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HEGEMONIE/1612: US-Regierung ignoriert Nahostkonzept der Hamas (SB)



Der Nahostkonflikt zeichnet sich grundsätzlich durch ein asymmetrisches Verhältnis der Streitparteien aus, wobei es der weitaus stärkeren Fraktion im Laufe von Jahrzehnten gelungen ist, die eigene Übermacht enorm zu steigern und zu konsolidieren, während sie zugleich die Gegenseite durch Spaltung und Druck fragmentiert und in die Enge getrieben hat. Israel ist hinsichtlich seiner konventionellen Streitkräfte und um so mehr als atomar bewaffneter Staat die dominante Militärmacht der Region, was nur im Kontext des fundamentalen Schulterschlusses mit den Vereinigten Staaten möglich ist, die mit ihren massiven Subventionen, Technologietransfers und insbesondere einer weitreichenden politischen Rückendeckung diesen Status ihres Verbündeten fortschreiben. Die Palästinenser wurden nicht nur Zug um Zug der Unterstützung seitens der arabischen Nachbarländer beraubt, sondern auch systematisch untereinander gespalten und in interne Auseinandersetzung gedrängt, die in einem erheblichen Maß von äußeren Kräften eingefädelt und erzwungen wurden.

Alle Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern liefen darauf hinaus, letzteren weitreichende Verzichtserklärungen abzupressen, die so geschlossenen Abkommen zu brechen, und die nächstfolgenden Gespräche auf niedrigerem Niveau anzusiedeln. Auf diese Weise wurden vollendete Tatsachen zu Lasten der unterlegenen Partei geschaffen, die von der stärkeren als nicht verhandelbarer Status quo vorgehalten werden. Zentrale Forderung von israelischer Seite blieb stets, das einmal erreichte Verhältnis bedingungslos anzuerkennen und auf jeden Widerstand zu verzichten. Daß sich Fraktionen der Palästinenser dieser endgültigen Auslieferung verweigern, wird zum Anlaß forcierter Drangsalierung genommen, die wie das Massaker der israelischen Invasionskräfte im Gazastreifen und dessen andauernde Abriegelung von den USA und der EU mitgetragen wird.

Bei der Rolle der Vereinigten Staaten in den sogenannten Friedensgesprächen handelt es sich nur dem Schein nach um eine Vermittlung, tatsächlich jedoch stets um einen weiteren großen Schub, die Palästinenser zum Verzicht zu drängen, sie mit falschen Versprechen zu ködern und ihren Widerstand zu schwächen. Die entscheidenden Rückschritte für die Palästinenser wurden unter Intervention der US-Regierung erzwungen, wobei man mit Blick auf die vorgeblich wieder auf die Tagesordnung gesetzte Zweistaatenlösung nicht übersehen darf, welch weitreichende Zugeständnisse die palästinensische Führung um dieses fernen Zieles willen in der Vergangenheit gemacht hat, während von israelischer Seite die elementarsten Voraussetzungen zur Schaffung eines Palästinenserstaats systematisch untergraben wurden.

Wie weit dieses Mißverhältnis gediehen ist, dokumentiert die brüske Weigerung der US-Regierung, auf die jüngste Initiative des Hamas-Führers Khaled Meschaal zu reagieren. Gespräche mit der Hamas könne es erst geben, wenn diese den Staat Israel anerkenne und dem "Terrorismus" abschwöre, heißt es dazu im Weißen Haus. Verhandlungspartner bleibt ausschließlich die zahnlos gemachte Palästinensische Autonomiebehörde und somit jene Fraktion, die am tiefsten im Gestrüpp von Nachgiebigkeit und Vorteilsstreben verfangen ist.

Dabei könnte der Vorschlag Meschaals durchaus die Tür zu einer Lösung des Konflikts öffnen, da er weit über einen sofortigen Waffenstillstand und Gefangenenaustausch hinaus einer De-facto-Anerkennung Israels gleichkommt. Die Hamas fordert die Zustimmung zu einem palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 im Kontext eines umfassenden Friedensabkommens, welches das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge sowie Ostjerusalem als Hauptstadt eines künftigen palästinensischen Staates einschließt. Meschaal verlangt zudem kurzfristig die Aufhebung der Blockade des Gazastreifens und weist darauf hin, daß ein Siedlungsstopp wesentlich, doch keinesfalls die Lösung sein könne.

Dieses Gesprächsangebot der Hamas schlichtweg zu ignorieren, unterstreicht die grundsätzliche Einigkeit der Verbündeten USA und Israel, palästinensischen Widerstand zu brechen und zu diffamieren, mithin Verhandlungen nur auf Grundlage uneingeschränkter eigener Positionen und Ansprüche zu führen. Von einer Begegnung auf gleicher Augenhöhe unter einer Vermittlung, die beiden Konfliktparteien Kompromisse abverlangt, kann unter diesen Voraussetzungen keine Rede sein. Die von israelischer Seite stets vorgehaltene Doktrin, daß man nur aus einer Position unanfechtbarer Stärke verhandeln könne, läuft zwangsläufig darauf hinaus, ernsthafte Verhandlungen ganz und gar auszuschließen. Wer sich diesem Diktat nicht unterwirft, wird mit massiven Zwangsmitteln drangsaliert und schließlich zum "Terroristen" erklärt, mit dem zu sprechen sich von selbst verbiete. Die seit langen Jahren vorgehaltene Irreführung seitens israelischer Regierungen, es gebe auf palästinensischer Seite keine Verhandlungspartner, stellt die Verhältnisse auf den Kopf: Unannehmbare Einschränkungen zur Vorbedingung eines Dialogs zu machen, bietet natürlich die sicherste Gewähr, eine von allen palästinensischen Fraktionen getragene Gesprächsbereitschaft zu verhindern.

Netanjahu zeigt, wie man das macht: Während Khaled Meschaal auf Ostjerusalem als Hauptstadt eines künftigen palästinensischen Staates besteht, macht Israels Regierungschef den uneingeschränkten Anspruch auf ganz Jerusalem geltend, was kein Palästinenser, Araber oder Muslime akzeptieren kann. Damit nicht genug, forciert Netanjahu die Vertreibung palästinensischer Bewohner und den Vollzug jüdischer Bauprojekte in Ostjerusalem wie auch dessen Einkreisung durch weitere Siedlungen auch und gerade zu dem Zeitpunkt, da der Unterhändler Barack Obamas für die Region, George Mitchell, in Aktion tritt. Netanjahus Standpunkt, man könne über alles sprechen, sofern die Palästinenser zuvor auf alles verzichten, was ihnen wichtig ist, macht unmißverständlich klar, daß Unterwerfung zur einzig akzeptablen Verhaltensweise der gegnerischen Partei erklärt wird. Des Offensichtlichen ungeachtet dennoch einen Verhandlungsprozeß vorzutäuschen, dürfte die Aufgabe Mitchells in dieser Farce sein.

4. August 2009