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HEGEMONIE/1579: Zwei Gipfeltreffen zur Sicherung herrschender Verhältnisse (SB)



Die enge Abfolge zweier wichtiger Gipfeltreffen inmitten einer eskalierenden globalen Wirtschaftskrise soll den politischen Willen der ökonomisch produktivsten und militärisch stärksten Staaten der Welt symbolisieren, diesem Niedergang wirksam entgegenzutreten. Dies soll allerdings auf den Bahnen jener politischer Rezepturen erfolgen, die die krisenhafte Entwicklung maßgeblich vorangetrieben haben. Die kapitalistische Globalisierung hat mit der zunehmenden handelspolitischen, produktionstechnischen und ordnungspolitischen Verschränkung der Volkswirtschaften die Voraussetzung für die nicht nur weltweite, sondern auch multiple Synchronizität der Krise geschaffen. Zur Finanz- und Wirtschaftskrise gesellen sich Ressourcenprobleme bei Wasser, Nahrungsmittel und Energie, die vom Wandel des Weltklimas verschärft werden. Dies hat Auswirkungen auf die räumlichen Lebensmöglichkeiten der Bevölkerungen, die zudem durch die Kapitalisierung aller Mittel der Daseinsvorsorge massenhaft verelendet sind, so daß auch von einer Gesellschafts- und Strukturkrise gesprochen werden muß.

Dieser längst nicht mehr stillen Katastrophe, als die man das tägliche Verhungern Zehntausender häufig bezeichnet, wollen die führenden Regierungen der Welt mit sattsam vertrauten und durch die Krise längst diskreditierten Mitteln entgegentreten. Die breit orchestrierte Rettung der Finanzwirtschaft, der in den USA wie der EU lange vor dem Auflegen staatlicher Konjunkturprogramme Milliardensummen zur Verfügung gestellt wurden, nur um zu erfahren, daß die Gelder angesichts der dort akkumulierten Schulden wie in einem Faß ohne Boden versickern, erfolgte sehr viel schneller und mit sehr viel größerer Bereitwilligkeit, als es bei den Hilfen für die sogenannte Realwirtschaft der Fall ist.

Mit der Rettung der Finanzwirtschaft am kurzen Ende ihrer auf spekulative Geschäfte zurückgehenden Verbindlichkeiten soll das finanzkapitalistische Verwertungsmodell fortgeschrieben werden. Die seit den 1970er Jahren durch die Ausweitung des Finanzmarkts anwachsende Wertschöpfung hat bereits diverse Krisen provoziert, deren Überwindung durch Konzentrationsprozesse unter den maßgeblichen Akteuren und die Erschließung neuer Wertschöpfungsketten, als deren Wichtigstes Beispiel der zwischen China und den USA etablierte Handelsstrom gelten kann, bewerkstelligt wurde.

In der jetzigen Weltwirtschaftskrise kumulieren die verschiedenen Bewältigungsstrategien des bisherigen Krisenmanagements auf sich einander destruktive verstärkende Weise. Die fortschreitende Ausweitung des Kredits hat den davon profitierenden Akteuren praktisch den Boden unter den Füßen weggezogen, der nun mit staatlicher Alimentation wieder tragfähig gemacht werden soll. Die dabei propagierte Aussicht auf eine konjunkturelle Wiederbelebung kann als fromme Hoffnung bezeichnet werden, mit der sich die Eliten des Kartells aus Staat und Kapital über die offensichtliche Haltlosigkeit des Versuchs hinweghelfen, einen neuen Akkumulationszyklus auf der Basis überschuldeter Banken und Staaten in Gang zu bekommen.

Der anläßlich des G20-Treffens in London ausgebrochene Streit um die Frage, in welchem Ausmaß neue staatliche Konjunkturprogramme aufgelegt werden sollen, reproduziert die Konkurrenz zwischen den eher finanzkapitalistisch agierenden Akteuren USA und Britannien einerseits und den stärker industrie- und handelspolitisch denkenden Akteuren Deutschland und Frankreich andererseits. Dieser Unterschied ist lediglich von gradueller Art und wird vor dem Hintergrund der jeweiligen Verwertungsstrategien relevant. Während insbesondere die Bundesrepublik weiterhin auf eine Politik des knappen Geldes und der stagnierenden Löhne setzt, um ihre Exportstärke zu retten, wollen die USA durch eine noch stärkere Ausweitung des Kredits Handelsströme und Kapitalinvestitionen anziehen und so das bisherige Konzept einer globalen Konjunktur, die wesentlich auf der finanzkapitalistisch ermöglichten Aufnahme der globalen Industrieproduktion durch die US-Gesellschaft basiert, wieder anfahren.

Der in Deutschland und Frankreich vorherrschenden Neigung, sich diesem Konzept nicht anzuschließen, liegt allerdings kein sozial gerechter Strukturwandel zugrunde, sondern die Fortsetzung sozialer Mangelwirtschaft bei gezielter Förderung der Finanzwirtschaft und einzelner Industrieunternehmen. Die umfassende Alimentation besonders armer Menschen, die ihr Geld sofort ausgeben, steht nicht auf der Agenda, und von systemischen Veränderungen kann schon gar nicht die Rede sein. So läuft die jetzige Entwicklung auf das Nebeneinander diverser, allerdings stets den Machterhalt etablierter Eliten garantierender Krisenbewältigungsstrategien hinaus, deren Effizienz sich daran bemessen wird, wie sehr die jeweiligen Regierungen in der Lage sein werden, ihre Volkswirtschaften auf Kosten anderer Bevölkerungen zu stabilisieren.

Was sich ökonomisch als globale Depression, die alle die nicht nach London geladenen Länder des Südens auf verheerende Weise treffen wird, und massive Konkurrenz zwischen nationalstaatlich organisierten Kapitalfraktionen ausdrücken wird, soll durch die Klammer sicherheitspolitischer Kooperation im Rahmen der NATO nach innen wie außen konsolidiert werden. Nach innen gegen Bevölkerungen, die immer unausweichlicher erkennen werden, daß sie durch die Wohlstandsverheißungen neoliberaler Propagandisten in die Irre geleitet wurden, und daß eine an den Prinzipien des Freihandels, der Privatisierung und Liberalisierung festhaltende Krisenstrategie erst recht zu ihren Lasten gehen soll. Nach außen gegen die Länder des Südens und gegen Schwellenstaaten wie China und Rußland, die als Rohstofflieferanten wie verlängerte Werkbank der hochproduktiven Industriestaaten weiterhin unter noch schlechteren Zahlungsbedingungen zur Verfügung stehen sollen.

G20-Treffen und NATO-Gipfel fungieren als komplementäre Achsen eines Krisenmanagements, dessen innere Widersprüche im Zweifelsfall mit militärischen Mitteln aufgehoben und in eine Handlungseinheit verwandelt werden, deren Zweck darin besteht, die Reproduktion der hochindustrialisierten Metropolen zu Lasten aller materiellen und humanen Ressourcen zu gewährleisten, die sich als verwert- und ausbeutbar anbieten. Die unter allen Umständen auf diesen Gipfeltreffen umschiffte Systemfrage wie der nicht minder angestrengt ignorierte Klassenantagonismus böten Handhabe zu Überlegungen, die weiterführten, allerdings nicht in eine Richtung, die den etablierten Eliten genehm ist. Das absehbar magere Ergebnis des G20-Treffens und das strategische Revirement der NATO künden von einer Krisenbewältigung, in der das Kapitalverhältnis auf das elementare Überlebensinteresse zurückgebrochen auch in den bislang wohlhabenden Gesellschaften Ergebnisse zeitigen wird, die nur dann in ihrem räuberischen und mörderischen Charakter eingedämmt werden können, wenn die Betroffenen sich dem Trieb zur konkurrenzgetriebenen Vereinzelung widersetzen und ungleich solidarischer miteinander umgehen als bisher.

1. April 2009