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HEGEMONIE/1598: Benjamin Netanyahu und das unaussprechliche Wort (SB)



Wird Israels Premierminister Benjamin Netanyahu das unaussprechliche Wort über die Lippen bringen? Als seien Elend und Erniedrigung der Palästinenser, aber auch die Verarmung weiter Teile der israelischen Gesellschaft samt des aus beiden Komponenten resultierenden erbitterten Überlebenskampfs in der Sackgasse eines nachgerade unlösbar anmutenden Konflikts irrelevant, starrt die mediengenerierte Öffentlichkeit auf eine inszenierte Farce. Während die US-Regierung auf die Zweistaatenlösung pocht, als habe Barack Obama sie persönlich erfunden, beschwert sich die um das nationalistische Lagerfeuer versammelte israelische Führung, daß man sich mit Amtsvorgänger Bush wesentlich besser verstanden habe. Wieso soll plötzlich alles Schall und Rauch sein, was man mit den Amerikanern längst informell und zwischen den Zeilen geklärt hat?

Verträge sind dazu da, gebrochen - pardon - interpretiert zu werden, und da man sich jederzeit einig darin ist, daß man mit den Palästinensern ohnehin nicht verhandeln könne und müsse, produziert man auf seiten des israelisch-amerikanischen Herrschaftsdiskurses Widerborstigkeiten und Mißverständnisse. Was wäre besser geeignet, die fundamentale Widerspruchslage und die aus ihr resultierende Ausbeutung und Unterdrückung zu verschleiern und auszublenden als ein handfester Zank unter Freunden! Einer Hofberichterstattung gleich lobt alle Welt Obamas verbales Feuerwerk der Fabulierkunst von Kairo, dem nun Netanyahus Offenbarung folgen soll. Der israelische Regierungschef hat für diese Woche eine Rede über das Friedens- und Sicherheitskonzept angekündigt, in der er endlich sagen will, was er eigentlich meint.

Natürlich will Netanyahu, daß die Palästinenser verschwinden, und wie weit er und seine Koalitionskumpanen diesbezüglich zu gehen bereit sind, ist hinlänglich bekannt. Das offen auszusprechen, wäre allerdings nicht gerade opportun, zumal das Massaker im Gazastreifen die Sponsoren Israels in unangenehme Erklärungsnöte gebracht hat. Also schwadronierte der israelische Regierungschef zum Auftakt der wöchentlichen Kabinettssitzung, man wünsche Frieden mit den Palästinensern und den arabischen Ländern, während man zugleich versuche, die größtmögliche Übereinkunft mit den Vereinigten Staaten und den Freunden in aller Welt zu erzielen.

Im Mittelpunkt der Kontroverse mit den "Freunden" steht die Siedlungspolitik. Dabei beruft sich die israelische Regierung auf Absprachen mit der Bush-Administration, die teils in schriftlicher Form, teils aber auch mündlich erfolgt seien. Von informellen und mündlichen Absprachen zur Siedlungsfrage wisse man nichts, erwiderte barsch US-Außenministerin Hillary Clinton. Sollten sie stattgefunden haben, was natürlich einige Leute behaupten, so seien sie jedenfalls nicht Teil der offiziellen Position der US-Regierung.

War da nicht die Road Map von 2003, die Israel zur Auflage machte, jegliche Siedlungstätigkeit einzufrieren? Daran fühlt Netanyahu sich bekanntlich ebenso wenig gebunden wie die neue US-Regierung an die Kungeleien unter Bush. Andererseits mußte auch die israelische Führung einräumen, daß sie schriftlich fixierte Verträge einhalten will. Da zumindest das nachzulesen ist, verdrückt man sich kurzerhand in die Spitzfindigkeiten der Auslegung: Netanyahu beispielsweise besteht darauf, daß "Einfrieren" den Ausbau innerhalb bestehender Siedlungen keineswegs ausschließt. Was aber "bestehende Siedlungen" sind und wo diese enden, wird von Palästinensern und jüdischen Siedlern höchst unterschiedlich definiert.

Keine israelische Regierung hat den Siedlungsbau je gestoppt, da er vollendete Tatsachen zugunsten einer fortschreitenden Okkupation des Westjordanlands schafft und damit einen lebensfähigen Staat der Palästinenser ausschließt. Um diesen zu schaffen, wäre ein Rückzug aus den besetzten Gebieten und damit die Konfrontation mit den Siedlern unvermeidlich, welche die derzeitige israelische Regierung am allerwenigsten wünscht. Ob Netanyahu das Wort "Palästinenserstaat" doch noch ausspricht oder sich erneut in sprachakrobatischen Ausflüchten windet, ist daher völlig belanglos.

9. Juni 2009