Baraks, den Palästinensern 90 Prozent der besetzten Gebiete zu überlassen, quittiert worden sein. Daß Arafat dies abgelehnt habe, ist eine Legende, mit der die Tatsache überdeckt werden soll, daß die israelischen Siedlungsaktivitäten gerade in der Amtszeit Baraks massiv ausgeweitet wurden. Heute lebt eine drei Mal so hohe Zahl israelischer Siedler im Westjordanland als zu Beginn des Oslo-Prozesses, was die Schaffung eines separaten Palästinenserstaates noch unwahrscheinlicher macht als vor zehn Jahren.

Die damalige Forderung Arafats, Ostjerusalem als Hauptstadt Palästinas anzuerkennen, stellte nach der Vertreibung vieler Palästinenser 1948 aus Westjerusalem bereits ein Zugeständnis dar, das durch die Anerkennung der israelischen Siedlungen in Ostjerusalem sogar noch erweitert wurde. Barak wollte sich dennoch nicht darauf einlassen, alle palästinensischen Viertel Ostjerusalems von der Annexion der gesamten Stadt durch Israel zu befreien, sondern dies lediglich bei einigen Vierteln zu tun, während andere mehrheitlich von Palästinensern bewohnte Teile Ostjerusalems und der Tempelberg unter israelischer Hoheit verbleiben sollten. Daß Arafat dem nicht zustimmen konnte, wurde ihm als Verweigerung des Friedens angelastet.

Der israelische Friedensaktivist Uri Avnery bewertete Camp David in einem Thesenpapier aus dem Jahre 2001 so:

"Der Camp David Gipfel im Sommer 2000, der Arafat gegen seinen Willen aufgedrängt wurde, war vorzeitig und spitzte die Probleme zu. Barak forderte - seine Forderungen wurden beim Gipfel als solche Clintons präsentiert -, die Palästinenser sollten den Konflikt als beendet erklären und auf das Rückkehrrecht und die Rückkehr selbst verzichten; sie sollten komplizierte Regelungen für Ostjerusalem und den Tempelberg, ohne Souveränität über beides, akzeptieren; sie sollten mit großen territorialen Annektionen im Westjordanland und im Gazastreifen einverstanden sein, desgleichen mit israelischer Militärpräsenz in weiteren großen Gebieten und mit der israelischen Kontrolle über die Grenzen, die den palästinensischen Staat vom Rest der Welt trennen. Kein palästinensischer Führer könnte jemals solch ein Abkommen unterzeichnen."

Der als Berater des US-Präsidenten Clinton für arabisch-israelische Angelegenheiten in Camp David anwesende Robert Malley trat mit seiner Darstellung des Verlaufs der Verhandlungen ebenfalls dem Mythos entgegen, sie seien an Arafats kompromißloser Verweigerungshaltung gescheitert:

"Die Palästinenser forderten die Schaffung eines palästinensischen Staates an der Seite Israels in den Grenzen des 4. Juni 1967. Sie akzeptierten das Vorhaben Israels, für seine Siedlungen Gebiete im Westjordanland zu annektieren. Sie akzeptierten das Prinzip der israelischen Souveränität über die jüdischen Viertel in Ost-Jerusalem - Viertel, die vor dem Sechstagekrieg von 1967 kein Teil Israels waren. Und während sie auf der Anerkennung des Rechts der Flüchtlinge auf Rückkehr beharrten, erklärten sie sich einverstanden, dass es in einer Weise in die Tat umgesetzt werden sollte, die die demographischen Interessen und die Sicherheitsbedürfnisse Israels berücksichtigte, indem die Zahl der Rückkehrer beschränkt wurde. Keine arabische Partei, die je mit Israel verhandelt hat - weder Anwar el-Sadats Ägypten noch Jordanien unter König Hussein, ganz zu schweigen vom Syrien Hafez al-Assads - hat derartige Kompromisse jemals auch nur annähernd in Betracht gezogen."
(New York Times, 10.07.2001)

Die 2007 verstorbene israelische Publizistin und Wissenschaftlerin Tanya Reinhart hat die gängige Lesart zu den Verhandlungen von Camp David in ihrem Buch "Operation Dornenfeld" detailliert untersucht. Ihr zufolge war die in der Berichterstattung über Camp David aufgestellte Behauptung, Israel sei bereit gewesen, sich aus 90 Prozent des Westjordanlands zurückzuziehen, bar jeder Glaubwürdigkeit. Es handle sich um das Ergebnis eines Friedensplans, der im Oktober 1995 zwischen dem damaligen Justizminister Yossi Beilin und dem nach Arafats Tod an die Spitze der PLO gerückten Mahmud Abbas ausgehandelt worden war. Der Plan wurde mit der Ankündigung publik gemacht, Israel werde 90 bis 95 Prozent des Westjordanlands unter palästinensische Souveränität stellen. Die von Beilin und Abbas ausgehandelte Vereinbarung, daß 50 jüdische Siedlungen auf palästinensischem Gebiet verbleiben sollten, widerlegten diese Behauptung jedoch. Palästinensische Souveränität über jüdische Siedlungen hätte bedeutet, daß die israelischen Bürger auf jeden staatsrechtlichen Anspruch Israels hätten verzichten müssen und Ausländer in einem fremden Land geblieben wären, was niemals ernsthaft geplant gewesen wäre.

Laut Reinhart beruhten Ehud Baraks mündlich unterbreitete Vorschläge in Camp David auf einer Modifikation des Beilin-Abbas-Plans, der im Vorfeld des Nahostgipfels in Camp David zur Grundlage der Verhandlungen erhoben werden sollte. Barak allerdings verhinderte diese von US-Präsident Clinton unterstützte Vorgehensweise, da er den Palästinensern die Erklärung abverlangen wollte, daß der jüdisch-arabische Konflikt nunmehr beendet sei. Dadurch wären die zentralen UN-Resolutionen 194 und 242, die den Palästinensern das Recht auf Rückkehr in ihre verlorenen Gebiete zuerkennen sowie den Rückzug Israels hinter die Grenzen von 1967 fordern, erloschen, was Barak eine sehr viel günstigere Ausgangsposition bei der Durchsetzung seiner Annexionsabsichten verschafft hätte.

Diese betrafen die Angliederung der großen Siedlungsblöcke an Israel, wobei Barak allerdings im Unterschied zum Beilin-Abbas-Plan auf eine Annexion jener Gebiete bestand, die die außerhalb Israels liegenden Siedlungen miteinander verbunden hätte. Sein Plan lief im Endeffekt darauf hinaus, daß sich der palästinensische Staat nicht auf 22 Prozent des ehemaligen Mandatsgebiets Palästina, sondern bestenfalls der Hälfte hätte etablieren können. Neben den annektierten Siedlungsblöcken, die zehn Prozent des Westjordanlands direkt an Israel anschlössen, hätten die außerhalb dieses Gebiets liegenden 50 Siedlungen den Rest des bereits in vier Enklaven geteilten Westjordanlands durch israelische Zubringerstraßen fragmentiert. Da auch das Jordantal unter militärischer Kontrolle und damit der Hoheit Israels bleiben sollte, hätte ein in Camp David erwirktes Palästina die Gestalt eines Flickenteppichs ohne eigene Außengrenzen angenommen.

Anstelle Ostjerusalem bot Barak Arafat das Dorf Abu Dis als Hauptstadt an, wie es ebenfalls bereits im Beilin-Abbbas-Plan vorgesehen war. Dies sollte künftig den arabischen Namen für Jerusalem, El-Quds, tragen, wobei man sich darauf berief, daß Abu Dis unter jordanischer Verwaltung noch zu Jerusalem zählte. Es handelte sich um einen Etikettenschwindel, der im Ergebnis bedeutet hätte, daß Jerusalem ungeteilt unter israelischer Souveränität verblieben wäre.

Robert Malley und Hussein Agha haben in dem Buch "Camp David: The Tragedy of Errors" 2001 dargelegt, welcher Strategie sich Barak bediente, um eine Fata Morgana zu kreieren, die den Palästinensern bis heute als Beleg dafür vorgehalten wird, ihr Widerstand gegen die Besetzung ihres Landes sei, so fern er sich nicht diplomatischer Gepflogenheiten bedient, um auf diesem Weg neutralisiert zu werden, illegitim und illegal:

"Seine [Baraks] Strategie basierte auf der Überzeugung, Israel solle seine endgültigen Positionen nicht offen legen - nicht einmal gegenüber den Vereinigten Staaten -, ohne dass und bevor das endgültige Ende der Verhandlungen in Sicht war. Wenn man irgendein Mitglied der US-Friedensdelegation gebeten hätte, Baraks tatsächliche Positionen vor Camp David oder sogar währenddessen zu umreißen, wäre ihm eine Antwort äußerst schwer gefallen ... Die letztendliche und weitgehend unbemerkt gebliebene Folge der Herangehensweise Baraks ist die Tatsache, dass es strenggenommen nie ein israelisches Angebot gegeben hat. ... Die Israelis hielten immer einen, wenn nicht mehrere Schritte vor einem Vorschlag inne. Die Ideen, die in Camp David vorgetragen wurden, wurden niemals schriftlich fixiert, sondern nur mündlich übermittelt. Sie wurden im allgemeinen als die Vorstellungen der USA, nicht als die Israels, präsentiert. ... Schriftlich niedergelegt hätten die von den Amerikanern in Camp David dargelegten Vorstellungen nicht mehr als ein paar Seiten umfasst. Barak und die Amerikaner bestanden darauf, Arafat müsse sie als allgemeine 'Grundlagen für Verhandlungen' akzeptieren, bevor man mit ernsthaften Verhandlungen beginnen könne.".
(Aus Tanya Reinhart "Operation Dornenfeld", Bremen 2002)

Diese Verhandlungsstrategie kann als Blaupause für den generellen Umgang Israels und seiner Verbündeten mit den legitimen Forderungen der Palästinenser verstanden werden. Man formuliert einen Minimalkonsens, auf dem sich beide Konfliktparteien vermeintlich auf gleicher Augenhöhe begegnen, während die Palästinenser in ihrer akuten Existenznot zu einem Prozeß genötigt werden, in dem sie gleich zu Beginn ihr einziges Stück Verhandlungsmasse von Gewicht, den Widerstand gegen die Besatzer, zur Disposition stellen sollen. Der israelischen Seite werden demgegenüber kleine Schritte in Richtung auf ein fernes Ziel abverlangt, das unter keinen Umständen vorweggenommen werden dürfe, sofern es die Preisgabe von Israel vehement verteidigter Positionen beträfe.

Die zweite Intifada brach aus, weil Barak den Siedlungsausbau trotz der Vereinbarungen des Oslo-Prozesses forciert hatte und weil in Camp David kein Ergebnis erzielt wurde, anhand dessen den Palästinensern demonstriert worden wäre, daß die von ihnen im Rahmen des Friedensprozesses trotz der israelischen Obstruktionsstrategie geleisteten Zugeständnisse Früchte trugen. Sharon hatte den dadurch angestauten Zorn durch seinen mit Barak abgesprochenen Besuch auf dem Tempelberg zum Überlaufen gebracht. Die von israelischer Seite in Umlauf gebrachte Behauptung, Arafat habe seine angebliche Verweigerungshaltung in einen erneuten Aufstand münden lassen, wurde von der Mitchell-Kommission, die eine Untersuchung zur Ursache der Intifada durchführte, wie durch den ehemaligen Chef des israelischen Inlandgeheimdienstes Shin Beth, Ami Ayalon, bestritten. Er hatte wiederholt erklärt, daß sein Dienst über keinen Hinweis darauf verfüge, daß Arafat die Intifada geplant habe, was angesichts der hochgradigen Durchdringung der palästinensischen Gesellschaft mit Informanten des Shin Beth ein schlagender Beweis für die Unrichtigkeit der gegen den Palästinenserführer gerichteten Propaganda war.

Arafat wurde schon vor seinem Tod im November 2004 auf Druck der US-Regierung faktisch entmachtet und im Januar 2005 durch den heutigen palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas in dieser Position beerbt. Kurz darauf erklärte Abbas die zweite Intifada im Rahmen eines Waffenstillstands, den er mit dem israelischen Premierminister Ariel Sharon geschlossen hatte, offiziell für beendet, obwohl Sharon schon zuvor erklärt hatte, daß Israel auf palästinensischer Seite über keinen Verhandlungspartner verfüge. Sharons Politik des einseitigen Disengagements führte zum Abzug der israelischen Truppen und Siedler aus dem Gazastreifen. Dies machte nicht nur besatzungsstrategisch im Sinne einer Verkürzung der Front Sinn, sondern erfüllte seine Behauptung, nichts als Frieden anzustreben, mit neuer Glaubwürdigkeit. So konnte sich der israelische Ministerpräsident desto leichter über alle palästinensischen Einwände gegen die israelische Siedlungspolitik im Westjordanland, den Bau der Trennungsmauer auf palästinensischem Territorium und die Annexion großer Teile des Westjordanlands hinwegsetzen.

Vor allem jedoch wurde mit der weiteren Fragmentierung der Palästinenser durch eine administrativ hochdifferenzierte neokolonialistische Besatzungspolitik die Voraussetzung geschaffen, nur noch auf Verhandlungspartner zu treffen, die lediglich einen kleinen Teil der palästinensischen Bevölkerung repräsentieren. Seit dem Wahlsieg der Hamas Anfang 2006 und ihrer daraufhin von Israel, den USA und der EU erfolgten Delegitimierung ist die Handlungsfähigkeit der Palästinenser an einem historischen Tiefpunkt angelangt. Die diplomatische Isolierung der demokratisch gewählten Partei, ihre Brandmarkung als terroristische Organisation, die Verhaftung und Internierung zahlreicher ihrer Abgeordneten und Politiker, die Aufrüstung der Regierung in Ramallah unterstellter Palästinensertruppen durch die USA, die massiv gegen oppositionelle Gruppen im Westjordanland vorgehen, und die Blockade und Zerstörung Gazas sind Ausdruck einer Obstruktionsstrategie, die die islamische Partei vor allem deshalb treffen soll, weil sie die legitimen Forderungen der Palästinenser konsequenter als die weithin korrumpierte Fatah vertritt.

Demgegenüber steht die ungebrochene Unterstützung Israels durch die USA und EU, die mit der ausgebliebenen Verurteilung des Überfalls der israelischen Streitkräfte auf Gaza 2008/2009 auf eklatante Weise bestätigt wurde. Die Erfolgsaussichten eines Friedensprozesses, den zu einem halbwegs gerechten Abschluß zu bringen schon US-Präsident Clinton trotz einer weit besseren Ausgangslage nicht gelang, könnten dementsprechend nicht schlechter sein. Wie jeder US-Präsident vor ihm hat auch Barack Obama einen Anlauf unternommen, diesen Konflikt zu befrieden. Obschon ein solches Ergebnis das Hegemonialstreben Washingtons in der Region erleichterte, ist er dabei von mehreren Seiten unter Druck geraten. In Israel wird er von rechten Zionisten als verkappter Muslim verhöhnt, in den USA bezichtigen ihn die Parteigänger Israels in der republikanischen Partei, nicht entschieden genug gegen den Iran vorzugehen und damit die Existenz Israels zu gefährden. In den Augen der arabischen Bevölkerungen hat sich Obama, nachdem er mit seiner Kairoer Rede neue Hoffnungen geschürt hat, als weiterer Sachwalter israelischer Interessen erwiesen, was wiederum die Unterstützung seiner Nahostpolitik durch die arabischen Regierungen behindert.

Diese ist zusätzlich korrumpiert durch den Konflikt zwischen der Türkei und Israel, durch wachsende soziale Spannungen im Land des engsten arabischen Verbündeten der USA und Israels, Ägypten, durch die wieder verbesserten Beziehung zwischen Libanon und Syrien, die sich beide von Israel bedroht fühlen, durch den seit dem 11. September 2001 geführten Kulturkampf gegen die islamische Welt und durch die generelle Schwäche der USA, die sich in der Wirtschaftskrise und den erfolglosen Kriegen im Irak und Afghanistan ausdrückt. Kurzum, der von der Regierung Netanjahu demonstrativ als zahnloser Tiger vorgeführte Obama hat weit weniger Möglichkeiten als Clinton vor zehn Jahren, Israel Zugeständnisse abzutrotzen.

Abbas hat nicht nur ein sehr begrenztes Verhandlungsmandat, haben sich doch zusätzlich zur Hamas mehrere palästinensische Parteien und Organisationen gegen die Aufnahme voraussetzungsloser Friedensgespräche ausgesprochen. Die Forderung, das Moratorium des Ausbaus der israelischen Siedlungen zu verlängern, ist an und für sich Ausdruck palästinensischer Ohnmacht, werden die grundsätzlichen Ansprüche der Palästinenser doch kaum mehr beim Namen genannt. Mit der Wiederaufnahme des Siedlungsbaus erscheint Abbas, solange er die Verhandlungen nicht abbricht, als serviler Befehlsempfänger der USA und Israels. Bloßgestellt in ihrer nichtvorhandenen Bereitschaft, eine Friedenslösung auch gegen den Willen der israelischen Regierung zu erzwingen, sind auch das Nahostquartett, die USA und EU.

Die von Sharon vor zehn Jahren provozierte Eskalation könnte im Sinne der damit beabsichtigten Beendigung eines Friedensprozesses, der einen souveränen Palästinenserstaat zum Ziel hat, kaum erfolgreicher sein. Für die Region des Nahen und Mittleren Ostens birgt diese Entwicklung die Gefahr weiterer Kriege, die in ihren Auswirkungen auf die davon betroffenen Bevölkerungen womöglich noch verheerender sein werden als der langjährige Krieg gegen den Irak. Um so dringlicher geboten ist die strikte Auseinanderdividierung von Ideologie und Machtpolitik - Friedenswillen zu bekunden und eine neokolonialistische Besatzungspolitik zu betreiben paßt als Strategie zur Übervorteilung des Gegners so gut zusammen, wie es sich als Negation der Lebenschancen von Millionen verbietet.

Literatur:

Tanya Reinhart: Operation Dornenfeld. Der Israel-Palästina-Konflikt: Gerechter Frieden oder endloser Krieg. Bremen 2002

28. September 2010