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HEGEMONIE/1605: Nabucco im geostrategischen Szenario der NATO (SB)



"Europa emanzipiert sich vom russischen Gas" freut man sich auf Spiegel Online (13.07.2009) anläßlich der Unterzeichnung des Vertrags über den Bau der Nabucco-Pipeline. Als Transitstaaten direkt beteiligt an dem auf acht Milliarden Euro veranschlagten Projekt sind die Türkei, Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Österreich. Die Bundesrepublik ist über den Energiekonzern RWE zwar nur indirekt mit an Bord. Das Projekt wird jedoch von den deutschen Kapitaleliten unterstützt, wie nicht nur der Jubeltenor des neokonservativen Hamburger Blatts belegt. Nabucco soll die langfristige Versorgung der EU mit Erdgas sicherstellen, was bedeutet, daß es sich um ein keineswegs nur ökonomisches, sondern vor allem geostrategisches Projekt handelt.

Die Sicherung der Energieversorgung ihrer Mitgliedstaaten ist erklärtes Ziel der NATO, in diesem Zusammenhang ist auch der um den Beitritt Georgiens in die Militärallianz vor einem Jahr anläßlich der georgischen Offensive gegen Südossetien eskalierte Streit zwischen den NATO-Staaten und Rußland zu verorten. Da Nabucco erklärtermaßen die dominante Stellung der russischen Energiewirtschaft bei der Versorgung Westeuropas brechen soll, muß Georgien unter allen Umständen dagegen verteidigt werden, daß unter der Bevölkerung eines Tages die Ansicht mehrheitsfähig wird, man lebe in einem Bündnis mit dem direkten Nachbarn Rußland besser denn als NATO-Vorposten in direkter Konfrontation mit ihm. Auch wenn eine Annäherung Georgiens an Rußland momentan unwahrscheinlich erscheint, ist sie doch nicht für alle Zeiten auszuschließen, gerade das ist ein Ziel der Osterweiterung der NATO auf dieses Land.

Wer sich wider der gegenüber kleinen Ländern, die sich den Geschäftsbedingungen der kapitalistischen Globalisierung nicht ausliefern wollen, vehement durchgesetzten Doktrin, man lebe in einer von freiem Handel bestimmten Weltordnung, aus einer ressourcentechnisch bedingten Abhängigkeit befreien will, ohne in eine andere zu geraten, der kann dies nur als ökonomisch wie militärstrategisch dominanter Akteur tun. Anstatt die Wirtschaftsbeziehungen zu Rußland, das sich, auch wenn es im Streit mit der ehemaligen Sowjetrepublik Ukraine zu befristeten Einschränkungen kam, gegenüber der EU stets als zuverlässiger Lieferant seiner Energieressourcen erwiesen hat, in beiderseitigem Einvernehmen auf kalkulierbare Grundlagen zu stellen, baut man eine Pipeline, deren Belieferbarkeit mit Erdgas in der konzipierten Menge längst nicht gewährleistet ist.

Wenn 2014 jedes Jahr 31 Milliarden Kubikmeter Erdgas in die energiehungrigen Metropolenregionen Westeuropas fließen sollen, dann kann das bislang einzige für dieses Vorhaben gewonnenen Förderland Aserbaidschan lediglich ein Fünftel dieser Menge bereitstellen. Als weitere Lieferanten kommen Turkmenistan und Usbekistan in Frage. Allerdings hat die entsprechend dimensionierte Förderung von Erdgas, an der auch RWE beteiligt ist, in dem despotisch regierten Turkmenistan noch nicht begonnen. Die usbekische Regierung wiederum ist weitgehende Verpflichtungen gegenüber Rußland respektive dem Staatskonzern Gazprom eingegangen.

Was bleibt - und worauf die strategischen Projektionen der europäischen Energiesicherheit implizit stets abzielen - sind die immensen Gasvorkommen des Iran. Sie wären in der Lage, die Transportkapazität der Pipeline auszulasten, allerdings setzte das eine Form der Zusammenarbeit zwischen den EU-Staaten und Teheran voraus, die zur Zeit in weiter Ferne liegt. Dies ist ein Grund dafür, warum die USA und EU nicht nur im Atomstreit Druck auf die iranische Regierung ausüben, sondern sich einseitig auf die Seite der Opposition gegen den amtierenden und wiedergewählten Präsidenten Mahmud Ahmadinejad stellen. Das kurz vor der vertraglichen Grundlegung der Pipeline durch US-Präsident Barack Obama ausgesprochene Ultimatum, der Iran solle bereits bis zum G20-Treffen im September Zugeständnisse im Atomstreit machen, dient zwar diversen Interessen in der US-Administration, ist jedoch auch Bestandteil der EU-Strategie, der Führung in Teheran anmaßende Bedingungen zu stellen und gleichzeitig ihre innenpolitische Destabilisierung zu unterstützen.

Mit den genannten Vertragsunterzeichnern sowie der Beteiligung der bundesrepublikanischen Energiewirtschaft erinnert das Nabucco-Konsortium an die klassische Konstellation der antibolschewistischen Achsenmächte, denen der Sieg über die Sowjetunion das essentielle Ziel ihrer Kriegführung war. Es paßt in dieses Bild, daß der ehemalige deutsche Außenminister Joseph Fischer mit RWE und dem österreichischen Energiekonzern OMV Beraterverträge für dieses Projekts abgeschlossen hat. Fischer verfolgt etwa im Rahmen des von ihm mitbegründeten Think Tanks European Council on Foreign Relations (ECFR) eine kaum verhohlen auf die Subordination Rußlands unter die Interessen der NATO-Staaten ausgerichtete Linie, so daß sein Engagement für Nabucco jedenfalls nicht die von seiner Partei Die Grünen beanspruchte Friedenspolitik fördert.

Die unter den Gegnern Fischers im konservativen Lager kolportierte Häme ob dieses vermeintlich finanziell motivierten Schritts greift allemal zu kurz, bieten die mit diesem Projekt einhergehenden geostrategischen Entwürfe doch viel interessantere Optionen als nur ein gutgefülltes Bankkonto. Mit der Zuspitzung der Ressourcenfrage erweisen sich vorgeblich ökonomische Entscheidungen vollends als politische Vorwandslagen, deren praktische Folgen von erzwungenen Regimewechseln unzuverlässiger Kantonisten bis zu militärischen Interventionen in Krisengebiete, in denen die Energieversorgung der EU in Frage gestellt wird, reichen. Der Bau Nabuccos macht auch ohne die bislang gelöste Frage, welche Förderstaaten die Pipeline nach ihrer Fertigstellung beliefern, Sinn - mit ihm wird ein weiterer Sachzwang etabliert, anhand dessen sich imperialistische Übergriffe konzipieren und legitimieren lassen.

13. Juli 2009