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FRIEDEN/1126: Auf dem Feldherrnhügel vergessener Schlachten (SB)




Der nicht nur dieser Tage hoch gehandelte Mythos einer EU des Friedens soll vergessen machen, daß das stärkste Militärbündnis der Welt vor 15 Jahren den Rumpfstaat Jugoslawien überfiel. Dem Land sollte der Weg nach Europa frei gemacht werden. Über diesen Widersinn, trotz seiner Lage auf dem Westbalkan nicht dazuzugehören, wurde auch in den Kommandostäben eines Landes entschieden, dessen Truppen Jugoslawien zweimal überfallen und seine Bevölkerung in slawophobem Furor niedergemacht haben. Sicherlich, man schützte die Gefahr eines Völkermords an der albanischen Bevölkerung der serbischen Provinz Kosovo vor und bezichtigte den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic des großserbischen Nationalchauvinismus. Beide Behauptungen werden bis heute kolportiert, ohne dadurch wahrer zu werden, haben es die Sieger in Berlin, London, Paris und Washington doch nicht nötig, über die eigenen Kriegslügen Rechenschaft abzulegen. Vor allem hat die unwidersprochene Gültigkeit derartiger Legenden den Vorteil, dem Nachwuchs der Laptopkrieger zeigen zu können, daß das phantasievolle Ausmalen bewährter Feindbilder, etwa im Konflikt zwischen NATO und Rußland, durch Anerkennung und Karriereaussichten honoriert wird.

Wenn das Wort Frieden für die EU überhaupt Relevanz hat, dann ist der Frieden der Paläste gemeint. Historisch in der Einbindung der BRD als antikommunistischer Frontstaat im Kalten Krieg und in Bündelung der wirtschaftlichen Kräfte des mit der sozialistischen Herausforderung konkurrierenden Westeuropas fundiert, entfesselt der langfristig angelegte Aufstieg der EU zu einem global handlungsfähigen Akteur den Krieg gegen die Hütten innerhalb wie außerhalb Europas. Wo die EU, militärisch repräsentiert durch die Doppelmitgliedschaft ihrer meisten Mitgliedstaaten in der NATO, imperialistische Kriege führt und repressive Regimes in der Aufstandsbekämpfung gegen die eigene Bevölkerung unterstützt, wo sie innerhalb der Wirtschafts- und Währungsunion den durch neoliberale Privatisierungs- und Austeritätspolitik hervorgerufenen sozialen Notstand zum Tauschwert nationaler Wettbewerbsfähigkeit erhebt und die Menschen außerhalb ihrer Grenzen der Ordnung ihrer Kapitalinteressen unterwirft, um sie für die eigene Mehrwertproduktion zu verbrauchen und ihnen gleichzeitig den Zutritt zu den Ländern zu verwehren, in denen sie etwas von den Früchten ihrer Arbeit ernten könnten, tritt dieser Frieden in seiner ganzen Menschenverachtung hervor.

Einer der Architekten dieses Europas gab am 20. Mai im Hamburger Thalia-Theater den Elder Statesman. Unter dem in Anbetracht des prominenten Gastes sicherlich nicht hintersinnig gemeinten Titel "Krieg für den Frieden: Kann man Gewalt mit Gewalt bekämpfen?" [1] bekannte sich Joseph Fischer zu einer Form der Interessenpolitik, für die der britische EU-Funktionär David Cooper einst den positiv gemeinten Begriff des "neuen liberalen Imperialismus" geprägt hat. ARD-Korrespondent Jörg Armbruster zog ein häufig genanntes Beispiel für jene Doppelstandards heran, die zum Instrument eigener Machtpolitik zu machen für Cooper Ausdruck legitimen Handelns postmoderner Staaten sind: "In schwachen Staaten wie Libyen, in denen kann man eingreifen, bei hochgerüsteten Staaten wie Syrien oder anderen - es gibt ja noch viele andere Staaten, in denen das überlegenswert wäre -, da kann man nicht eingreifen, da muß man zusehen - so einfach ist die Moral?"

Eine solche Frage funktioniert immer, fordert der Interviewer, wohl wissend, daß die Frage der Moral in der Staatenkonkurrenz bestenfalls drittrangig ist, seinen Adressaten doch dazu auf, sich über diese intellektuelle Armseligkeit zu erheben: "Das ist nicht eine moralische Frage, sondern das ist eine Kombination aus machtpolitischer Frage, moralisch-ethischer Frage, rechtlicher Frage, und - ich sage das so zugespitzt - auch von Opportunität" [2]. Sich über das Völkerrecht hinwegzusetzen, so der ehemalige Außenminister und Vizekanzler der Bundesrepublik, sei schon deshalb notwendig, weil der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen humanitäre Interventionen aufgrund seiner Zusammensetzung häufig verhindere. Dieser angebliche Mißstand eines Staatengremiums, das eigens dafür zuständig sein soll, bilaterale Konflikte ohne Waffengewalt zu lösen, müsse behoben werden, um eine der "Weltverantwortung" verpflichtete Entscheidungsinstanz bei den Vereinten Nationen entstehen zu lassen. Bis es soweit sei, sollten die Europäer froh sein, die USA an ihrer Seite zu haben, so Fischers Plädoyer zugunsten eines Landes, das den Krieg gegen die Hütten nach außen wie innen mit besonders perfider, dem bürokratischen Vollzug menschlicher Erniedrigung und Entwürdigung auf elaborierte Weise Genüge tuender Grausamkeit führt.

Was die Moral betrifft, so reicht ein Blick auf Fischer, wie er mit ausgestreckten Armen und zwei anklagenden Zeigefingern den serbischen Präsidenten Milan Milutinovic im Park von Rambouillet an den Pranger seiner 1999 noch deutschen Gerechtigkeit stellte, um etwas darüber zu erfahren, wie tief sie im Gemüt dieses aus katholischer Familie stammenden Grünenpolitikers verankert sein muß. Um die jugoslawische Bevölkerung die Aggression des eigenen Schuldkomplexes spüren zu lassen, bedarf es eines so gefestigten Glaubens an die Gültigkeit der eigenen Werte, daß der Verweis auf opportunistische Motive überflüssig wird. Was Armbruster und andere Journalisten, die darauf abstellen, Kriege moralisch zu rechtfertigen, nicht wahrhaben wollen, ist die Funktion der Moral als eines imperativen Mandats, die Ermächtigung zum Kriege aus der eigenen angemaßten Definitionsmacht heraus gegen jeden Einspruch durchzusetzen, der etwa im Weltsicherheitsrat erhoben wird. Indem Fischer für eine Neuaufstellung dieses die Staatenordnung nach dem Zweiten Weltkrieg repräsentierenden Gremiums, so will er wohl verstanden werden, unter Ausschluß potentieller Blockierer wie Rußland und China plädiert, erweist sich der Primat einer "Weltverantwortung" als Generallizenz zu exekutiver Gewaltanwendung.

So war Fischers Devise, man dürfe in Jugoslawien nicht wegsehen, sondern sei gerade durch Auschwitz zum Eingreifen verpflichtet, ein schlagendes Beispiel für herrschaftliche Überbietungslogik. Wer sich mit allen Mitteln in die Position versetzt, stets das Gute zu tun, setzt die Ohnmacht der in den Staub Geworfenen voraus, ist sie doch die beste Garantie dafür, niemals in der Hypertrophie der in Anspruch genommenen Moral widerlegt werden zu können. Sich derartiger Mittel nach Belieben bedienen zu können, ohne irgendeiner Instanz außer einer selbsterklärten "Weltverantwortung" gegenüber rechenschaftspflichtig zu sein, deren Zuständigkeit sich schlicht aus der größten Feuerkraft und Kapitalmacht ergibt, zeichnet auch das Credo einer EU aus, die ihren Anspruch auf eine führende Rolle in der Weltpolitik aus dem Blutzoll zieht, ohne den die Erwirtschaftung größerer staatlicher Handlungsgewalt schlichtweg unmöglich ist.


Fußnoten:

[1] http://www.thalia-theater.de/h/archiv_35_de.php?play=1110

[2] http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2014/05/21/dlf_20140521_0824_94bc3fc4.mp3

22. Mai 2014