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FRIEDEN/1115: Deutsche Staatsräson kappt Palästinas Blütenträume (SB)




Geht es um die Palästinenser, schweigen die deutschen Menschenrechtskrieger fein still. Imperialistische Staatsräson ist Trumpf wenn es gilt, Freund und Feind zu sortieren, brauchbare Menschen von überflüssigen zu scheiden. Obgleich man durchaus geteilter Meinung sein kann, ob ein von der UNO-Vollversammlung mehrheitlich beschlossener Status als Beobachterstaat der Sache der Palästinenser tatsächlich dient, unterstreicht doch die rigorose Ablehnung Israels und seiner engsten Verbündeten, daß sie nicht einen Fußbreit okkupierten Bodens aufzugeben bereit sind - im wörtlichen wie übertragenen Sinn.

Daß die Gegenargumente vage bis verworren anmuten und eine Drohgebärde als Grundmotiv kaum verhehlen können, verwundert nicht. Schließlich versucht man aller Welt zu verkaufen, daß die Palästinenser nur dann etwas bekommen, wenn sie auf alles verzichten. US-Außenministerin Hillary Clinton rügte sie für ihren Antrag auf einen Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen und erklärte im Vorfeld der heutigen Abstimmung, das Vorhaben trage nicht zu einer Zwei-Staaten-Lösung im Nahen Osten bei. Der Weg dahin könne nur über Ramallah und Jerusalem führen, nicht jedoch über New York. Mit der Androhung eines Vetos hatte Washington vor einem Jahr den Versuch der Palästinenser ausgehebelt, im Sicherheitsrat die UNO-Vollmitgliedschaft zu beantragen. Nun könnten die USA ihre finanzielle Unterstützung für die Palästinenser weiter herunterfahren, zumal der Kongreß bereits rund 200 Millionen Dollar an Hilfsgeldern eingefroren hat.

Wie das US-Außenministerium mitteilte, trafen der stellvertretende Außenminister William Burns und der Nahost-Sonderbeauftragte David Hale mit Mahmud Abbas in New York zu einem Gespräch zusammen. Sie hätten ihm verdeutlicht, daß es in der US-Regierung eine "sehr reale Besorgnis über die palästinensische Initiative in der UNO-Vollversammlung" gebe. Dieser Schritt würde die Palästinenser nicht näher an ihr Ziel bringen, ein unabhängiger Staat an der Seite Israels zu werden. Nach Angaben des palästinensischen Unterhändlers Sajeb Erakat ließ Abbas die US-Unterhändler jedoch bei dem Treffen in einem Hotel abblitzen [1].

In einem verbalen Eiertanz erklärte Bundesaußenminister Guido Westerwelle, aus deutscher Sicht seien Zweifel angebracht, "ob der heute von den Palästinensern angestrebte Schritt zum jetzigen Zeitpunkt dem Friedensprozess dienlich sein kann. Wir befürchten, dass er eher zu Verhärtungen führt [2]." Regierungssprecher Steffen Seibert verkündete rigoros: "Eine Zustimmung Deutschlands zu einer solchen Resolution wird es nicht geben." Der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Andreas Peschke, warnte, daß die Abstimmung angesichts der angespannten Lage im Nahen Osten eine "große Brisanz" habe. Zugleich räumte er ein, daß die Gespräche innerhalb der EU kompliziert und noch nicht abgeschlossen seien.

Sollen die Äußerungen deutscher Spitzenpolitiker überhaupt einen nachvollziehbaren Sinn ergeben, so nur den, daß nichts getan werden dürfe, was die israelische Führung verärgern oder gar in Schwierigkeiten bringen könnte. Für Aufregung sorgt bekanntlich vor allem der mögliche Zugang der Palästinenser zum internationalen Strafgerichtshof (IStGH). Der palästinensische UNO-Vertreter Rijad Mansur hatte zunächst gewarnt, daß Israel mit einer Klage rechnen müsse, sollte es weiter die Resolutionen der Vereinten Nationen gegen den Siedlungsbau brechen. Später bemühte er sich jedoch, die Warnung abzuschwächen, um im Vorfeld der Abstimmung die Wogen zu glätten. Ein rascher Gang nach Den Haag sei nicht zu erwarten, erklärt er inzwischen.

Die Reaktion von israelischer Seite fiel wie üblich in ebenso harschem wie imperialem Gestus aus: "Wenn sie diese Resolution als Plattform für Konfrontation nutzen, werden wir entsprechend handeln müssen", sagte eine Regierungssprecherin. Sollten sich die Palästinenser dagegen mit einer symbolischen Aufwertung begnügen, "werden wir keine drastischen Maßnahmen ergreifen" [3]. Wäre man nicht durch langjährige Erfahrung daran gewöhnt, dies für Normalität zu halten, müßte man von einer gespenstischen Widerspruchslage ausgehen. Wie allgemein bekannt ist, verstößt der Siedlungsbau in der Tat fortlaufend gegen UNO-Resolutionen, die Israel im Zweifelsfall ohnehin für irrelevant erachtet. Die bloße Möglichkeit, daß sich die Palästinenser künftig mehr oder minder wirksamer oder wenigstens international beachteter Rechtsmittel bedienen könnten, wird von der israelischen Regierung in aller Offenheit als Konfrontation eingestuft, die man bestrafen werde.

Mit solchen Drohungen, die mit Rechtsstaatlichkeit und geltenden internationalen Rechtsnormen schwerlich in Einklang zu bringen sind, stehen Israel und die USA nicht allein. Die französische Regierung unterstützt zwar den Antrag der Palästinenser und spricht ihnen das Recht zu, den Internationalen Strafgerichtshof anzurufen, warnt sie aber zugleich vor einem solchen Schritt: Dies würde den Nahost-Friedensprozeß erschweren, erklärte Außenminister Laurent Fabius. Daß Recht nur denjenigen zusteht, die über die Mittel verfügen, es durchzusetzen, wird auch unter Beteiligung deutscher Regierungspolitik in einer Offenheit praktiziert, daß man im Grunde nur schwarz sehen kann, was die zu erwartenden Konsequenzen für die jüngste politische Initiative von palästinensischer Seite angeht.

Erinnern wir uns: Am 29. November 1947 beschloß die UN-Vollversammlung die Aufteilung des bis dato britischen Mandatsgebiets. Damit war der Weg frei für die Gründung des Staates Israel, während in der Folge fast 800.000 Palästinenser aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Im Krieg von 1967 verloren sie noch mehr Land und auch Jerusalem, daß sie als ihre Hauptstadt ansehen. Unter Führung von Jassir Arafat stieg die PLO zu einer international mehr und mehr anerkannten Vertretung der Palästinenser auf. Im Jahr 1974 räumte die UNO-Vollversammlung Arafat Rederecht und der PLO den Beobachterstatus ein. 1988 rief der Palästinensische Nationalrat im Exil in Algier einseitig einen palästinensischen Staat aus.

Daraufhin wurde der Name des Beobachters bei den Vereinten Nationen von "PLO" in "Palästina" geändert, was freilich mit keiner völkerrechtlichen Anerkennung als Staat verbunden war. Die UNO-Unterorganisation für Wissenschaft und Bildung, UNESCO, preschte 2011 mit der Anerkennung Palästinas als Mitgliedsstaat vor, doch hatte auch dies keine Folgen für den Status bei den Vereinten Nationen. Wenn nun die Mehrheit der Vollversammlung für eine Aufwertung von "non-member observer" zu "non-member observer state" stimmt, bekommen die Palästinenser automatisch Zugang zu wichtigen UNO-Institutionen wie insbesondere dem Internationalen Strafgerichtshof. Daß sie es nur ja nicht wagen sollen, von diesen Möglichkeiten ernsthaft Gebrauch zu machen, ist die unmißverständliche Botschaft Israels und seiner Verbündeten, darunter nicht zuletzt die deutsche Bundesregierung.

Fußnoten:

[1] http://www.spiegel.de/politik/ausland/us-vermittler-wollen-uno-antrag-fuer-palaestina-stoppen-a-869890.html

[2] http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/welt/weltpolitik/504767_Palaestina-ringt-um-Anerkennung.html

[3] http://www.dradio.de/aktuell/1934990/

29. November 2012