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HEGEMONIE/1592: NATO fordert Rußland mit Manöver in Georgien heraus (SB)



Das am Mittwoch in Georgien begonnene Manöver der NATO habe laut Erklärung der Militärallianz nichts mit dem Verhältnis zwischen Tiblissi und Moskau zu tun, zumal es bereits im Frühjahr 2008 beschlossen worden sei. Georgien sei lediglich der Gastgeber für eine Übung, bei der über tausend Soldaten aus mehr als einem Dutzend NATO-Staaten eine Militärintervention simulieren, so die abwiegelnde Sprachregelung aus Brüssel, mit der gerade so getan wird, als handle es sich bei der ehemaligen Sowjetrepublik Georgien nicht um einen Brennpunkt im angespannten Verhältnis zwischen NATO und Rußland.

Selbst wenn die Übung vor dem Augustkrieg letzten Jahres, als die georgischen Streitkräfte in Südossetien einfielen und von russischen Truppen wieder vertrieben wurden, geplant war, widerspricht das nicht der Stellungnahme des russischen Präsidenten Dimitri Medwedew, der das Manöver als "unverhüllte Provokation" und als "Ermutigung" der Regierung in Tiflis zur "Remilitarisierung des Landes" kritisierte. Dem verbalen Schlagabtausch, dem die Ausweisung zweier russischer Diplomaten durch die NATO in Brüssel und die darauf folgende Ausweisung zweier kanadischer NATO-Diplomaten aus Rußland vorausging, liegt eine geostrategische Konfrontation zugrunde, die viel zu explosiv ist, als daß man leichtfertig an der Lunte zündelte.

Eben das tut die NATO, wenn sie neun Monate nach dem Fünftagekrieg zwischen Rußland und Georgien den Weg der Eskalation beschreitet. So findet die NATO-Übung Cooperative Longbow/Lancer vor dem Hintergrund des langfristigen Plans statt, Georgien und andere postsowjetische Republiken in die westliche Militärallianz aufzunehmen und damit die Hegemonialsphäre Rußlands einzuschränken. Diese zu sichern war Ziel der schnellen Reaktion Moskaus auf die Offensive Georgiens gegen das separatistische Südossetien gewesen, konnte dieser vom georgischen Präsidenten Michail Saakashwili angezettelte Überfall doch nur mit Hilfe äußerer Unterstützung gelingen. Daß diese Rechnung nicht aufging, kann der damalige russische Präsident Vladimir Putin als strategischen Erfolg verbuchen, hat er damit doch seine langjährige Zurückhaltung gegenüber dem Vordringen der NATO an die Grenzen Rußlands aufgegeben und ein gut sichtbares Stoppschild errichtet.

Damit wurden die unterschwelligen Spannungen zwischen den NATO-Staaten und Rußland auf die Ebene der offenen Auseinandersetzung um die militärische wie politische Kontrolle des Südkaukasus gehoben. Diese ist für die NATO-Staaten nicht nur aus energielogistischen Gründen wichtig, sondern die Region stellt auch ein geographisches Bindeglied zwischen Europa und Asien dar, das für den Aufmarsch der NATO in Afghanistan wie in der Region des Persischen Golfs von essentieller Bedeutung ist. Gleichzeitig richten sich alle Versuche der NATO, ihren Status eines globalen militärischen Akteurs über diese Achse zu stärken, gegen Rußland selbst, das als einzige große Nuklearmacht, die nicht zur NATO gehört, den globalen Führungsanspruch der USA und ihrer Verbündeten wirksam in Frage stellt.

Im Südkaukasus im allgemeinen und in Georgien im besonderen wird schon länger ein latenter Krieg um die künftige Weltordnung ausgefochten. Was in der Außenpolitik der USA und EU mit ökonomischen und ordnungspolitischen Mitteln vorangetrieben wird, findet im Rahmen der NATO seine militärstrategische Entsprechung. Unter Saakashwili hat sich Georgien zu einem kompromißlosen Parteigänger der USA entwickelt. Dieser gegen Rußland gerichtete Kurs macht die Aufnahme in die NATO zwingend erforderlich, kann das Land diese Außenpolitik doch nicht aus eigener Kraft durchhalten. Sein Beitritt zur westlichen Militärallianz steht jedoch unter dem Vorbehalt, erst die Nationalitätenkonflikte in Südossetien und Abchasien zu lösen. Dies ist nach dem Angriff Georgiens im August 2008 aussichtsloser denn je, haben die Südosseten die massive Aggression doch mit einem noch stärkeren Insistieren auf Loslösung von Georgien quittiert.

Demgegenüber besteht die NATO - zuletzt in der Abschlußerklärung des Gipfels in Strasbourg - auf die "territoriale Integrität" Georgiens, was sich - frei nach dem Vorgehen im jugoslawischen Kosovo - geradezu als Anlaß zur militärischen Intervention aufdrängt. Die Regierung Georgiens bringt derweil Ausrüstung und Organisationsstrukturen ihrer Streitkräfte auf NATO-Standard, nicht ohne zu betonen, daß dies ein Ergebnis des Augustkriegs sei. Auf der Ebene der militärischen Führungsstäbe, deren Doktrin ohnehin stark von US-Ausbildern geprägt ist, findet eine rapide Annäherung an die NATO statt, um die sogenannte Interoperabilität, deren Vertiefung auch zentrales Thema multinationaler NATO-Manöver ist, für den Ernstfall zu gewährleisten. "War Games" in einem Land durchzuführen, dessen Regierung sich nicht nur eine die eigenen Möglichkeiten weit übersteigende aggressive Außenpolitik gegen einen großen Nachbarstaat leistet, sondern die in der eigenen Bevölkerung aufgrund ihrer autokratischen Praktiken immer unbeliebter wird, kann auch als Blaupause für Aktionen verstanden werden, die nicht mehr unter den Anführungsstrichen einer Übung stehen.

Angesichts der Anwesenheit russischer Truppen in Südossetien stellt ein unweit von Tiblissi auf dem Militärstützpunkt Vaziani stattfindendes NATO-Manöver ein Sicherheitsrisiko dar, wie es typisch für eine Militärallianz ist, die ihre Kriege unter dem Titel der Friedenssicherung führt. Diese grobe Provokation Moskaus erfolgt zudem parallel zum offiziellen Beginn des EU-Programms "Östliche Partnerschaft" in Prag. Auch wenn die Anbahnung vertiefter Beziehungen der EU zu Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Modawien und der Ukraine eher unauffällig vonstattengeht, komplettiert sie doch den zutreffenden Eindruck Moskaus, daß dem eigenen Einfluß auf seine Nachbarstaaten enge Grenzen gesetzt werden sollen. Für die Bevölkerungen der NATO-Staaten wie der in der osteuropäischen Expansionszone der Militärallianz gelegenen Ländern bedeutet dies, mit wachsender Wahrscheinlichkeit in kleinere wie größere Kriege verstrickt zu werden.

7. Mai 2009